Ingolstadt
"Naturschutz war noch nie ein Sprint"

LBV-Vorsitzender Norbert Schäffer stellt Forderungen zum Erhalt der Artenvielfalt

15.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:14 Uhr
Klare Kante: LBV-Vorsitzender Norbert Schäffer, promovierter Biologe, beim Interview mit dem DONAUKURIER. −Foto: Tamm

Ingolstadt (DK) Im Oktober wählt Bayern einen neuen Landtag. An die neue Regierung stellt der Landesbund für Vogelschutz (LBV) schon jetzt konkrete Forderungen. Im Interview mit unserer Zeitung spricht der Vorsitzende Norbert Schäffer über Artenrückgang, Flächenfraß, Glyphosat und EU-Gelder für die bayerische Landwirtschaft.



Herr Schäffer, 2008 beschloss der Ministerrat, die Anstrengungen zum Erhalt der Artenvielfalt zu verstärken. Wie lautet Ihr Fazit?

Norbert Schäffer: Es ist einiges passiert, aber bei Weitem nicht genug. Das Thema ist in der Bevölkerung angekommen, das zeigt uns auch die Reaktion auf das Insektensterben. Wir haben das Gefühl, dass die Politik ein Stück weit nachzieht. Dass man Worte wie Insektensterben und Artenschutz in Regierungserklärungen hört, das ist neu. Was jetzt aber passieren muss, das sind Maßnahmen in der Fläche. Wir müssen aufpassen, dass wir über Artenrückgang nicht nur reden, sondern es auch tatsächlich anpacken.

Für welche Arten kommt trotz allem jede Anstrengung zu spät?

Schäffer: Wir als LBV werden nie Arten aufgeben. Es gibt auch Arten, bei denen wir spektakulär erfolgreich waren, zum Beispiel beim Weißstorch. Wir haben bayernweit um die 500 Brutpaare, vor 30 Jahren waren das zehn Prozent davon. Dass man in München Wanderfalken sehen kann, war vor 30 Jahren noch undenkbar. Es gibt aber auch Sorgenkinder. Das sind insbesondere die Vögel der Agrarlandschaft: Feldlerche, Kibitze, Rebhuhn. Eine Vogelgruppe, die uns sehr am Herzen liegt und bei der sich der Erfolg noch nicht einstellt, das sind die Wiesenbrüter. Der Rotschenkel ist fast verschwunden, bei der Uferschnepfe rechnen wir damit, dass sie in den nächsten fünf Jahren in Bayern ausstirbt.

Wie steht es um das Wissen um den Artenschutz?

Schäffer: Wir wissen, dass wir in den letzten 40 Jahren in der Agrarlandschaft - gemessen an häufigen Vögeln -, mindestens die Hälfte der biologischen Vielfalt verloren haben. Und wir haben den Wendepunkt noch nicht erreicht. Die Bevölkerung weiß das zunehmend auch und es ist ihr nicht egal. Gleichzeitig gibt es aber Nachholbedarf. Wenn Menschen eine Löwenzahnwiese für wilde Natur halten, dann ist das einfach ein völlig falsches Bild.

Sie fordern "Heimat erhalten". Damit müssten Sie bei der CSU offene Türen einrennen.

Schäffer: Das denke ich auch. Wenn ich auf CSU-Veranstaltungen bin, werden dort Bilder von einer Landschaft gezeigt, die genauso aussieht, wie wir sie uns wünschen. Das sind Schutzgebiete und Landschaften, die reich an biologischer Vielfalt sind, dazu bunte Blumen, Obstbäume, Schmetterlinge. Unsere Analyse der Situation ist aber eine andere. Was wir draußen sehen, ist, dass wir jeden Tag ein Stück biologische Vielfalt verlieren und damit ein Stück Heimat. Für uns sind eine Blumenwiese und der Gesang der Feldlerche Teil der Heimat, genauso wie unsere Kultur und unser Brauchtum.

Was also tun gegen Flächenfraß?

Schäffer: Wir haben uns dem Volksbegehren angeschlossen und wollen den Flächenfraß auf fünf Hektar pro Tag begrenzen. Das ist zunächst einmal eine plakative Forderung, aber wir mussten diesen Schritt gehen. Seit 15 Jahren sind wir Mitglied im Pakt zum Flächensparen, doch es hat sich nichts geändert. Fünf Hektar lassen immer noch sehr viel Entwicklung zu. Außerdem sind die Möglichkeiten zur Innenentwicklung gigantisch, da muss man sich nur einmal die Leerstände in vielen Städten anschauen. Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir zurück auf die Bäume wollen. Aber wir wollen die wirtschaftliche Entwicklung lenken und weg von diesem grenzenlosen, maßlosen Flächenverbrauch.

