"Enormer Schub Richtung Digitalisierung"

19.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:31 Uhr
Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU). −Foto: Hoppe, dpa

Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) zum Start des Sommersemesters an den Hochschulen

 

An diesem Montag startet an Bayerns Hochschulen wieder der Vorlesungsbetrieb - in digitaler Form. Wie viel Sinn macht das? Und gibt es Erleichterungen für die Studenten?
Bernd Sibler: Bei der Entscheidung, das Semester digital starten zu lassen, hatten wir vor allem unsere Studentinnen und Studenten in Bayern im Blick. Viele haben für den Spätsommer bereits Verpflichtungen wie beginnende Arbeitsverträge, Praktika oder Forschungsvorhaben. Daher konnten wir den Vorlesungsbetrieb nicht beliebig nach hinten verschieben. Unser Ziel war, dass sie trotz Corona weiter studieren können und kein Semester verlieren. Natürlich müssen wir davon ausgehen, dass nicht alles möglich ist und nicht zu hundert Prozent klappen wird. Aber das werden wir auffangen, indem wir möglichst viel Flexibilität für die jungen Leute ermöglichen. Sie sollen durch diese besonderen Rahmenbedingungen keine Nachteile haben. Wir arbeiten gerade unter Hochdruck an gesetzlichen Regelungen, damit sich Termine und Fristen, die an Fachsemester- und Regelstudienzeiten gebunden sind, automatisch verschieben beziehungsweise verlängern. Außerdem bin ich mit meiner Kollegin im Bund, Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, im permanenten Austausch, damit auch beim Bafög keine Nachteile für Studentinnen und Studenten entstehen. Ein erster Erfolg meiner sehr frühzeitigen Intervention ist, dass das Bafög trotz des späteren Vorlesungsbeginns ausgezahlt wird.

Sind die Hochschulen überhaupt für einen Start gerüstet?
Sibler: Ich wusste, dass an unseren Hochschulen bereits viel in Sachen Online-Lehre läuft. Wir haben eine solide Grundlage. Nach vielen Gesprächen mit den Hochschulpräsidentinnen und -präsidenten war mir klar, die Bereitschaft, sich auf ein Online-Semester einzulassen und das Bestehende auszubauen, ist da. Wir können das durchziehen. Natürlich ist in manchen Studiengängen ein Stück weit Praxis notwendig, da müssen wir sehen, ob das im Lauf des Semesters noch irgendwie möglich ist. Hier sind flexible und kreative Lösungen gefragt. In den vergangenen drei Wochen konnte ich mich aber bei Besuchen in ganz Bayern selbst davon überzeugen, dass die digitalen Angebote mit großem Engagement erweitert werden - übrigens immer gemeinsam mit den Studentinnen und Studenten.

Gibt es Widerstände?
Sibler: Widerstände habe ich kaum wahrgenommen, eher eine Art Aufbruchsstimmung. Jeder lernt täglich dazu, auch ich übrigens. Was heutzutage digital möglich ist, ist schon beeindruckend. Ich bin mir sicher: Am Ende des Semesters werden wir spüren, dass unsere Lehre an den Hochschulen einen enormen Schub erfahren hat in Richtung Digitalisierung. Viele Angebote werden sich dauerhaft durchsetzen. Wir machen die Entwicklung von mehreren Jahren nun in wenigen Monaten durch. Klar ist aber auch, dass Universität und Hochschule immer persönliche Begegnungen und Präsenzangebote brauchen.

Macht es nicht einen Unterschied, in welchem Semester jemand ist? Erfahrene Studenten können sicher alleine lernen, junge Studenten hingegen müssen sich in all dem Stoff erst zurechtfinden. Kann das digital funktionieren?
Sibler: Tatsächlich gehen wir davon aus, dass bei jungen Studentinnen und Studenten mehr persönliche Betreuung notwendig ist und sie mehr an die Hand genommen werden müssen, weil sie sich noch mehr an die Arbeitsweise an Hochschulen gewöhnen müssen. Unsere Dozentinnen und Dozenten legen ein besonderes Augenmerk auf die Betreuung. Da weiß ich die Lehrenden hinter mir. Auch hier gilt: Es sollen keine Nachteile für die jungen Menschen entstehen. Aber natürlich gilt auch, dass im Sinne der Eigenverantwortung die Angebote wahrgenommen werden müssen.

Bis wann rechnen Sie damit, dass an den Hochschulen im Freistaat wieder Alltag eingekehrt ist?
Sibler: Das kann ich heute noch nicht sagen. Wir müssen die weiteren Entwicklungen abwarten und Geduld haben. Natürlich wünschen wir uns alle Normalität zurück. Zum Studieren gehört ja auch der Austausch, der persönliche Kontakt, der Diskurs, das Leben auf dem Campus. Das lässt sich nicht vollständig online abbilden. Gemeinsam mit den Hochschulen hoffe ich, dass wir nicht allzu lange auf die Rückkehr zu Präsenzveranstaltung warten müssen. Aber eines muss uns allen klar sein, die Gesundheit geht vor.

Welche Veränderungen wird der Wissenschaftsminister nach dem Ende der Krise an der bayerischen Hochschullandschaft vornehmen?
Sibler: Das werde ich wohl erst nach der Krise umfassend beantworten können. Fest steht für mich, dass wir die Errungenschaften der Online-Lehre, die es in diesem Semester mit Sicherheit geben wird, festhalten müssen. Insofern ist mir eine Bilanz dazu nach dem Semester sehr wichtig: Was lief gut und kann langfristig etabliert werden, wo brauchen unsere Hochschulen mehr Unterstützung, was hat sich vielleicht nicht bewährt? Ich werde im Herbst mit allen Gruppen aus unserer Hochschulfamilie sprechen, um mir ein umfassendes Bild zu machen. Was ich heute schon sagen kann, ist, dass ich eine sehr große Bereitschaft gespürt habe, sich zu engagieren und sich auf eine teils ungewohnte, außergewöhnliche Situation einzustellen. Beeindruckend, was unsere Hochschulen nicht nur bei der Lehre leisten. Auch in der Forschung haben sie sich schnell auf das Thema Corona eingestellt, von der Schutzausrüstung aus dem 3D-Drucker bis zur Impfstoff-Forschung. Das alles ist eine gute Grundlage für eine Weiterentwicklung unserer Hochschullandschaft, die wir ja auch mit der Hightech Agenda Bayern anstreben.

Die Fragen stellte Alexander Kain.