Eichstätt
Finanzkrise und Fehlverhalten

06.10.2011 | Stand 03.12.2020, 2:19 Uhr

Eichstätt (DK) Mehr Regulierung muss her. Auf diese knappe Forderung lassen sich die Lehren aus der Finanzkrise reduzieren – zumindest, wenn man auf viele Ökonomen hört. Ein paar neue Regeln, und alles wird gut? Das reicht nicht, sagen Fachleute bei einem Ethik-Kongress gestern in Eichstätt.

Unisono gehen sie mit der Finanzwirtschaft hart ins Gericht und fordern ein radikales Umdenken. Unmoralisch sei die persönliche Gier von Bankmanagern, die privat Gewinne machten, aber die Verluste sozialisierten, für die jetzt der Steuerzahler aufkommen müsse, sagt Stephan Götzl, der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaftsbanken in Bayern. Die genossenschaftlichen Geldinstitute stehen hingegen selbst in der Haftung, sie sind im Gegensatz zu vielen Investmentbanken ohne staatliche Hilfen in der Finanzkrise ausgekommen.

Laut Götzl lässt sich die Krise nicht allein auf individuelles Fehlverhalten zurückführen. Das wäre zu einfach gedacht. Es seien eine Reihe von Systemakteuren dafür verantwortlich, die für ihn die „wahren Anstifter dieses Kriminalfalls Finanzkrise“ sind. So seien institutionelle Anreizsysteme geschaffen worden, die Banken belohnten, wenn sie rein auf Rendite setzten, ihre Institute mit Kapitaltransfers aufbliesen, ohne ausreichend Eigenkapital zu besitzen, Schattenbanksysteme schufen oder auffällige Bilanzierungsmöglichkeiten nutzten.

„Es kann nicht sein, dass Investmentbanken immer größer werden, zu groß, um von der Politik fallen gelassen zu werden“, meint Götzl, der dies „survival of the fattest“ nennt. Er forderte die Politiker auf, den „Geldmaschinen“ das Geschäft zu verderben, indem Sanktionsmechanismen und staatlich kontrollierte Bankenprüfsysteme installiert würden. „Die Politik muss begreifen, dass sie an das System ran muss, und zwar koordiniert in der EU.“

Auch Paul Dembinski, Wirtschaftswissenschaftler aus der Schweiz, sieht die Finanzwelt in einer Systemkrise. Die Auswirkungen erlebe man derzeit am „Aufstand der 99 Prozent gegen die Wall Street“. „Diese Krise ist nicht mehr mit technischen Mitteln zu lösen“, sagt Dembinski. Die Krise habe gezeigt, dass die Finanzdurchdringung der Gesellschaft, das Effizienzethos seine anthropologischen Grenzen erreicht habe. „Der Gewinn durch Effizienz ist geringer als die sozialen und Kontrollkosten.“ Das sei ein ökonomischer Nonsens, nicht nur ein ethischer.

Wie aber kommt man aus der Sackgasse heraus? Dembinski empfiehlt, zu einem komplett neuen Ordnungsprinzip zu kommen, das zu einem Gleichgewicht zwischen Finanztransaktionen und menschlichen Beziehungen führt. Will sagen: „Die Finanzwelt muss wieder in den Dienst des Gemeinwohls gestellt werden.“

Auf Defizite und Irrationalismen des Kapitals und „Dollar-Tsunamis“ als Retter der Marktwirtschaft machte Ulrich Thielemann, Ökonom aus Berlin, aufmerksam. „Die Wirtschaft macht den Menschen vor, die gewaltigen Potenziale des Finanzmarkts müssten als Motor für Wachstum und Beschäftigung ausgeschöpft werden.“ Das sei aber „Unsinn“. Das „Finanzkasino“ spiele die Beschäftigten gegeneinander aus und diene keineswegs der Realwirtschaft. Deshalb sei es ethisch so problematisch. Die Folgen seien eine Ökonomisierung der Welt und der Beziehungen zwischen den Menschen.