München
Demonstrative Harmonie

Auf dem CSU-Parteitag in München beschwört Markus Söder Zusammenhalt und Solidarität

16.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:06 Uhr

München (DK) Für CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer war das Wochenende wohl weniger erfreulich: Das Magazin "Spiegel" packte Seehofer auf den Titel, Überschrift: "Der Gefährder".

Der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), unter dem Seehofer noch zu Bonner Zeiten Staatssekretär gewesen war, bezeichnete ihn als "tragische Gestalt", mit der er "Mitleid habe". Und dann meldete sich unmittelbar vor dem CSU-Parteitag am Samstag in München auch noch Erwin Huber zu Wort, Seehofers ewiger Konkurrent und Vorgänger als CSU-Parteichef. Huber hatte nach der Landtagswahl 2008 gehen müssen - wegen eines 43,4-Prozent-Ergebnisses, für das sie heute in der CSU unablässig Kreuzzeichen machen würden, könnte ihnen jemand einen solchen Erfolg für den 14. Oktober zusichern.

Zuletzt sah eine Umfrage die CSU bei 35 Prozent. In einem Interview machte Huber Seehofer dafür mitverantwortlich. Das Erscheinungsbild der CSU auf Bundesebene sei seit einem halben Jahr "miserabel" - und Seehofer habe durch seine Aktivitäten nicht zur Beruhigung beigetragen. Auf dem Parteitag werde Seehofer im persönlichen Gespräch gesagt bekommen, dass die Disziplin auf Bundesebene mit ausschlaggebend für das Landtagswahlergebnis in Bayern sein werde. Seehofer wischte derlei beiseite: Was Huber sage, habe er "schon eingepreist" - ein Gespräch zwischen den beiden gab es nicht.

Dafür musste Seehofer miterleben, wie sich ein Parteitag anfühlt, der nicht mehr für ihn, sondern für seinen Nachfolger, Ministerpräsident und CSU-Spitzenkandidat Markus Söder, zurechtgeschneidert wurde. Seehofer fiel die Rolle zu, Söder, den er als Nachfolger stets abgelehnt hatte und an den er nach der desaströsen Pleite bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst das Amt des Ministerpräsidenten nur widerwillig abgab, in höchsten Tönen zu würdigen. Er dankte ihm für seinen "ungeheuren Einsatz in den letzten Monaten", dafür, dass er nicht nur rede, sondern auch konkret handle, wenn es "um die kleinen Leute" gehe, wie etwa beim bayerischen Baukindergeld und bayerischen Pflegegeld. Stabilität in Bayern sei "in der Person von Markus Söder garantiert", er wünsche "dem Markus größtmöglichen Erfolg". Dafür gab es Anstandsapplaus.

Viel zu entscheiden gab es auf dem Parteitag im Münchner Postpalast nahe dem Hauptbahnhof nicht: Er war als Wahlkampfauftakt gedacht, Start eines vierwöchigen Schluss-Spurts, ehe am 14. Oktober die Wähler das letzte Wort haben. Ein Motivations-Event, sozusagen. Eine wichtige Botschaft, an der der Parteitagsregie offensichtlich gelegen war: Die starken Köpfe sollen zeigen, dass zwischen sie kein Blatt Papier passt. Längst wird, aufgrund der Störgeräusche aus Berlin, gemunkelt, Seehofer torpediere Söders Wahlkampf entweder bewusst - oder es sei ihm zumindest egal.

Wie auch immer - demonstrativ wurden alte Rivalitäten auf offener Bühne abgeräumt: Seehofer lobte Söder, Ex-Parteichef Theo Waigel und Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber, einander in herzlicher Abneigung verbunden, saßen Seit-an-Seit, Söder lobte Seehofer (abgesehen von der kleinen Randbemerkung, dass Berliner Diskussionen einen "Medienteppich über die Aktivitäten in Bayern" rollen würden). Auch Parteivize Weber, ebenfalls ein langjähriger Rivale und nun auf dem Sprung zu höchsten Weihen auf EU-Ebene, bekam von Söder Lob. Sogar in sehr offener Weise: Natürlich habe es in der Vergangenheit "Spannungen" gegeben, wie auch mit Seehofer, räumte Söder ein, doch: "Uns eint Bayern und die CSU. "

Im Übrigen legte Söder eine beachtliche Parteitags- und Wahlkampfauftaktrede hin, die im Anschluss mit langanhaltenden Ovationen belohnt wurde.

Grundtenor: Ein Bayern mit sieben Landtagsfraktionen (so viele sieht die letzte Umfrage des BR/Infratest im nächsten Landtag - statt vier wie derzeit), eine geschwächte CSU mit einem Koalitionspartner, dessen Parteizentrale zudem in Berlin liege und der deshalb von dort dirigiert werde, statt bayerische Probleme bayerisch zu lösen, das sei nicht mehr das alte, gute Bayern. Man müsse, so Söder, "den Mythos Bayern erhalten".

