Regensburg
Drittes Geschlecht auf dem Vormarsch

Immer mehr Stellenanzeigen mit dem Zusatz "m/w/d" - Regensburg sucht "diversen" Kulturreferenten

18.11.2018 | Stand 23.09.2023, 5:00 Uhr

Regensburg/Ingolstadt (DK) Das Dritte Geschlecht erobert allmählich auch die Stellenausschreibungen: Dort tauchen nicht mehr nur "m" für männlich oder "w" für weiblich auf, sondern immer öfter auch ein "d".

Das ist die Abkürzung für "divers" - Signal für eine geschlechtsneutrale Stellenanzeige. So sucht die Stadt Regensburg gerade einen "diversen" Kulturreferenten. Auch andere bayerische Landkreise und Kommunen inserieren verstärkt mit dem Dritten Geschlecht.

Doch wie viele "diverse" Menschen gibt es eigentlich in Regensburg? Stadtsprecherin Juliane von Roenne-Styra kann das nicht sagen, denn noch sei es nicht möglich, sich beim Standesamt mit "divers" eintragen zu lassen. Das kann sich aber bald ändern.

Grund ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober letzten Jahres. Ein intersexueller Mensch war mit seiner Klage auf Änderung seines Geschlechts auf "divers" oder "inter" vor sämtlichen Instanzen gescheitert. Die Karlsruher Richter hingegen forderten mit ihrem Beschluss ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister.

Bislang bleibt intersexuellen Menschen nur die Möglichkeit einer Leerstelle: Neugeborene werden von Standesbeamten entweder als männlich oder als weiblich eingetragen - oder als gar nichts. Doch bis Ende des Jahres muss der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen. Der Entwurf zur Änderung des Personenstandsgesetzes wird gerade im Innenausschuss beraten, am 26. November ist eine Sachverständigenanhörung geplant. Dass "eine Variante der Geschlechtsentwicklung" vorliegt, muss durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden, heißt es darin. Eine Regelung, die unter Betroffenen auf Widerstand stößt.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wirkt sich aber nicht nur für die Standesämter aus, er kann auch arbeitsrechtliche Folgen haben: Um Ärger oder gar Schadensersatzforderungen zu vermeiden, wird Unternehmen geraten, die Formulierungen in ihren Stellenanzeigen anpassen.

Eine entsprechende Empfehlung des Kommunalen Arbeitgeberverbands hat auch die Stadt Beilngries im Kreis Eichstätt veranlasst, auf der Suche nach Verstärkung für das Standesamt in der Anzeige ein "d" hinzuzufügen - es war das erste derartige Inserat in unserer Zeitung. "Im Bayerischen Staatsanzeiger ist das schon seit Monaten gang und gäbe", sagt Robert Lenz, geschäftsleitender Beamter bei der Stadt Beilngries. Besondere Reaktionen habe die Annonce jedoch nicht ausgelöst: "Es gab diverse Bewerbungen, darunter aber niemand, der sich divers nannte. "
In Regensburg rieb sich mancher die Augen, als er die Ausschreibung für den wichtigen Posten des städtischen Kulturreferenten sah. Gesucht wird, als Nachfolger für Clemens Unger, eine gut vernetzte und kreative Person, die Regensburg in Sachen Kultur und Welterbe voran bringt. Im Inserat der Stadt heißt es erstmals "m/w/d".

Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer steht voll und ganz hinter dem "d" in den Inseraten. "Die Karlsruher Richter haben entschieden, ein drittes Geschlecht jenseits von Mann und Frau anzuerkennen. Auch wenn damit noch nicht alle Probleme in Sachen Diskriminierung gelöst sind, ist dieses Urteil in meinen Augen ein wichtiges Signal", so die SPD-Politikerin. Die Stelle des Kulturreferenten ist nicht die einzige, die intersexuell ausgeschrieben wird. Auch ein Koch für die Stadt wird nicht nur unter den Männern und Frauen gesucht, sondern auch unter dem Dritten Geschlecht.
Sogar der konservativer regierte Kreis Regensburg hat begonnen, mit dem dritten Geschlecht zu inserieren. "Seit Anfang dieses Monats wird bei Stellenausschreibungen des Landkreises das Kürzel m/w/d verwendet", so der Pressesprecher von Landrätin Tanja Schweiger, um damit "Stellenausschreibungen geschlechtsneutral und somit diskriminierungsfrei zu formulieren. "

Während die Stadt Ingolstadt bisher noch auf den herkömmlichen Zusatz "(w/m)" zurückgreift, sucht das Klinikum Ingolstadt aktuell einen "Leitenden Sozialpädagogen (w/m/d)". So halten es auch die Gemeinden Baar-Ebenhausen oder die Geisenfeld bei ihren Stellenausschreibungen in der vorigen Wochenend-Ausgabe. Doch das sind die Ausnahmen.

