Ingolstadt
"Berlin ist eine andere Liga der Politik"

12.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Rückschau: Horst Seehofer betrachtet vor dem Interview im DONAUKURIER-Verlagsgebäude einen zehn Jahre alten Sonderdruck zu seinem Amtsantritt als Ministerpräsident im Jahr 2008. Nun wechselt der 68-Jährige wieder nach Berlin. Morgen soll er dort als Bundesinnen- und Heimatminister vereidigt werden. - Foto: Oppenheimer

Ingolstadt (DK) Zehn Jahre war er Ministerpräsident in München, jetzt wechselt Horst Seehofer in die Bundesregierung. "Ich muss mir nichts mehr beweisen", sagt der CSU-Chef. Aber die neuen Gestaltungsmöglichkeiten sind für ihn "schon verführerisch" - und fit genug fühlt er sich auch. Wir haben mit Seehofer über seine landespolitische Bilanz und die bevorstehenden Aufgaben gesprochen.

Herr Seehofer, Ihr Abschied als Ministerpräsident steht unmittelbar bevor. Wie geht es Ihnen?

Horst Seehofer: Ich hatte genug Zeit, mich darauf einzustellen. Ich durfte zehn Jahre lang dieses Land führen, die Ergebnisse stimmen. Deshalb bin ich zufrieden. Dass ich noch mal so eine neue, gigantische Aufgabe übernehmen darf, war nicht planbar. Aber es hat sich bei den Koalitionsverhandlungen so ergeben. Es war insbesondere auch der Wunsch der Kanzlerin.

 

Wie war das, als Sie den Entschluss gefasst haben, das Amt zu übergeben?

Seehofer: Es war ein schwieriger Abwägungsprozess für mich. Denn schließlich bin ja noch bis Herbst 2018 gewählt. Ich trete ja auch nicht zurück, weil sich der Freistaat Bayern in einer Krise befindet oder wir von Skandalen erschüttert werden. Ich trete zurück, weil das insbesondere die Erwartungshaltung aus der Landtagsfraktion war. Wenn man das weiß, muss man entscheiden, ob man eine Konflikt- oder eine Konsenslösung will. Ich habe mich für den Konsens entschieden. Die Übergabe an Markus Söder und den neuen, alten Schwerpunkt Berlin.

 

In Ihrem Alter genießen die meisten Menschen schon den Ruhestand. Warum Sie nicht? Können Sie nicht loslassen?

Seehofer: Ich habe keine Angst vor dem Ruhestand. Mit dem, was ich jeden Tag abliefere und leiste, fühle ich mich nicht alt. Für mich spielt das Alter keine Rolle. Ich habe bei den Verhandlungen der vergangenen Wochen viele jüngere Kollegen gesehen, die weniger fit waren. Es kommt immer auf die persönliche Verfassung an.

 

Sie hatten schon mal guten Grund, auf Ihren Körper zu hören. Ist das kein Thema mehr?

Seehofer: Wenn man wie ich 2002 so eine ernste Erkrankung hatte (eine virale Herzmuskelentzündung; Anm. d. Red.), dann geht man natürlich regelmäßig zum Arzt und hört auf seinen Körper. Aber das ist alles ausgeheilt. Termine sind für mich kein Stress an sich. Die körperliche Belastung ist steuerbar, da schaue ich drauf.

 

Was treibt Sie an? Lust an der Macht? Freude am Gestalten? Pflichtgefühl? Wollen Sie sich noch mal etwas beweisen?

Seehofer: Ich war zehn Jahre lang Ministerpräsident. Jetzt komme ich an die Spitze des vierten Bundesministeriums. Das gab es so noch nicht. Ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich muss in Berlin niemandem zeigen, dass ich lesen und schreiben kann. Der größte Ansporn ist, etwas gestalten zu können. Wir hatten in Bayern viele Fragen, bei denen wir ohne den Bund nicht weiterkamen. Sicherheit und Zuwanderung zum Beispiel. Jetzt kann ich diese Dinge selbst in die Hand nehmen und lösen. Das ist schon verführerisch.

 

Das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten ist das schönste nach dem des Papstes, haben Sie einmal gesagt.

Seehofer: Das bleibt es auch. Der Freistaat Bayern bleibt das Paradies. Aber es gibt auch Verantwortlichkeiten in Deutschland, die sind noch bedeutsamer. Weil sie für noch mehr Menschen übernommen werden müssen. Sicherheit, Gesundheit, soziale Gerechtigkeit - da werden die Grundlagen in Berlin geschaffen. Ich habe Respekt vor dem Amt, aber ich freue mich auch darauf.

 

Diese Woche wird es kurz zwei Heimatminister geben: Horst Seehofer und Markus Söder.

