Regensburg
Ein Strom wird zum Giftgas-Lager

Studie beleuchtet die Lage an der Donau zwischen Ingolstadt und Passau zum Kriegsende 1945

14.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:00 Uhr
Die Steinerne Brücke bei Regensburg nach Kriegsende 1945. Auf der Donau lagerten damals Tonnen von Giftgas. −Foto: Stadt Regensburg

Regensburg (DK) Eine von der Stadt Regensburg in Auftrag gegebene Studie zum Kriegsende im April 1945 bringt erschreckende Erkenntnisse - auch für Städte entlang der Donau im Freistaat.

"Die Donau oberhalb von Linz und ganz besonders in Bayern bis hinauf nach Regensburg glich 1945 abschnittsweise einem Abstellplatz für Schiffe. Aus Luftschutzgründen ankerten zahllose Schlepper und Lastkähne außerhalb der Städte, teils noch mit Ladung oder Flüchtlingsgut gefüllt, im Strom oder waren an den Ufern verheftet." Gespenstisch muss das ausgesehen haben, was die Autoren von "April 1945. Das Kriegsende im Raum Regensburg" schildern.

250000 Euro hat sich die Stadt Regensburg die Erforschung der Ereignisse rund um das Kriegsende kosten lassen. Herausgekommen ist: Giftgas, gelagert bei Schierling im Landkreis Regensburg und auf der Donau transportiert, bewahrte die Stadt vor der Zerstörung durch Bomben.

Denn im April 1945, das Deutsche Reich und das NS-Regime standen vor dem Untergang, verfügten die Nazis noch über eine erhebliche Menge von Kampfstoffen und Giftgas. Adolf Hitler war selbst im Ersten Weltkrieg Opfer von Gas geworden. Doch der Diktator kauerte in seinem Bunker unter der Reichskanzlei und scherte sich nicht mehr um das Volk, das ihm zuvor so lange blind gefolgt war. Rainer Ehm, Roman Smolorz und Konrad Zrenner haben im Auftrag der Stadt Regensburg diese Zeit erforscht. Eine große Menge Giftgas lagerte in der sogenannten Muna bei Schierling, 1937 von Reichsmarschall Hermann Göring für dessen Luftwaffe eingerichtet. Auch von schweren Unfällen und austretendem Giftgas berichten die Autoren.

Doch offenbar fürchteten die Wehrmacht und ihr Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, dass weite Teile Bayerns verwüstet worden wären, hätte eine Bombe das Giftgas getroffen. Deshalb entschied Keitel, dass das Giftgas an die Donau transportiert und in Schiffen gelagert wurde. Der Grund: Wenn die Schiffe gesunken wären, wäre das Giftgas unter Wasser unschädlich geworden. Laut den Autoren haben die US-Amerikaner nach Kriegsende große Mengen Giftgas der Nazis in Nord- und Ostsee versenkt. "Die US-Armee fand am 26. April (1945, Anm. d. Red.) tatsächlich fünf mit Nervengift-Bomben beladene Lastkähne im Bereich westlich und östlich von Straubing vor, weitere kurz darauf bei Niederalteich", heißt es in der Studie. Jeder dieser Kähne war mit 1000 der mit hochgiftigem Tabun gefüllten Bomben beladen. In Passau und Deggendorf, wurde das Gas verladen, schreiben die Autoren weiter. Das Giftgas wurde nämlich aus dem gesamten Deutschen Reich an die Donau gekarrt. Die Autoren waren mit ihrer vom Stadtrat subventionierten Studie in Archive auf der ganzen Welt gefahren: In den USA, aber auch in Russland und in Tschechien suchten sie nach Quellen, in denen etwas über das Kriegsende an der Donau berichtet wird.

Die Autoren der neuen Studie legen auch offen, wie wichtig der Raum zwischen Ingolstadt, Regensburg und Passau zum Ende des Kriegs wurde. Die Nazis hatten die Schimäre der Alpenfestung verbreitet, wonach das Nazi-Reich in angeblichen Bergfestungen verteidigt werden sollte. Agenten der alliierten Staaten waren deshalb mit Fallschirmen über Bayern abgesprungen: "Die Absprungbereiche längs der Donaulinie waren wie folgt verteilt: zwei Teams für den Raum Ingolstadt, vier Teams für den Raum Regensburg sowie ein Doppel-Team für den Raum Passau", wie es in der Studie heißt. Vor allem die vorrückenden Amerikaner erhofften sich Informationen über die angebliche Alpenfestung, die es jedoch nicht gab.

Und auch die Sowjets brachten Agenten mit dem Flugzeug nach Bayern. Die Operationen hatten Tarnnamen wie "Zombie" oder aber "Chauffeur". Dass nicht weite Teile Bayerns entlang der Donau zwischen Ingolstadt und Passau zum Giftgas-Gaugebiet wurden, ist wohl auch diesen Agenten zu verdanken, wie es weiter heißt.

Christian Eckl