"Es gibt Auswirkungen im körperlichen und seelischen Bereich"

24.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:11 Uhr
Rita Rosner ist Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. −Foto: KU

Die Eichstätter Psychologie-Professorin Rita Rosner erklärt, was bei einer Trauerstörung passiert und welche Hilfe es gibt

Frau Rosner, bei Ihren Forschungen geht es um das Thema "Trauerstörung". Der Begriff "Störung" impliziert ja, dass da etwas anders läuft als "normal". Können Sie das bitte kurz erklären?

Rita Rosner: Trauer an sich ist ein normaler Prozess, der Hinterbliebenen dabei hilft, sich an die neue Lebenssituation anzupassen und eine neue emotionale Beziehung zum Verstorbenen aufzubauen. Dem anfänglichen Schockzustand nach dem Tod einer nahestehenden Person folgen in der Regel eine langsame Einordnung der Emotionen und die Akzeptanz des Verlustes. Die emotionalen "Spitzen" der Trauer, wie wir plötzlich auftretende intensive Trauergefühle nennen, nehmen dabei normalerweise im Lauf der Zeit langsam ab und werden als weniger belastend erlebt. Im Gegensatz dazu spüren Betroffene, die eine Anhaltende Trauerstörung entwickeln, auch nach langer Zeit keine wesentliche Besserung.



Wie äußert sich das bei den Betroffenen?


Rosner: Die Anhaltende Trauerstörung kann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben, sowohl im körperlichen als auch im seelischen Bereich. Körperlich sind zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Störungen des Immunsystems höher. Im klinischen Alltag erleben wir oft Beschwerden wie häufige Infekte, Gelenk- oder Rückenschmerzen, die mit dem Trauerfall in zeitlichem Zusammenhang stehen.



Und seelisch?


Rosner: Da bleibt die Sehnsucht nach der verstorbenen Person unvermindert groß. Manche Betroffenen sind verbittert über den Verlust und knüpfen einen Teil ihrer Identität an den Verstorbenen, wie zum Beispiel in der Aussage ?Ein Teil von mir ist mit gestorben'. Viele meiden Anlässe für Erinnerungen ganz bewusst - oder beschäftigen sich sehr intensiv und andauernd damit, zum Beispiel indem sie das Zimmer des Verstorbenen über Jahre hinweg unverändert lassen oder ständig vom Verstorbenen sprechen, als ob er noch am Leben wäre.



Wann sollten Betroffene sich Hilfe suchen?


Rosner: Grundsätzlich kann man sagen: Eine Behandlung empfiehlt sich dann, wenn der Verlust länger als ein halbes Jahr zurück liegt und weiterhin schwere psychische und körperliche Symptome den Alltag beeinträchtigen.



Wie sieht eine Behandlung aus?


Rosner: Medikamente greifen bei der Anhaltenden Trauerstörung nicht. Sie ist mittlerweile als eigenständige Erkrankung anerkannt, die sich von Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen unterscheidet. Die bislang angebotenen Therapieformen, die angewendet wurden, wirken aber eher unspezifisch. Deshalb haben wir eine eigenständige Form der Psychotherapie entwickelt. Wir haben bewährte psychotherapeutische Methoden auf die speziellen Bedürfnisse trauernder Menschen angepasst. Aktuell erforschen wir die Wirkweise in einer bundesweiten Studie noch genauer.



Wer kann an der Studie teilnehmen?


Rosner: Wer seit dem Verlust einer nahestehenden Person an körperlichen und seelischen Beschwerden leidet und zwischen 18 und 75 Jahren alt ist, kann sich an die Psychotherapeutische Hochschulambulanz in Ingolstadt wenden. Betroffene können sich dort eingehend untersuchen lassen und im Gespräch mit den Therapeuten klären, ob die Behandlungsform für sie geeignet ist. Im Rahmen der Studie ist ein zeitnaher Therapiebeginn möglich.

Die Fragen stellt Anne Gülich.