Bayern sei "konkurrenzlos" in Sachen Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, und in Sachen Sicherheit sowieso: "Chemnitz wäre in Bayern so nicht passiert. Das G20-Chaos in Hamburg wäre in Bayern so nicht passiert. Die Silvesternacht in Köln wäre in Bayern so nicht passiert. "

Und in Bayern, da werde sich um die kleinen Leute, die bürgerliche Mitte, die "Leberkäs-Etage" gekümmert, so Söder - siehe bayerisches Pflegegeld, bayerisches Baukindergeld und bayerisches Familiengeld. Ihn störe es, wenn in TV-Talkshows andauernd über alles Mögliche geredet werde, "nur über die Mitte der normalen Leute redet niemand".

Und: In Bayern seien Demokratie und Rechtsstaat handlungsfähig, wie sich etwa in der Flüchtlingspolitik zeige, wo man mit der neuen Grenzpolizei für Sicherheit an den Grenzen sorge, mit Ankerzentren für schnelle Asylverfahren und mit einem Landesamt für Asyl für schnelle Abschiebungen von denjenigen, die eben nicht hier bleiben könnten. Doch nur durch Humanität auf der einen und Ordnung auf der anderen Seite werde es gelingen, die Gräben, die in den vergangenen Jahren entstanden und sich bisweilen durch ganze Familien und Freundeskreise ziehen, zuzuschütten, so der Ministerpräsident weiter.

Doch die aktuelle Umfragesituation zeige: "Wir befinden uns in einer ernsten Situation, nicht nur für uns, sondern für die Demokratie in unserem Land", so Söder.

Vor allem auf die AfD schoss er sich ein: Anders als einst die Republikaner sei die AfD "Teil eines internationalen Netzwerks mit viel, viel Geld". Die AfD sei "viel schlimmer, als es die Republikaner je waren". Entstanden aus der Euro- und Finanzkrise habe sie sich "gewandelt und gehäutet", marschiere heute Seit-an-Seit mit NPD, Pegida und Hooligans. Und man müsse ja nur mal sehen: Die AfD in Bayern sei für freie Waffen, die AfD in Sachsen für Bürgermilizen - da könne man sich vorstellen, was für ein Land und politisches System die AfD wolle. Geradezu "schäbig und unanständig", so Söder, sei es, wenn ausgerechnet die AfD den Widerstand der "Weißen Rose" in der Nazizeit für sich in Anspruch nehme. Oder Franz Josef Strauß. "Franz Josef Strauß würde die AfD bekämpfen", rief Söder in den Saal - und erntete dafür mit den stärksten Applaus auf dem gesamten Parteitag.

Ihr Fett bekamen aber natürlich auch die übrigen politischen Mitbewerber ab: Die Grünen etwa, die mit Vorschriften und Verboten agierten, für die Landwirte Feinde seien, so Söder, und für die es typisch sei, dass sie den Diesel verteufelten, "weil sie das Auto generell nicht wollen". Was die Wohnungsnot angehe, so seien dafür in erster Linie die Kommunen zuständig - doch in München, wo die Not mit am höchsten sei, hätten Grüne und SPD 19 Jahre lang gemeinsam regiert und nichts vorwärts gebracht. Die SPD sei eine "trostlose Partei geworden, eine politische Insolvenzmasse, aus der sich jeder bedient". Statt gegen die CSU auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren solle sie lieber "für Ordnung im linken Lager sorgen". Die Freien Wähler wiederum seien eine "klassische Dafür-und-Dagegen-Partei", die keiner brauche. Und die FDP habe in Berlin bei den Jamaika-Verhandlungen gekniffen, als es auf sie angekommen sei - da dürfe man jetzt nicht erwarten, in München am gedeckten Koalitionstisch Platz zu nehmen.

Zum Abschluss gab es mahnende Worte: Bayern sei immer "ein Modellfall der Demokratie" gewesen, so Söder. Wenn es so komme, wie es sich in den Umfragen andeutet, dann "könnte Bayern zum Problemfall der Demokratie werden". Bayern sei "einzigartig, es wäre zu schade, es in falsche Hände zu geben. "

Zuvor hatte auch Seehofer betont, was man in den nächsten vier Wochen bis zur Wahl brauche: "Zuversicht statt Ängstlichkeit, Geschlossenheit statt Nörgelei, Einsatz statt Gemütlichkeit. " Sein Rat an die rund 800 Delegierten: "Schwärmt aus, sagt nichts anderes, als wir gesagt haben, rüttelt die Bevölkerung auf - mit einem ,Steht auf, wenn ihr für Bayern seid'". Ob die neue Harmonie zwischen Söder und Seehofer auch nach der Wahl hält, wird sich zeigen.

Alexander Kain