München
Die Kammer des Schreckens

In der Asservatenkammer des Zolls am Münchner Flughafen stapeln sich beschlagnahmte Tierpräparate

02.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:24 Uhr
Geschmacklos und illegal: Einen beschlagnahmten Hocker aus einem Elefantenfuß zeigt Daniela Huber vom Hauptzollamt München. −Foto: Stäbler

München (DK) In einem langen Gang irgendwo im Frachtterminal des Münchner Flughafens klebt auf einer unscheinbaren Tür ein Rauchverbotszeichen - sonst nichts.

Kein Schild und kein Schriftzug lassen erahnen, dass sich dahinter die "Kammer des Schreckens" verbirgt, so nennt das Thomas Meister vom Hauptzollamt München. Oder weniger martialisch: die Asservatenkammer.

Betritt man diesen fensterlosen Raum, fällt der Blick auf einen Bärenkopf, dahinter lauern ein Puma und ein Gepard - beide ausgestopft. Neben den Raubkatzen liegen ein Hocker aus einem Elefantenfuß, eine waschbeckengroße Mördermuschel und diverse andere Tiere, Schädel und Geweihe. Und das ist nur der Anfang: In den deckenhohen Wandregalen, gegen die jeder Flohmarkttisch aufgeräumt wirkt, stapeln sich zig Korallen, Schmuck aus Elfenbein, Reptilienpräparate, Schlangen in Schnapsflaschen und, und, und. . .


All diese bedrohten Tiere und Pflanzen haben zweierlei gemeinsam: Erstens sind sie im Passagiergepäck oder als Fracht hier am Flughafen gelandet. Und zweitens: Sie haben ihre Besitzer in Schwierigkeiten gebracht. Denn wer gefährdete Tiere und Pflanzen oder deren Teile und Erzeugnisse nach Deutschland einführt, verstößt gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen (Cites). Diese internationale Übereinkunft stellt 5800 Tier- und 30000 Pflanzenarten unter Schutz - von Abeillia abeillei, dem Smaragdkehlkolibri, bis zu Zyzomys pedunculatus, der Australischen Dickschwanzratte.

Die Liste ist erst vor wenigen Tagen bei der Cites-Konferenz in Genf um 140 bedrohte Tier- und 20 Pflanzenarten erweitert worden. Bei ihrem Treffen mussten die Experten aber auch konstatieren: Der illegale Handel mit Wildtieren floriert weiter - aller Schutzbemühungen zum Trotz. "In seiner Gesamtheit hat der illegale Artenhandel eher zugenommen", sagt Arnulf Köhncke vom WWF Deutschland. Schätzungen zufolge liegt der weltweite Jahresumsatz bei bis zu 20 Milliarden Dollar.

"Jedes Jahr sterben 20000 Elefanten für ihr Elfenbein", sagt Köhncke. Dieses wird auf dem Schwarzmarkt mit bis zu 1000 Euro je Kilo gehandelt. Gar noch wertvoller ist das Horn von Nashörnern, das in Pulverform vor allem in Asien als Heil- und Potenzmittel gilt. Hier liegt der Kilopreis bei rund 50000 Euro, weshalb Wilderer jährlich rund 1000 Nashörner töten. Und dann sind da noch die meistgeschmuggelten Säuger überhaupt: Schuppentiere. Von ihnen wurden dem WWF zufolge seit 2016 eine halbe Million Exemplare getötet und illegal gehandelt, meist aus Westafrika und nach China oder Südostasien.


