"Das ist extrem gefährlich für die Demokratie"

Landtagspräsidentin Ilse Aigner will Hetze und Drohungen gegen Politiker entschieden bekämpfen

02.02.2020 | Stand 02.12.2020, 12:03 Uhr
Ilse Aigner (CSU). −Foto: Rachel Boßmeier/dpa/Archivbild

Passau - "Man sollte nicht alle AfD-Abgeordneten über einen Kamm scheren", sagt Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU). Dennoch habe sich mit dem Einzug der AfD das Klima in den Parlamenten verändert, und es sei die Aufgabe der demokratischen Parteien, dafür zu sorgen, "dass parlamentarische Regeln beachtet werden", sagt die Politikerin im Interview mit unserer Zeitung. Auch die zunehmenden Anfeindungen gegenüber Kommunalpolitikern hält Aigner für gefährlich.

Frau Aigner, als Landtagspräsidentin haben Sie einen Strafantrag gegen den Passauer AfD-Landtagsabgeordneten Ralf Stadler gestellt, weil er gefälschte Fotos von Ihnen veröffentlicht hat. Auch seine Immunität wurde aufgehoben. Derlei hat es in den bald 75 Jahren, in denen der Landtag besteht, nicht gegeben. Was passiert da gerade?

Ilse Aigner: Das Klima in den Parlamenten hat sich verändert. Und das hat natürlich auch mit dem Einzug der AfD zu tun. Man darf und sollte nicht alle AfD-Abgeordneten über einen Kamm scheren. Aber gegen die, die auffällig werden, muss man die entsprechenden juristischen Mittel anwenden. Mir wäre es natürlich lieber, ich müsste das nicht machen. Aber in diesem Fall war das mehr als notwendig.

Wegen Hasskommentaren in einem sozialen Medium hat zudem die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen Stadler beantragt. Wie hat sich die Kultur im Landtag konkret verändert, seit die AfD eingezogen ist?

Aigner: Es gibt Abgeordnete, die provozieren und die Grenzen des parlamentarischen Miteinanders sehr bewusst austesten. Es ist die Aufgabe der demokratischen Parteien, dafür zu sorgen, dass parlamentarische Regeln beachtet werden. Und es ist natürlich insbesondere meine Aufgabe als Parlamentspräsidentin, dafür zu sorgen, dass die Würde des Hauses geachtet wird. Im Landtag diskutieren wir gerne laut und leidenschaftlich - aber wir drohen einander nicht. Wir ringen um die Sache gerne hart - aber greifen niemanden persönlich an. In einer Demokratie muss dieser Anstand ein Parlament, ja die gesamte Gesellschaft, prägen. Ich lege da sehr großen Wert drauf. Wir alle merken doch, dass sich in unserer Gesellschaft gerade viel verändert. Leider nicht zum Besseren.

Aus dem Bundestag gibt es die Klage, dass AfD-Leute gerade auch außerhalb des Plenarsaals, auf den Gängen und in den Büro-Trakten bis an den Rand der Handgreiflichkeit gegangen sein sollen. Haben Sie derlei auch aus dem Landtag gehört?

Aigner: Handgreiflichkeiten wurden mir noch nicht zugetragen. Ein AfD-Abgeordneter, der mit einer Rüge nicht einverstanden war, ist mir einmal körperlich sehr nahegekommen. Diese Distanzlosigkeit habe ich als sehr unangemessen und unangenehm empfunden.

Haben die AfD-Wähler vielleicht genau das beabsichtigt? Die etablierten Parteien aufzuschrecken?

Aigner: Diese Wähler gibt es mit Sicherheit. Aber ich bin überzeugt, dass etliche von ihnen gar nicht wussten, wen sie da wählen. Schließlich waren viele AfD-Kandidaten schlicht unbekannte Persönlichkeiten. Dennoch sollte jedem klar sein, welche Konsequenzen eine solche Wahl für die Demokratie hat. Es ist schon ein bisserl schizophren: Auf der einen Seite verlangen die Wähler von der Politik möglichst schnelle, klare Entscheidungen. Und auf der anderen Seite fächert sich das Parteienspektrum immer weiter auf, was gerade eine Entscheidungsfindung immer schwerer macht und was zu sehr schwierigen Regierungsbildungen führen kann, wie man in Thüringen sieht. Oder es entstehen Kompromisse, die keiner mehr versteht. Es ist der Vorteil einer großen Volkspartei, dass sie die Auseinandersetzung um den richtigen Weg intern austrägt, um dann mit einem abgestimmten, gemeinsam getragenen Konzept ins Parlament zu gehen. Für mich sind Volksparteien gut für das demokratische Miteinander und eben nicht schlecht, wie das rechte wie linke Populisten den Menschen glauben machen wollen.

