Nürnberg
Die Armut geht um in Nürnberg

23 Prozent der Bürger verdienen weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens

16.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:33 Uhr
Fast ein Viertel aller Nürnberger sind laut neuen Zahlen armutsgefährdet. Oberbürgermeister Ulrich Maly (links) und Sozialreferent Rainer Prölß wollen die Zahlen zunächst genau analysieren. −Foto: Foto: Pelke

Nürnberg (npe) Die Armutsgefahr in Deutschland ist nur in Dortmund höher als in Nürnberg.

23 Prozent verdienen in der fränkischen Metropole weniger als 60 Prozent des Durchschnitteinkommens und gelten daher als armutsgefährdet.

Dieser alarmierende Befund hat jetzt die Stadtspitze aufgeschreckt. Die schlechten Zahlen zur Armutsgefährdung hätten sogar ihn überrascht, musste sich Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) eingestehen. Ohne die noch schlechteren Zahlen aus Dortmund würde Nürnberg die rote Laterne bei der Armutsgefahr in Deutschland tragen.

Besonders besorgt zeigte sich Maly darüber, dass die Armutsgefährdung in Nürnberg am stärksten gestiegen sei. Drastische Konsequenzen hat Maly nicht angekündigt. Einen "Canossa-Gang" wolle er wegen der miserablen Zahlen nicht antreten. Stattdessen wolle er sich die Daten zunächst genauer anschauen. "Wir nehmen uns Zeit für die Analyse", sagte Maly.

Für den roten Rathaus-Chef sind die schlechten Zahlen vermutlich trotzdem politischer Sprengstoff. Armut sei ein schwieriges Thema, gab Maly offen zu. "Wir in der Politik sprechen nicht gerne darüber", erklärte er und beklagte sich, dass Politiker immer sofort Rezepte gegen Armut zur Hand haben müssten. Maßnahmen in der Schublade, wie Nürnberg eine Trendwende erreichen kann, gibt es demnach nicht.

Zumal das Stadtoberhaupt von den Ergebnissen des bundesweiten Mikrozensus aus dem Jahr 2016 offensichtlich kalt erwischt worden ist. Die "eigene Wahrnehmung" sei "eigentlich in eine andere Richtung" gegangen, sagte Maly und verwies auf die Arbeitslosenquote, die er in seiner Amtszeit von über zehn auf heute etwas mehr als fünf Prozent halbiert habe. Auch sei die Zahl der Bezieher von Transferleistungen gesunken.

Sozialreferent Rainer Prölß (ebenfalls SPD) verwies auf das Lohnproblem. Die Nürnberger verdienen im Vergleich mit anderen Großstädtern eher mittelmäßig. Die Quote der Armutsgefährdung weise "nur" auf die Ungleichheit der Einkommen hin, versuchte Prölß zu relativieren. Laut den aktuellen Zahlen gelten genau 23 Prozent der Nürnberger als armutsgefährdet, weil ihr Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnitteinkommens beträgt. Letzteres liege in Nürnberg bei rund 1500 Euro pro Monat.

"Wir wollen nichts schönreden, aber auf die Tücken der Statistik hinweisen", sagte Maly und verwies auf die wachsende Zahl von Studenten und den Zuzug aus dem Ausland nach Nürnberg. Diese beide Faktoren dürften sich künftig noch negativer auf die Armutsquote auswirken. Erstens soll in Nürnberg eine neue Universität entstehen. Zweitens tauchen die Flüchtlinge, die zuletzt nach Deutschland gekommen sind, in den Zahlen überhaupt noch nicht auf.

Maly betonte, dass er sich "nicht aus der politischen Verantwortung schleichen" wolle. Gleichzeitig verwies der sozialdemokratische Oberbürgermeister und Vizepräsident des Deutschen Städtetages darauf, dass die zentralen Ursachen für Armutsprobleme wie Einkommen oder Steuern außerhalb des kommunalen Handlungsspielraumes liegen. Den "Schwarzen Peter" will Maly trotz aller gegenteiligen Beteuerungen wohl gerne dem Bund zuschieben.

Stolz attestierte Maly seiner Heimatstadt eine "Teilhabe-Kultur" und verwies darauf, dass die Stadt die Kita-Gebühren für die Hälfte aller Nürnberger bezahlen müsse. Außerdem müssten rund 55000 Inhaber des "Nürnberg-Passes" nur reduzierte Preise für öffentliche Einrichtungen bezahlen. Dass die Stadt zuletzt teilweise kräftig an der Gebührenschraube beispielsweise für Bibliotheken oder Schwimmbäder gedreht hat, ist für Maly kein Widerspruch. Ihm gehe es darum, keine "Gerechtigkeitslücken" entstehen zu lassen. Das heiße nicht, dass er versprechen könne, dass als Konsequenz aus der Armutsquote ab sofort keine Gebühren mehr erhöht werden.

Gleichzeitig forderte Maly die Bundesregierung auf, dass die Transferleistungen erhöht werden. Für Hartz-Empfänger sollte beispielsweise das Busgeld für den öffentlichen Nahverkehr erhöht werden. Er verwies auch auf den wachsenden Niedriglohnsektor in Nürnberg. In der alten Industriestadt schrumpfe die Mittelschicht. Die Menschen mit besser bezahlten Jobs, würden im Umland wohnen und in die Stadt pendeln. Nürnberg könnte der Vorreiter einer düsteren Zukunft sein, von der auch andere Großstädte durch die Digitalisierung bald betroffen seien könnten. Nach dem Wegfall von vielen Arbeitsplätzen würden für die Masse der Stadtmenschen nur noch Jobs in der Gastronomie oder im Sicherheitsbereich übrig bleiben.

Trotz dieser düsteren Aussichten sieht Oberbürgermeister Ulrich Maly offensichtlich keinen schnellen Handlungsdruck. "Wir machen einem Schritt nach dem anderen", betonte Maly und kündigte an, dass in der Stadt mit der bundesweit zweithöchsten Armutsgefährdung (nach Dortmund) ein Armutskongress stattfinden soll. Das Thema sei schließlich vielfältig und kompliziert. Und für den Rathauschef politisch wohl auch brandgefährlich.

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