Ingolstadt
Schlaganfall für Drogeneinfluss gehalten

Münchner sitzt nach Verkehrsverstoß stundenlang auf Ingolstädter Polizeiwache - Nach Not-OP kämpft er um sein Leben

17.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:23 Uhr

Ingolstadt (DK) Schwere Vorwürfe erhebt die Verlobte eines Münchners gegen die Verkehrspolizei Ingolstadt. Der Mann habe mehrere Stunden auf der Wache verbringen müssen, obwohl er am Autosteuer einen schweren Schlaganfall erlitten habe und ärztlicher Behandlung bedurft hätte. Er liege nun auf Intensivstation und kämpfe um sein Leben. Die Polizei reagierte gestern sehr betroffen auf den Vorhalt, sieht aber ihrerseits keine Versäumnisse.

Der 57-Jährige war am Dienstag, wie in einem Teil unserer Zeitung bereits kurz berichtet, gegen 22.50 Uhr mit seinem Skoda in Schlangenlinien auf der A9 bei Denkendorf in Richtung Süden unterwegs gewesen - auffallend langsam, die Polizei sprach von Tempo 40. Andere Autofahrer meldeten den Vorfall, eine Streifenwagenbesatzung lotste den Münchner an der Rastanlage Köschinger Forst aus dem Verkehr. Wie er seiner Verlobten später erzählte, sollen die zwei Polizisten ihn aus dem Wagen gezerrt und ihm sofort Handschellen auf dem Rücken angelegt haben. Der Münchner habe dabei "erhebliche Ausfallerscheinungen" gezeigt, hielten die Beamten fest, ein Alkoholtest blieb jedoch negativ. Positiv fiel aber ein Drogenschnelltest aus. Vielleicht, weil er nach zwei OPs starke Medikamente braucht? "Der Mann ist auf Anordnung der Staatsanwaltschaft kurz vor Mitternacht zu einer Blutentnahme ins Klinikum Ingolstadt gebracht worden", sagt Hans-Peter Kammerer vom übergeordneten Polizeipräsidium Oberbayern-Nord.

Obwohl der 57-Jährige sich nun in fachkundigen Händen befand, habe der Arzt den Schlaganfall nicht erkannt, sagt seine Verlobte. "Man hat ihn einfach in die Ecke Drogenkonsument gestellt. " Die Polizei nahm den Mann anschließend wieder mit auf die Wache und versuchte, seine Lebensgefährtin in München zu informieren. Aber "ausgerechnet in dieser Nacht hatte ich das Telefon auf lautlos gestellt", sagt die 53-Jährige. Es war bereits nach halb vier, als eine Münchner Streife bei ihr klingelte und sie informierte. Mit dem Zug machte sie sich auf den Weg nach Ingolstadt, um den Verlobten zu holen.

"Der Mann hat derweil im Vorraum der Wache auf sie gewartet", sagt Hans-Peter Kammerer. Man habe immer wieder nach ihm geschaut, eine Kollegin habe zwischendurch gefragt, ob alles in Ordnung sei und ob er Hilfe brauche. "Das hat er abgelehnt. Er war ansprechbar und hat geäußert, dass er Medikamente nehme. Für die Kollegin und die anderen auf der Dienststelle hat alles schlüssig ausgesehen. " Sein Zustand sei auf den mutmaßlichen Drogenkonsum zurückgeführt worden, und eigentlich sei er bereits aus dem Gewahrsam entlassen gewesen. Man habe ihm nur die Gelegenheit gegeben, auf seine Lebensgefährtin zu warten. Die traf aber erst um 7.50 Uhr ein.

"Ich habe ein Häufchen Elend vorgefunden und sofort gesehen, was los ist", erzählt die Frau ihre Sicht der Dinge. "Seine Reaktion war verlangsamt, eine Gesichtshälfte ist herabgehängt, und er hat gesprochen wie einer, der vom Zahnarzt kommt. " Die eine Hand habe er ganz komisch gehalten, und beim Aufstehen sei er eingeknickt. Sie habe die Polizei gefragt, ob sie nicht sehe, was Sache ist. "Die Antwort war: Der sieht halt aus wie einer, der unter Betäubungsmitteleinfluss steht. " Die 53-Jährige ließ den Rettungsdienst rufen.

Der Münchner liegt seither auf Intensivstation. In einer Notoperation wurde ihm ein Blutgerinnsel im Gehirn entfernt. Sein Zustand war am Donnerstagabend sehr kritisch. Seine Verlobte erwägt jetzt rechtliche Schritte gegen die Polizei und den für die Blutentnahme zuständigen Arzt wegen unterlassener Hilfeleistung. "Wenn nur einer genau hingeschaut hätte, müssten wir jetzt nicht um sein Leben bangen. "