Ingolstadt
Die Super-Erkenner

Meike Ramon erforscht, warum manche Menschen stark auf Gesichter fixiert sind - Vortrag bei Audi

08.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:34 Uhr
Gleich erkannt: Menschen, die ein besonderes Gedächtnis für Gesichter haben, werden Super-Recogniser - also Super-Erkenner - genannt. Meike Ramon (rechts) erforscht das Phänomen. −Foto: Hoppe/dpa, privat

Ingolstadt (DK) Manche können sich Namen gut merken, andere prägen sich eher Zahlen ein. Daneben gibt es aber noch Menschen, die auf Gesichter fixiert sind, sie erkennen andere selbst nach vielen Jahren wieder. Diese Gruppe nennt sich "Super-Recogniser", nach dem englischen Wort "to recognise" für erkennen. Dazu gehört etwa der Lehrer, der seinen früheren Schüler, mittlerweile erwachsen geworden und Bartträger, auf der Straße anspricht.

Faszinierend, aber wie das genau funktioniert, ist weitgehend ein Rätsel. Die Neurowissenschaftlerin Meike Ramon hat im März an der Universität Fribourg ein auf fünf Jahre ausgelegtes Forschungsprojekt des Schweizer Nationalfonds dazu übernommen. Heute spricht sie im Audi-Forum über dieses ungewöhnliche Phänomen.

"Wir wissen darüber bisher nur sehr wenig, das ist noch absolutes Neuland", sagte die Wissenschaftlerin unserer Zeitung. "Je mehr wir mit einem Menschen interagieren, desto leichter tun wir uns, ihn wiederzuerkennen. Angehörige würden wir zum Beispiel nicht vergessen, auch alte Schulfreunde bleiben im Gedächtnis haften." Die Super-Erkenner bräuchten diesen intensiven Kontakt aber gar nicht, bei ihnen funktioniere das auch so. "Ich befasse mich mit diesem Thema schon seit 13 Jahren und mache Experimente mit Freiwilligen." Sie weiß daher um die Komplexität der Sache: "Die Gesichtserkennung spielt sich nicht nur in einer Gehirnregion ab, da sind verschiedene Bereiche beteiligt." Welche genau, möchte Meike Ramon mit dem Projekt ergründen.

Die 38-Jährige hat sich in ihrer beruflichen Laufbahn bereits mit dem Gegenteil befasst, der Gesichtsblindheit. Darunter versteht man die Unfähigkeit, eigentlich bekannte Menschen anhand ihres Gesichts zu erkennen. Normal kennt jeder im Schnitt rund 4000 bis 5000 Gesichter. Die Bindung innerhalb der Familie beruht unter anderem auch darauf, dass Neugeborene sich die Physiognomie von Mutter und Vater in kurzer Zeit einprägen. Super-Recogniser halten viel mehr Gesichter im Gedächtnis parat als andere. Ihnen reichen schon flüchtige Begegnungen, um ein Gesicht manchmal noch nach Jahrzehnten wiederzuerkennen.

Meike Ramon arbeitet neben ihrer eigentlichen Tätigkeit an der Universität zudem mit der Polizei zusammen, unter anderem mit der Kantonspolizei Fribourg und mit dem Landeskriminalamt Berlin. Ermittlungsbehörden nutzen schon länger die Talente der Super-Erkenner. So gibt es beim Polizeipräsidium München derzeit 30 Polizeibeamte und Angestellte mit dieser Fähigkeit. Einige waren testweise beim Oktoberfest im Einsatz, etwa um Straftäter oder gewaltbereite Menschen zu erkennen und zu fassen. Die Polizei in München sprach danach von einer positiven Bilanz, ohne dies näher zu definieren.

Meike Ramon gibt heute Abend ab 19.30 Uhr im Audi-Forum an der Ettinger Straße (Gebäude A51) in Ingolstadt einen Einblick in ihre Forschung, als Super-Recogniser ist Carina Buchholz aus Köln angekündigt. Sie soll Gesichter selbst dann wiedererkennen, wenn das Alter seine Spuren hinterlassen hat. Die Veranstaltung ist öffentlich.

Horst Richter