Freising
Attaching hofft auf den Landesvater

Seehofer besucht die Startbahn-Gegner im kleinen Dorf bei Freising – Begleitet wird der Auftritt von donnerndem Fluglärm

29.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:37 Uhr

Freising (DK) Die StartbahnGegner hörten es gerne: Nach dem Stand der aktuellen Flugbewegungen sei ein Ausbau des Münchner Flughafens nicht nötig, meint Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Er will nun alle Argumente prüfen und bis zum Jahresende eine endgültige Entscheidung treffen.

Der Augenblick hat Symbolcharakter: Gerade als Seehofer (CSU) vor den rund 800 Attachingern anfangen möchte zu sprechen, erfüllt donnernder Fluglärm den Sportplatz des kleinen Freisinger Ortsteils, man versteht kaum seinen Nebenmann. Nach einigen Sekunden ist es wieder etwas ruhiger, Seehofer kann seine Rede beginnen. Die ganze Zeit muss er dabei zwangsläufig auf das 15 Meter breite und einen Meter hohe Spruchband gegenüber am Zaun des Sportplatzes schauen: „Bayern braucht keine 3. Startbahn.“

Attaching wäre – ohne den Fluglärm, versteht sich – durchaus ein lebenswerter Ort: sanierte Straßen, schmucke Häuser mit adretten Vorgärten, eine gute Infrastruktur. Gesittet und höflich, ja, fast ehrerbietig wird der Ministerpräsident von der Menge empfangen. Der Krieger- und Soldatenverein, die Freiwillige Feuerwehr, der Turn- und Sportverein – sie alle sind mit ihren Fahnen gekommen, alle in Uniform oder Tracht. Als Seehofer zum Rednerpult läuft, erklingt die Bayernhymne und fast alle auf dem Platz singen mit.

Es ist eine gute, glaubwürdige Rede, die Seehofer in den nächsten zehn Minuten halten wird: keine Beschwichtigungen und keine Versprechungen, ehrliche Anteilnahme, aber keine Anbiederei. „Eure Argumente sind stark“, beginnt er – und er wolle sie alle prüfen, nach Zahlen und Daten abwägen, Lobbyisten sein Ohr nicht leihen, verspricht der Regierungschef. Er stützt sich mit den Händen aufs Pult, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt, spricht eher leise. Doch für einen Satz bekommt er trotzdem donnernden Applaus: „Aus den Zahlen der aktuellen Flugbewegungen ergibt sich die Notwendigkeit einer dritten Startbahn nicht.“

Nun dürfen einige Bürger aus der Menge persönlich ihre Sorgen vortragen, zunächst im Freien, später – 17 ausgewählte Männer und Frauen sind zugelassen – an der Kaffeetafel im mit Pokalen, Wimpeln und Urkunden geschmückten Lokal des Sportvereins. Manches, was da zu hören ist, klingt erschütternd. Margarethe Stadlbauer, eine blondlockige junge Frau aus dem benachbarten Farenzhausen, berichtet von zwei jungen Männern aus ihrem Ort, „gerade mal 30 Jahre alt“, und beide an Leukämie erkrankt. Die Rentnerin Helga Widhopf überreicht Seehofer zwei in Folie verpackte Staubfilter, dreckverschmutzt: „Ich habe selbst nur noch ein paar Jahre zu leben. Aber ich will vorher wissen, dass meine Enkel hier in ihrer Heimat bleiben können.“ Und immer wieder die Klage, dass ihre Häuser, ihr Eigentum, nun wohl bald nicht mehr viel wert seien.

Niemand aber wirkt zynisch, verbittert oder gar aggressiv. Die Attachinger sind keine Wutbürger, eher erinnern sie an Kinder, die vom Papa erwarten, dass er verhindert, dass ihnen schweres Leid und Unrecht widerfährt. Eine Frau bringt es mit einem Zwischenruf aus der Menge auf den Punkt: „Sie sind doch unser Landesvater. Sie müssen uns helfen.“ Seehofer schaut sehr nachdenklich und rührt, ohne davon zu trinken, in seiner Kaffeetasse.

Der Streit um die dritte Startbahn am Münchner Flughafen dauert nun schon zehn Jahre. Im Landkreis Freising, aber auch in einigen angrenzenden Kommunen, gibt es für die Menschen kaum ein aufwühlenderes Thema, da reicht selbst die aktuelle Flüchtlingskrise nicht heran.

Vor drei Jahren erzwangen die selbst vom Lärm nicht betroffenen, aber mit den Freisingern solidarischen Einwohner der Landeshauptstadt (neben Freistaat und Bundesrepublik einer der drei Eigner des Franz-Josef-Strauß-Airports) per Bürgerentscheid einen vorläufigen Stopp des Projekts. Aber auch die Befürworter machen mobil. In der vergangenen Woche präsentierte die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft eine opulente Studie, die detailliert darlegt, welche katastrophalen Folgen für Bruttosozialprodukt und Arbeitsplätze im Freistaat ein Aus für die dritte Startbahn bedeuten würde. Finanzminister Markus Söder und Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (beide CSU) haben sich auf die Seite der Ausbau-Anhänger geschlagen.

Politisch hat die ganze Angelegenheit die Christsozialen in Freising viel gekostet, wie der dortige und auch für Pfaffenhofen zuständige CSU-Bundestagsabgeordnete und Stadtrat Eric Irlstorfer im Gespräch mit unserer Zeitung sagt: „Im Stadtrat gibt es 40 Sitze, davon hatten wir Christsozialen einst 23 – inzwischen sind es nur noch sechs.“ Tobias Eschenbacher, der Oberbürgermeister, gehört einer lokalen Wählervereinigung an. Umgedreht gelten die Freisinger CSUler ob ihres Verständnisses für die Startbahngegner in der übrigen Partei als Nestbeschmutzer, wurden aus dem Bezirksvorstand gedrängt. Noch einmal zehn solche Jahre des Kampfes, das wissen alle Beteiligten, würde die Stadt politisch zerreißen.

Aber nun dürfte wohl eine abschließende Entscheidung anstehen, auch das verspricht Horst Seehofer den Attachingern: „Geben Sie mir drei bis vier Wochen. Aber noch im Jahr 2015 wird für alle Beteiligten Klarheit herrschen. Mein Wort drauf.“