Jede Fraktion stellt einen Landtags-Vizepräsidenten. Nur nicht die AfD. Grund: Ihre Kandidaten werden regelmäßig nicht gewählt. Ist das die richtige Strategie?

Aigner: In der Geschäftsordnung des Landtags ist klar geregelt, dass die Vizepräsidenten in einer geheimen Wahl gewählt werden. Wenn also Vizepräsidenten-Kandidaten der AfD keine Mehrheit finden, lässt sich das nicht ändern.

Würden Sie es gut finden, wenn das Thema trotzdem mal vom Tisch wäre?

Aigner: Das Thema ist keine Belastung, weil unser Landtagspräsidium sehr gut funktioniert. Wir pflegen untereinander ein sehr kollegiales Verhältnis über Partei- beziehungsweise Fraktionsgrenzen hinweg. Und das ist auch wichtig, wenn es darum geht, die Würde des Hauses zu bewahren. Wir machen es uns zum Beispiel nicht leicht, wenn wir eine Rüge erteilen. Bei uns gibt es deswegen einen Videobeweis, um ganz sicher zu gehen. Alles läuft sehr korrekt, sehr sachlich ab. Ich bin mir nicht sicher, ob das in einer anderen Konstellation ebenso funktionieren würde.

Sie haben eben das Klima angesprochen, in dem heute Politik betrieben wird. Bereits Kommunalpolitiker sind heute Anfeindungen ausgesetzt, die kaum erträglich sind. Was tun?

Aigner: Ich sehe das als große Gefahr, denn die Kommunalpolitik ist die Wiege der Demokratie. Dort finden viele den Ein- und Aufstieg in die Politik. Die Anfeindungen haben eine Dimension angenommen, die weit, weit über die sachliche Auseinandersetzung hinausgehen. Gerade die Anonymität im Internet empfinde ich als eine Art Brandbeschleuniger. Ich weiß zwar noch keine Lösung, aber ich habe den Justizminister gebeten, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen. Böse Gedanken hat es schon immer gegeben; doch jetzt kommen vor allem im Internet böse Worte, Hass, Hetze und Bedrohungen hinzu. Der Schritt zur kriminellen Tat ist dann vielleicht nicht mehr weit. Das ist extrem gefährlich für unsere Demokratie. Denn wenn engagierte, fähige Menschen für die Politik verloren gehen, weil sie bedroht und beschimpft werden, dann ist das ein immenser Schaden für unser Gemeinwesen. Und vor allem für Frauen, die wir doch stärker in die Politik bringen wollen, wirkt eine solche Bedrohung besonders abschreckend.

Wie schwer ist es denn tatsächlich, Frauen in die Politik zu bringen? Die CSU hat sich ja an einer Quote bereits an der Basis versucht.

Aigner: Schon die Diskussion auf dem CSU-Parteitag hat dazu geführt, dass man sich bemüht hat, bei der Kommunalwahl mehr Frauen aufzustellen. Das ist unterschiedlich gut gelungen. Bei mir im Stimmkreis ist jeder dritte Platz mit einer Frau besetzt - das ist mehr als bisher und ein wichtiger Schritt.

Noch zäher als in der Politik läuft es, was die Frauen angeht, in der katholischen Kirche. Sie sind eine Antreiberin für das Projekt Maria 2.0.

Aigner: Ich besuche derzeit alle Bischöfe in Bayern - als Landtagspräsidentin und als gläubige Katholikin. Dies tue ich auch, um die Debatte anzutreiben, wie die Kirche wieder Menschen erreichen kann, die sich von ihr abwenden. Und welche Rolle Frauen künftig in der Kirche einnehmen. Frauen prägen die Pfarrgemeinden vor Ort sehr stark, Kinder finden den Zugang zu Glauben und Kirche vor allem durch die Mütter. Mir ist klar, dass Fragen zu Zölibat oder Frauenordination nicht die katholische Kirche in Bayern oder Deutschland beantworten kann - da wird die Weltkirche ganz sicher mitreden. Und wer Rom kennt weiß, wie weit der Weg ist. Aber die längste Reise beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt.

Das Interview führten Ernst Fuchs und Alexander Kain.