"Es muss noch viel geschehen"

Familienministerin Kerstin Schreyer will die Teilhabe von Frauen in Politik und Arbeitswelt verbessern

09.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:04 Uhr
Kerstin Schreyer wünscht sich mehr Frauen in Führungspositionen. −Foto: Hegerich/StMAS

Kerstin Schreyer, Jahrgang 1971, ist seit März dieses Jahres Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales (CSU). Sie studierte an der Katholischen Stiftungsfachhochschule für Sozialwesen und hat seit 2002 auch in der Jugendhilfe und als Familientherapeutin gearbeitet. Seit Herbst 2008 ist sie Landtagsabgeordnete.

Frau Schreyer, laut Geschäftsplan der Bayerischen Staatsregierung sind Sie Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales. Sie lassen sich aber ganz offiziell auch als Frauenministerin titulieren. Wie kommt das?

Kerstin Schreyer: Frauenpolitik und die Gleichstellung von Mann und Frau sind Kernthemen meines Ministeriums. Als Frauenbeauftragte der Staatsregierung bin ich dafür verantwortlich, dass wir bei der Gleichstellung auch weiter kommen. Das geht nicht gegen die Männer. Wir müssen aber dafür sorgen, dass Frauen und Männer die gleichen Chancen haben.

Warum braucht es im Bayern des 21. Jahrhunderts noch eine Frauenministerin? Wir haben ja auch keinen Männerminister?

Schreyer: Ganz einfach: Weil wir ein noch immer eklatantes Ungleichgewicht haben. Beide Geschlechter müssen die Möglichkeit haben, ihr Leben mit gleichen Chancen zu gestalten. Frauen sind noch nicht so weit in Führungspositionen angekommen, wie es ihre Bildungsabschlüsse eigentlich nach sich ziehen müssten. Es läuft etwas schief, wenn Frauen die besseren Universitätsabschlüsse machen, aber dann nicht in der Führungsebene ankommen. Hier muss noch viel geschehen, sei es in der Arbeitswelt oder in der Politik.

Es wäre ja schön, wenn die Politik einfach mal vorausmarschieren würde, oder?

Schreyer: Unser Ministerpräsident Markus Söder tut das. Er hat mit den CSU-Ministerinnen beim Frauenanteil im Kabinett das Optimum herausgeholt. Es hakt in der Kommunalpolitik. Ich bin nicht damit zufrieden, dass wir nur vier Landrätinnen haben, aber 67 Landräte. Auch von 25 Oberbürgermeistern sind nur drei weiblich. Hier geht der Gesellschaft etwas Entscheidendes verloren. Um das zu ändern, muss sich von zwei Seiten etwas tun: Die Parteien müssen Frauen aktiv einbinden. Aber auch die Frauen müssen sich mehr trauen: Gemeinderat statt Elternbeirat und Bürgermeisterin statt Schriftführerin. Oft dürfen Frauen als Bürgermeisterin dort kandidieren, wo es ohnehin nicht gewinnbar ist, oder wo es um eine ehrenamtliche Bürgermeisterin geht, wofür es nur wenig Geld gibt. Da lässt man dann mal eine Frau hin. So geht das nicht. Wenn Positionen frei werden, muss man gezielt nach qualifizierten Frauen Ausschau halten, gerade bei attraktiven Ämtern wie Oberbürgermeisterin oder Landrätin.

Unternehmen ab einer bestimmten Größe wurden durch die Große Koalition gesetzlich verpflichtet, in Aufsichtsräten eine Frauenquote von 30 Prozent zu verwirklichen. Es ist einfacher, anderen so etwas aufzudrücken als es selbst vorzuleben, wie die CSU-Landtagsfraktion zeigt, oder? Dort ist unter den 14 Arbeitskreisvorsitzenden nur eine Frau.

Schreyer: Wir haben zu wenig Frauen im Landtag. Aber die, die da sind, sind sehr gut. Jede könnte ein Buch schreiben über das, was sie sich anhören musste, bis sie dort angekommen ist. Daher verfügen wir bei den Frauen im Landtag und in der CSU-Fraktion über eine sehr hohe Qualität und wir sind gut beraten, diese auch zu nutzen. Die Frage ist allerdings rum, wir müssen jetzt nach vorne schauen.

Während wir uns über derlei Gedanken machen, erleben wir, dass viele Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen ein völlig anderes Rollen- und Frauenbild hierher mitgebracht haben. Glauben Sie, dass da gesellschaftlich so etwas wie ein Rückwärtsgang eingelegt wurde?

Schreyer: Mir würde es schon reichen, wenn schon mal jeder Bayer vorlebt, dass er Frauen und Männer gleichberechtigt sieht, mit der Wertschätzung ihrer Unterschiedlichkeit. Alle sollten die Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen als Reichtum wahrnehmen. Oft erlebe ich, dass die Führungspersönlichkeit von Männern als Maßstab genommen wird. Frauen führen aber nicht schlechter, sondern anders.

Was haben Sie auf der Agenda, um die Teilhabe von Frauen zu verbessern?
Schreyer: Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und das funktioniert nur mit den Männern gemeinsam. Familie darf nicht als rein weibliche Aufgabe gesehen werden. Ich wünsche mir mutige Männer, die bereit sind, Familienverantwortung bei der Kindererziehung und auch bei der Pflege ihrer Eltern oder Schwiegereltern übernehmen. Und zwar nicht nur für zwei Monate. Dann passiert es auch nicht mehr, dass Personalabteilungen Männer vorziehen, weil sie Angst haben, Frauen könnten für Erziehungs- oder Betreuungszeiten ausfallen. Familienzeiten sind für Männer und Frauen auch eine Art Fortbildungsmaßnahme. Die Belastbarkeit steigt, man lernt, sich noch besser selbst zu organisieren und zu strukturieren. Das kann man auch im Beruf wieder brauchen. Es ist ein Mehrwert für Unternehmen und natürlich auch ein Mehrwert in der Politik.

Was konkret erwarten Sie von Ihrer eigenen Partei in Hinblick auf die Kommunalwahlen? Eine Quote für parteiinterne Ämter gibt es ja in der CSU immerhin.

Schreyer: Eine Quote gibt es nur für Bezirks- und Landesebene, nicht für die Ebenen darunter. Meine Forderung ist ganz klar: Wir brauchen möglichst schnell eine Frauen-Delegiertenquote für die Aufstellungsversammlungen. Wichtig ist nämlich, dass mehr Frauen über die herausgehobenen Positionen mitstimmen können. Und: Wenn Kandidaten gesucht werden, muss man jetzt anfangen. Frauen brauchen einen längeren Vorlauf, bis sie sich entscheiden anzutreten. Sie überlegen länger, ob sie es sich zutrauen, ob sie die nötige Zeit haben, und sie stimmen sich enger mit der Familie ab. Darauf muss man eingehen. Ich wünsche mir, dass wir nach der Kommunalwahl mehr Landrätinnen, Oberbürgermeisterinnen und Bürgermeisterinnen haben. Es tut einer Demokratie gut, wenn Männer und Frauen in Führungspositionen sind.

Das Interview führte Alexander Kain.