Beim Schuppentierschmuggel spiele auch Deutschland eine Rolle - als Transitland, sagt Arnulf Köhncke. Davon abgesehen findet der Großteil des illegalen Wildtierhandels aber nicht hierzulande statt. "Das sind vor allem gewerbliche Banden aus Asien", sagt Köhncke. Die Tiere oder deren Teile würden meist auf dem Seeweg geschmuggelt - und nicht über deutsche Flughäfen. So liegen zwar auch in der Kammer des Schreckens in München zwei Hörner von Nashörnern. "Doch solche Funde sind die absolute Ausnahme", sagt Zoll-Sprecher Thomas Meister. Das Gros der Fälle stellen vielmehr Touristen, die etwa eine Koralle aus der Karibik oder Schlangenschnaps aus Vietnam mitbringen - als Souvenir. Entsprechend registrieren die Münchner Zöllner gerade zur Urlaubszeit viele Artenschutzverstöße. 2018 waren es 78, bei denen 561 Tiere, Pflanzen und deren Produkte beschlagnahmt wurden.

Dabei durchsucht der Zoll in München keineswegs alle Gepäckstücke der jährlich 46 Millionen Passagiere und die knapp 400000 Tonnen Fracht. "Eine Totalkontrolle wäre viel zu aufwendig", sagt Daniela Huber vom Hauptzollamt München. Vielmehr prüfe man stichprobenartig und suche "risikoorientiert" bestimmte Flüge heraus. Deren Koffer und Taschen werden per Röntgengerät durchleuchtet und auffälliges Gepäck diskret markiert - schließlich hat der Passagier noch die Möglichkeit, Tiere und Pflanzen am Flughafen anzumelden. Hierfür muss er beim Zoll den roten Ausgang wählen. Überschreitet ein Passagier mit markiertem Gepäckstück dagegen die grüne Linie, wird er sogleich von Zollbeamten in Empfang genommen.

Etwas anders läuft die Kontrolle am Flughafen Frankfurt ab - ein internationales Drehkreuz mit jährlich 70 Millionen Passagieren und 2,1 Millionen Tonnen Fracht. Hier fallen deutschlandweit stets die meisten Artenschutzverstöße an. So gab es 2018 im Bundesgebiet 1294 Aufgriffe, bei denen 71000 Exemplare sichergestellt wurden. Allein 710 Verstöße mit 21000 Exemplaren entfielen auf das Hauptzollamt Frankfurt - darunter 461 lebende Tiere, 300 lebende Pflanzen und rund 20500 Erzeugnisse aus geschützten Arten. Dazu kamen zwei Aufgriffe mit 130000 Glasaalen, die vermutlich in Asien verkauft werden sollten. Dort gelten diese Jungtiere als Delikatesse und werden mit einem Kilopreis von bis zu 5000 Euro gehandelt.

Auch am Frankfurter Flughafen wird stichprobenartig und risikoorientiert kontrolliert, wie Christine Straß vom dortigen Hauptzollamt sagt. Anders als in München kommen in Frankfurt Spürhunde zum Einsatz, die speziell auf Artenschutzverstöße trainiert sind. Sie fänden auch ausgefallene Verstecke, sagt Straß, "zum Beispiel, wenn Papageien in Chipsdosen transportiert werden". Das Gros der Verstöße entfalle auch in Frankfurt auf "unbedarfte Touristen, die besondere Souvenirs mitbringen wollen". Danach folgten - in weit kleinerer Zahl - "Menschen, die aus biologischem Interesse handeln und genau wissen, was sie tun", sagt Straß. Dabei ist das Einschmuggeln gefährdeter Tiere oder Pflanzen kein Kavaliersdelikt: Verstöße gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen können Geldbußen bis 50000 Euro oder Freiheitsstrafen nach sich ziehen.

Unwissenheit schütze dabei nicht vor Strafe, betont Zoll-Sprecher Thomas Meister und zeigt in der Kammer des Schreckens auf den Wirbelknochen eines Wals. "Den hat ein Reisender auf seinem Trolley durch den Zoll geschoben. Er meinte, er hätte ihn am Strand gefunden. " Um derartige Fälle zu vermeiden, empfiehlt der Zoll Urlaubern, sich vorab zu informieren, etwa auf der Webseite www. artenschutz-online. de. Oder man beherzigt jenen Satz, den Thomas Meister sagt, bevor er die Tür zur Kammer des Schreckens wieder verschließt: "Sammeln Sie Eindrücke statt Andenken. "

Patrik Stäbler