Stichwort Glyphosat: Das Totalherbizid bleibt für weitere fünf Jahre erlaubt. Was kann der LBV in der Zwischenzeit tun?

Schäffer: Wir werden auch weiterhin darauf hinweisen, dass wir durch die intensive Anwendung von Pestiziden große ökologische Schäden anrichten. Ministerpräsident Markus Söder hat gesagt, dass ein Verbot in Bayern noch vor dem Verbot auf Bundesebene kommt. Und es steht im Koalitionsvertrag. Wichtig ist aber, dass Glyphosat nicht einfach durch andere Mittel ersetzt wird. Wir müssen über die Art und Weise reden, wie wir unser Land bewirtschaften. Es gibt Studien, die sagen, wir könnten ohne einen spürbaren Produktionsverlust die Pestizide um die Hälfte runterfahren.

Warum verzichten die Landwirte dann nicht darauf?

Schäffer: Ich denke, es sind ökonomische Interessen. Aber: Viel hilft nicht viel.

Welche Maßnahmen fordern Sie vom Freistaat in Hinblick auf das Insektensterben?

Schäffer: Runter mit dem Pestizideinsatz, runter mit dem Düngemitteleinsatz. Wir brauchen Flächen in der Landschaft, die Naturschutz-Vorrangflächen sind. Etwa Wegeränder, Hecken - wo sich das Leben halten kann, auch wenn außen herum bewirtschaftet wird. Brennpunkt ist auch hier die Landwirtschaft.

Landwirte bekommen Geld für Naturschutz-Maßnahmen.

Schäffer: Ja, aber wir wissen aus vielen Studien, dass nur ein kleiner Teil dieser Maßnahmen - Buntbrachen, Hecken - wirklich etwas bringt. Besonders verheerend ist es, wenn Wegeränder oder Blühstreifen angelegt werden und die dann im Juni gemulcht und mit der Maschine bearbeitet werden. Da wird versucht, etwas Gutes zu tun, was aber schlecht ausgeführt wird. Stattdessen wäre es auf kommunalen Flächen besser, nicht jedes Jahr zu mähen. Das kann sich jeder leicht vorstellen: Der Lebenszyklus der Insekten in diesem Lebensraum dauert das ganze Jahr. Wenn ich diesen Lebensraum vorübergehend vernichte, dann verschwinden auch die Insektenarten.

Wie lautet also Ihre Forderung?

Schäffer: Unsere Forderung lautet: öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen. Ein Landwirt soll nicht nur dafür entschädigt werden, wenn er durch Natur- oder Artenschutzmaßnahmen auf einen Teil seines Einkommens verzichtet. Er soll dafür belohnt werden. Es muss für Landwirte genauso lukrativ sein, Blumenwiesen zu haben wie Maisäcker. Wir wehren uns ganz vehement gegen eine pauschale Vorverurteilung der Landwirte. Sie bewirtschaften das Land mit ihren Maschinen, sind aber auch an die Förderrichtlinien gebunden. Ebenso lehnen wir das System der Direktzahlungen ab. Diese Zahlungen sind an die Flächengrößen gebunden, doch es gibt dafür relativ wenige Auflagen, die relevant für den Naturschutz sind. Da möchte ich nicht zynisch werden, aber man kann nicht einfach Geld für die Einhaltung von Gesetzen erhalten.

Hätten Sie einen Wunsch an die Staatsregierung frei, was wäre das?

Schäffer: Da müsste ich mich entscheiden zwischen wirklich effektiven Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft oder dem Mut, nutzungsfreie Schutzgebiete auszuweisen. Das eine geht in die Fläche, das andere wäre ein schönes Geschenk an die Bevölkerung anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Freistaat.

Aber Hand aufs Herz: Der dritte bayerische Nationalpark ist gestorben, oder?

Schäffer: Naturschutz war noch nie ein Sprint, Naturschutz war immer ein Marathonlauf. Wie weit wir in diesem Marathon sind, das weiß ich nicht.

Die Fragen stellte Verena Belzer.