München
Ein Urteil, das nur Sieger kennt

Für Bayerns Grenzpolizei ändert sich nach der Verfassungsgerichts-Entscheidung kaum etwas

28.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:49 Uhr
67 000 Straftaten, Verkehrsdelikte und weitere Fahndungen hat die bayerische Grenzpolizei in den vergangenen zwei Jahren bearbeitet. Derzeit seien laut Mitteilung rund 700 Mitarbeiter in der Schleierfahndung eingesetzt, bald sollen es sogar 1000 sein. −Foto: Mirgeler, dpa

München - Es gibt Urteile, die kennen in rechtlicher Hinsicht weder klare Sieger noch klare Verlierer.

 

Geht es dabei allerdings um die Sphären der Politik, dann ist eines stets vorhersehbar: Eifrig wird der politische Gegner als Verlierer geschmäht, während man sich selbst zum Sieger kürt.

Eben eine solche Entscheidung hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof gefällt: Die Wiedererrichtung der bayerischen Grenzpolizei vor gut zwei Jahren war verfassungskonform, die Zuweisung von grenzpolizeilichen Befugnissen hingegen verfassungswidrig.

Innenminister Joachim Herrmann (CSU) etwa sieht die Errichtung einer bayerischen Grenzpolizei verfassungskonform und somit als ein "Erfolgsmodell für mehr Sicherheit bestätigt". Denn die Grundlage für die Grenzkontrollen der bayerischen Polizei seien im Bundespolizeigesetz verankert. "Auch ohne die vom Verfassungsgerichtshof nun beanstandete Bestimmung des Artikels 29 PAG kann die bayerische Grenzpolizei aufgrund der ihr unmittelbar kraft Bundesrechts und allgemeinen Landespolizeirechts zustehenden Befugnisse ihre Aufgaben weiterhin vollumfänglich wahrnehmen", teilte Herrmanns Ministerium gestern mit.

Seitens der CSU lässt der Parlamentarische Geschäftsführer und Prozessbevollmächtigte, der Landtagsabgeordnete Tobias Reiß, sogar wissen, man sei "sehr zufrieden mit der Entscheidung", wonach die Errichtung der bayerischen Grenzpolizei mit der Landesverfassung vereinbar sei und der Verfassungsgerichtshof lediglich eine Befugnisnorm beanstandet habe. Die Grünen seien folglich vor dem Verfassungsgerichtshof "damit gescheitert, die bayerische Grenzpolizei abzuschaffen", so Reiß.

Der Koalitionspartner, also die Freien Wähler, assistieren - allerdings rhetorisch mit angezogener Handbremse: "Die generelle Wiedereinführung der Grenzpolizei wurde vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof nicht beanstandet - das spricht für sich", teilt Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl mit. Die Grenzpolizei als "Schleierfahndung in Uniform" sei "ein wichtiger Bestandteil der bayerischen Sicherheitsarchitektur" und habe in den zurückliegenden zwei Jahren "viele wichtige Ermittlungsergebnisse erbracht - und das Leben in Bayern so sicherer gemacht". Jetzt gelte es, "Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und weiterhin das hohe Maß an Sicherheit zu gewährleisten, das unsere Bürger zu Recht erwarten".

Ganz anders sieht verständlicherweise die Opposition die Sache: Es sei "gut, dass Bayerns Verfassungsgericht dem Rechtsstaats-Limbo der CSU ein Ende bereitet hat", ätzt Bayerns FDP-Chef Daniel Föst. Das Konstrukt sei "von Beginn an rechtlich höchst fragwürdig. Schließlich ist Grenzschutz Sache des Bundes". Was Söder allen juristischen Bedenken zum Trotz durchgedrückt habe, "zeugt nicht von Weitsicht. Gerade im ländlichen Raum gibt es viele nicht besetzte Planstellen. Dort hätte man die Beamten wesentlich sinnvoller einsetzen können. Für wirksamen Grenzschutz brauchen wir keine ineffizienten und teuren Doppelstrukturen, sondern eine bessere internationale Zusammenarbeit der Polizeikräfte und einen funktionierenden EU-Außengrenzschutz". Der ostbayerische FDP-Landtagsabgeordnete Alexander Muthmann ergänzt: "Mehrfach hat sich die bayerische Staatsregierung bemüht, ihr Prestigeobjekt rechtlich haltbar zu machen. Es ist ihr nicht geglückt. "

Für die SPD-Landtagsfraktion schaltet deren innenpolitischer Sprecher, Stefan Schuster, auf Angriff: Schon in der Vergangenheit habe man im Innenausschuss festgestellt, dass die Grenzpolizei kaum grenzpolizeiliche Aufgaben wahrnehme. "Die eingesetzten Beamtinnen und Beamten konzentrieren sich auf die Schleierfahndung, die sie so auch schon vor Gründung der Grenzpolizei wahrgenommen haben". Er, Schuster, sei "froh, dass dem bayerischen Sonderweg nun endlich Einhalt geboten wird".

Katharina Schulze, Fraktionschefin der Landtags-Grünen und Klägerin, teilte derweil am härtesten aus: "Das CSU-Prestigeprojekt bayerische Grenzpolizei ist nur noch eine leere Hülle", befand sie gestern, und: "Das Gericht gibt uns recht: Grenzschutz ist Bundessache. " Wie sie das Urteil versteht, lässt sie ebenfalls gleich wissen: "Alle Befugnisse, selbst als eigenständiger bayerischer Grenzschutz tätig zu werden - wie ursprünglich von Ministerpräsident Söder angekündigt - sind null und nichtig. " Sie findet, "die Söder-Regierung erleidet Schiffbruch vor Gericht" und fordert nun, "den lächerlichen Etikettenschwindel bayerische Grenzpolizei zurückzuziehen". Die Polizei werde dringend in der Fläche in Bayern gebraucht. "Außerdem: In einem vereinigten Europa sollte es eh keine innereuropäischen Grenzkontrollen geben", so Schulze.

Bleibt noch die AfD-Fraktion: Deren innenpolitischer Sprecher, Richard Graupner, findet, der Begriff Grenzpolizei "suggeriert die souveräne Kontrolle über die eigenen Grenzen". Die habe Deutschland jedoch "mit Merkels Grenzöffnungserlass im Jahre 2015 fahrlässig und ohne Not aus der Hand gegeben" und "bis heute nicht wiederhergestellt". Söder setze "mit der Ausrufung einer bayerischen Grenzpolizei die Politik des permanenten Verfassungsbruches der Merkel-Regierung auf bayerischer Ebene fort. Und das auch noch vollkommen wirkungs- und erfolglos, denn die bayerische Polizei hatte zu keiner Zeit, wie man dem bayerischen Wähler bis jetzt zugegebenermaßen erstaunlich erfolgreich vorgaukeln konnte - tatsächliche grenzpolizeiliche Befugnisse".

DK

Alexander Kain