Seehofer: Das Heimatministerium hat am Anfang viel Spott bekommen. Dabei beschäftigt sich jede Partei mit Heimat. Deshalb war es ein Volltreffer. Ich bin froh, dass ich es eingeführt habe. Zu Markus Söder: Wir werden vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wenn wir uns treffen und uns nicht gleich um den Hals fallen, dann ist es kein Anzeichen für eine Krise.

 

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Heimatministerium?

Seehofer: Das wird weder ein Ministerium für Dirndl oder Lederhose, noch ist es ein Ministerium für Folklore und Brauchtum. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung wird es beispielsweise die Raumordnung für Deutschland betreiben. In Bayern heißt das Landesentwicklungsprogramm. Ich will vor allem den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Dazu möchte ich auf Bundesebene ein Wertebündnis gründen, wie wir es in Bayern schon haben. Da ist eine Menge zu leisten, auch präventiv. Gegen politischen Radikalismus. Dazu gehört auch der Dialog der Regionen. Das Heimatministerium wird sich auch mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland beschäftigen. Da gibt es Problemregionen in Ost und West. Da muss man sehen, was man über die Wissenschaft, die Arbeitsplätze, die Infrastruktur machen kann. Für alle Ministerien habe ich eine koordinierende Funktion. Die Ressortminister behalten ihre starke Funktion, so machen wir das auch in Bayern.

 

Sie kennen das politische Geschehen in Berlin und München. Wo geht es härter zu?

Seehofer: Das sind beides keine Harmonieveranstaltungen. Man kann Berlin nicht mit München vergleichen. Berlin ist eine andere Liga der Politik, mit einer anderen nationalen und internationalen Aufmerksamkeit. München ist deshalb so spannend, weil Bayern mit Abstand das erfolgreichste Bundesland ist. Dafür muss jede Woche etwas getan werden. In Berlin geht es mehr um die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, ohne die wir in Bayern nicht so erfolgreich sein könnten.
 

Wäre ein Parteivorsitzender ohne Amt in Berlin möglich?

Seehofer: Nein, auf keinen Fall. Sie benötigen die Kraft am Kabinettstisch. Ich bin nun in der glücklichen Rolle, der Kanzlerin genau gegenüberzusitzen. Aus Spaß habe ich schon mal gesagt, dass mir das gar nicht so recht ist, weil ich damit ihrer direkten Kontrolle ausgeliefert bin.

 

Lassen Sie uns über die Jamaika-Sondierungen sprechen. Wie groß war Ihre Enttäuschung über das Scheitern?

Seehofer: Ich sah nach vier Wochen eine echte Chance. Deshalb bin ich heute noch enttäuscht. Für mich ist es noch immer rätselhaft, weshalb die FDP das beendet hat. Auch Jamaika wäre eine gute Regierung gewesen. Eine politische Kraft, die den Schwerpunkt auf die Ökologie legt. Eine weitere Partei, die vor allem die Wirtschaft im Auge hat, und die CDU/CSU, die das Soziale und viele andere Spektren abdeckt. Das wäre eine wunderbare Symbiose gewesen, wie wir sie in Deutschland bislang noch nie hatten. Es wäre spannend geworden, weil wichtige Themen wie Ökologie vorangetrieben worden wären wie nie zuvor.

 

Stimmt der Eindruck, dass Sie bei den Gesprächen den Grünen näher waren als der FDP?

Seehofer: Mit Katrin Göring-Eckhardt und Cem Ödzdemir hatten die Grünen ein starkes Gespann. Was mich vor allem überzeugt hat, war die Qualität der Verhandler der Grünen. Das waren viele junge Leute, ein breites Spektrum von Personen. Sie waren unheimlich stark vorbereitet in der Sache und dann macht Politik Spaß. Wenn nicht geschwafelt wird, das mag ich. Da gewinnen wir alle.

 

Ein Wort zur FDP?

Seehofer: Sie hat nicht schlecht verhandelt. Aber dieser Eindruck wurde von ihr selbst mit einem Schlag zerstört. Das Argument, nach vier Wochen intensiver Verhandlungen keine Vertrauensbasis zu haben, überzeugt mich bis heute nicht.

 

Haben Sie mit FDP-Chef Christian Lindner darüber geredet?

Seehofer: Nein, ich habe ihn seitdem nicht mehr getroffen. Es würde mich schon interessieren, warum es zu diesem abrupten Abgang gekommen ist.

 

War die große Koalition für Sie sofort die letzte Rettung?

Seehofer: In einer Situation, wo die Bundesrepublik Deutschland so lange ohne gewählte Regierung ist, müssen Sie jede Option durchdenken. Ich hätte auch Neuwahlen in Erwägung gezogen. Dann kam es so, wie es jetzt ist. Und das ist gut so. Jetzt ist entscheidend, dass diese Regierung einfach arbeitet.