Auch viele Betriebe und Unternehmen verzichten bei ihren Stellenanzeigen bisher noch auf das "d". Aber es findet ein Umdenken statt: Denise Mathieu, Leiterin Diversity Management bei Audi erklärt, in Zusammenhang mit der sogenannten Dritten Option sei es Audi wichtig, eine Lösung zu finden, die sowohl rechtliche Aspekte als auch die Interessen der LGBTI-Community berücksichtige. Die Abkürzung LGBTI steht für lesbian, gay, bisexual, transgender und intersexual: also Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle.

Bei deutschsprachigen Stellenausschreibungen prüfe Audi mögliche Alternativen für den Klammerzusatz "(w/m/d)". Eine genderneutrale Formulierung sei denkbar, so Mathieu, etwa der sogenannte "Gender-Gap". Aus dem aktuellen Ingenieur/in (m/w) würde dann Ingenieur_in. "Der Gender-Gap spiegelt die vielfältigen Formen der geschlechtlichen Identität und Orientierung wider. Als global agierender Konzern suchen wir auch nach einer englischsprachigen Lösung. Hier ist aktuell der Zusatz ,all genders welcome' in Diskussion". Alle Geschlechter willkommen - das ist doch mal eine schöne Formulierung.

Ein Kommentar von Christian Eckl

Urteile des höchsten deutschen Gerichts sind nicht anzuzweifeln. Ihre Auswirkungen aber schon. Und so darf man sich die Frage stellen, ob mit dem aus Karlsruhe eingeforderten Zusatz „d“ für das sogenannte dritte Geschlecht nicht eine verschwindend geringe Minderheit vermeintlich geschützt wird, zu Lasten einer eigentlich ganz anderen Debatte, die man führen sollte: Sind Bewerbungsverfahren wirklich gerecht? Und wenn nicht: Wer wird benachteiligt? Die Debatte um das Dritte Geschlecht vermittelt den Eindruck, man könne Toleranz gegenüber Minderheiten wie Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern wegurteilen. Doch das ist nicht so.

Vielmehr kann ich mich als homosexueller Mann des Eindrucks nicht erwehren, dass solche Spitzfindigkeiten wie die Formulierungen in Stellenausschreibungen in einem gehörigen Teil der Bevölkerungen Reaktionen auslösen, die nicht unberechtigt sind: Was wollen „die“ denn noch? Jetzt dürfen sie doch schon heiraten! Diese für mich verständliche Reaktion hat auch damit zu tun, dass die sogenannte LGBTI-Gemeinschaft immer weiter wächst: Zuerst waren es die Bi- dann die Transsexuellen, die nun mit mir als schwulem Mann in einen Topf geworfen werden. In Schweden laufen beispielsweise auch die Asexuellen beim Christopher Street Day mit.

Mit Verlaub: Mit dem dritten Geschlecht, also einer genetischen Besonderheit, habe weder ich noch ein transsexueller Mann etwas zu tun, der möchte nämlich nicht als „divers“, sondern als „weiblich“ bezeichnet werden. Es ist mit dem „d“ so wie mit dem „Gender-Sternchen“: Mögen die Moralapostel auch an die Kraft des Sterns glauben für die Gleichberechtigung von Frauen – Toleranz spürt man als Angehöriger einer sexueller Minderheit erst dann, wenn man sich gegenüber Kollegen outet. Und da kann ich nur sagen: Ich habe nie auch nur ansatzweise irgendeine Form der Diskriminierung im Beruf durch Kollegen erlebt. Und das ganz ohne Anordnung aus Karlsruhe.

Christian Eckl, Suzanne Schattenhofer