 

Jetzt kursieren Gerüchte, dass Sie und die Kanzlerin nicht die volle Legislaturperiode machen.

Seehofer: Ich weiß nicht, wer solche Gerüchte immer in die Welt setzt. Es hat auch keinen Sinn, zu solch einem Geschwätz immer wieder Stellung zu nehmen. Das sind Leute, die feige sind. Sie nennen ihren Namen nicht. Was soll das? Ich kann nur sagen: Wir haben als CSU so erfolgreich verhandelt wie nie zuvor. Wir mussten keine Kröte schlucken. Wir haben drei starke Ministerien und eine Staatsministerin im Kanzleramt bekommen. Zudem ist das Innenministerium zu einem Superministerium erweitert worden. Das hatten wir in der CSU lange nicht mehr. Diese Regierung ist auf vier Jahre angelegt. Wir haben vereinbart, dass es in den vier Jahren keine wechselnden Mehrheiten gibt. Das ist die Grundlage.

 

Zurück zu den zehn Jahren als Ministerpräsident. Was war Ihr schönstes Erlebnis? Ihr größter Erfolg?

Seehofer: Die Nacht nach der Landtagswahl 2013. Weltwirtschaftskrise, Landesbankkrise, Verwandtenaffäre - es gab viele Probleme. Trotzdem ist es uns gelungen, die absolute Mehrheit zu gewinnen. Wir können den vorzeitigen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten nur deshalb vollziehen, weil wir damals so stark waren. Wir haben Bayern zu einer Blüte geführt wie noch nie zuvor. Das war für mich das Schönste - neben dem Zusammentreffen mit den Menschen. Hervorheben möchte ich die Aussöhnung mit Tschechien. Die Politik muss auch Bleibendes schaffen, das ist uns hier gelungen. Wie auch der Ausbau von Universitäten. Schauen Sie sich die TH Ingolstadt an. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben viel auf den Weg gebracht.

 

Was hat Sie geärgert?

Seehofer: Die Verwandtenaffäre. So etwas tut man nicht. Das war mitten im Wahlkampf, wir haben unseren Fraktionsvorsitzenden ausgewechselt und die Liste neu aufgestellt. Wenn wir das nicht getan hätten, hätten wir die Wahl 2013 nicht so gewonnen. Alle haben das Geld zurückgezahlt, das habe ich von ihnen verlangt.

 

Was Sie sicher ärgert, ist, dass ausgerechnet in Ihrer Heimatstadt mit Alt-OB Alfred Lehmann ein CSU-Politiker wegen Bestechlichkeit und Untreue angeklagt wird.

Seehofer: Ärgern ist der falsche Begriff. Ich bin wegen der Angelegenheit tief getroffen. Ich hoffe, dass Alfred Lehmann die Vorwürfe entkräften kann. Das ist mein innigster Wunsch. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Man darf nicht alles vermengen, aber das, was in den vergangenen Jahren in der Region passiert ist, ist nicht immer förderlich für untadelige Politik aus Sicht der Bevölkerung.

 

Zum Abschluss wollen wir noch auf Ihr liebstes Hobby, den Modelleisenbahnbau, kommen. Sie haben einmal gesagt, dass nur Familienmitglieder und Menschen, denen Sie vertrauen, mit der Bahn spielen dürfen. Wer hat denn Ihr Vertrauen?

Seehofer: Außer meiner Familie und privaten Freunden im Moment niemand.

 

Kein Parteifreund?

Seehofer: Das ist eine sehr glitschige Frage (lacht). Aber meine Bahn wird jetzt ruhen, ich habe einfach keine Zeit dafür.

 

Ihr politisches Leben solle sich in der Eisenbahnlandschaft wiederfinden, haben Sie mal gesagt. Wie werden die vergangenen zehn Jahre eingebunden?

Seehofer: Bayern bildet einen ganzen Schenkel der Landschaft. Der Bahnhof heißt Schwarzburg und soll die CSU zum Ausdruck bringen. Vielleicht kann ich mal die Staatskanzlei unterbringen. Die alte CSU-Landesleitung habe ich zum 65. Geburtstag von meinen Mitarbeitern bekommen.

 

Hat die Digitalisierung schon Einzug gehalten?

Seehofer: Ja, total. Die Bahn wird digital gesteuert, und zwar nicht erst seit die Politik die Digitalisierung entdeckt hat. Das Faszinierende ist genau das technische Know-how. Deshalb sagen viele Eisenbahnfreaks: Wenn eine Anlage einmal fertiggestellt ist, dann wird die Bahn uninteressant.

 

Die Fragen stellten Stefan König,

Gunther Lutz, Silvia Obster und

Peter Felkel.