"Die Situation ist für mich völlig absurd"

Manfred Weber im Interview

05.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:34 Uhr
Manfred Weber: "Europa wird meine Mission bleiben." −Foto: Nietfeld/dpa

Für den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber waren die vergangenen Tage nervenzerfetzend: Im Interview zieht er Bilanz

Herr Weber, hat sich Frau von der Leyen schon bei Ihnen bedankt, dass Sie ihr einen so schönen Europawahlkampf gemacht haben?
Manfred Weber: Ursula von der Leyen hat mich sofort angerufen, als ihre Nominierung klar war. Das war ein gutes Signal. Wir verstehen uns, sie hat mich im Wahlkampf auch unterstützt. Es wird im Miteinander gut klappen. Wir sind uns ja im Ziel, ein besseres Europa zu gestalten, einig. Dass die Situation für mich völlig absurd ist, ist vermutlich für jedermann nachvollziehbar. Ich kann auch den Ärger vieler Wähler gerade in Bayern verstehen. Für die großartige und aufrichtige Unterstützung in den letzten Tagen und Wochen möchte ich mich bedanken. Es tut unheimlich gut, wenn man weiß, dass die Heimat hinter einem steht.


Europa hat nichts mit Demokratie zu tun, es ist vielmehr ein Projekt der Eliten, bei dem es nicht darauf ankommt, was die Menschen wollen, sondern nur darauf, was den Mächtigen gerade nützt. An dem Satz ist offensichtlich nichts falsch, oder?
Weber: Diese Woche ist ein Rückschlag für das demokratische Europa. Aber man muss auch vorsichtig sein. Die Staats- und Regierungschefs, die am Dienstag entschieden haben, sind demokratisch gewählt. Das muss man respektieren. Fakt ist aber, dass das Wahlergebnis von einigen im Europäischen Rat einfach vom Tisch gewischt worden ist. Und das ist bedenklich und darf nicht mehr vorkommen.

Sie wollten Europa den Menschen zurückgeben. Hat nicht geklappt?
Weber: An der Demokratisierung der EU führt kein Weg vorbei. Wenn es nicht gelingt, die Blackbox Brüssel zu öffnen, wenn die Bürger den Eindruck haben, ihre Wahlentscheidung hat keinen Einfluss auf das, was in der EU passiert, dann kann die EU keine gute Zukunft haben. Ich habe eine Riesensorge, dass sich die Menschen nach der sehr guten Beteiligung bei dieser Wahl von der EU abwenden. Deshalb lautet meine Bitte: Wir müssen weiter an Europa glauben und für Europa eintreten. Ich werde meinen Weg für ein demokratisches Europa fortsetzen und werbe um Unterstützung.

Wer hat Sie und damit das Projekt Spitzenkandidatur nun genau verraten? Emmanuel Macron, Viktor Orban oder Angela Merkel? Oder etwa die Sozialdemokratie, weil sie nur dann für einen Spitzenkandidaten ist, wenn der Sozialdemokrat ist?
Weber: Es gibt zwei wesentliche Ursachen. Zum einen haben Präsident Macron und Viktor Orban mit anderen in einer sehr seltsamen Allianz zusammengewirkt. Das ist in der Tat irritierend, weil beide für ein völlig anderes Europa stehen und sich im Wahlkampf eigentlich als Hauptgegner inszeniert haben. Was da weh tut, ist die persönliche Diskreditierung, die ich erfahren habe. Das darf unter Demokraten nicht passieren. Zum anderen hat sich das Europäische Parlament nicht klug verhalten. Wir hatten alle Chancen, uns mit der Idee der Demokratisierung durchzusetzen. Ein einiges Europäisches Parlament hätten die Staats- und Regierungschefs nicht übergehen können. Dann aber haben Sozialdemokraten und Liberale kategorisch die Wahl eines demokratischen Mitbewerbers ausgeschlossen. Man stellt damit demokratische Grundregeln infrage. Den Gegnern des Spitzenkandidatenprinzips wurde damit in die Hände gespielt. Ich finde das Verhalten der SPD in Deutschland jetzt ziemlich daneben. Erst die Wahl eines demokratisch legitimierten Mitbewerbers ausschließen, der noch dazu der Wahlsieger war, dadurch das Parlament lahmlegen und sich jetzt zur Retterin der Demokratie aufschwingen, das geht gar nicht. Am Ende hat der Europäische Rat Vorschläge für die Wahl des Parlamentspräsidenten gemacht. Das kann so nicht sein. Über unsere Personalien entscheiden wir schon noch selber. Deshalb habe ich auch klar gesagt, dass dieses Personalpaket nicht meines ist, ich es als Verantwortlicher aber mittrage.

Und Merkel?
Weber: Angela Merkel hat die Rechte des Europäischen Parlaments immer verteidigt, das rechne ich ihr hoch an. Wir waren im intensiven und vertrauensvollen Austausch. Sie hat so gehandelt, wie ich es von einer deutschen Bundeskanzlerin erwarte.

Wie wird Ihre politische Rache aussehen? Oder etwas diplomatischer formuliert: Was wird die Folge davon sein, dass die Dinge so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind?
Weber: Rache ist kein guter Ratgeber und für mich keine Kategorie in der Politik. Ich bin dafür auch nicht der Typ. Ich bleibe, trotz mancher Wunden, ein positiver Mensch, ein Politiker, der gestalten will. Diesen Optimismus lasse ich mir nicht nehmen. Ich werde sicher noch einige Zeit brauchen, um das Erlebte zu verarbeiten. Aber ich beginne schon wieder, nach vorne zu schauen. Mein Kampf für ein besseres Europa, für ein Europa der Menschen, geht weiter. Ich habe in neun Monaten auf Tour durch Europa Tausende Menschen gesprochen, unglaublich schöne und positive Erfahrungen gemacht, immens viel Zuspruch bekommen. Unser und auch mein Wahlergebnis war gut. Ich habe ausgesprochen viel gelernt und bin heute mehr Europäer denn je. Das alles gibt mir Kraft und Motivation für die Zukunft.

Was halten Sie von der Personalie Ursula von der Leyen? Werden Sie ihr eine Mehrheit in der EVP-Fraktion organisieren? Oder erwarten Sie, dass sie bei der Bestätigung im EU-Parlament durchfällt?
Weber: Ursula von der Leyen ist ohne Zweifel eine geeignete Kommissionspräsidentin. Sie hat dafür viele gute Voraussetzungen. Ich weiß, dass es aus meinem Mund seltsam klingt. Aber ich finde es auch gut, dass erstmals eine Frau an der Spitze der EU stehen wird und nach 60 Jahren wieder eine Deutsche, die aus vollem Herzen Europäerin ist. Der Weg zur Wahl durch das Europäische Parlament wird kein leichter, aber ich bin ziemlich sicher, dass Frau von der Leyen die Abgeordneten anderer Fraktionen überzeugen wird. Die EVP-Fraktion steht ohnehin hinter ihr.

Was ist Ihre klare Erwartung, was die Demokratisierung der Europäischen Union angeht?
Weber: Es steht außer Frage, wir brauchen ein demokratisches Europa. Wir müssen und wir werden jetzt sicherstellen, dass so ein intransparentes Verfahren wie jetzt nie wieder passiert. Deshalb werde ich für eine rechtliche Verankerung des Spitzenkandidatenprinzips in geeigneter Weise eintreten, so dass es beim nächsten Mal keinen Ausweg mehr gibt. Es braucht ein verbindliches und akzeptiertes System. Ich finde gut, dass Ursula von der Leyen das schon als eines ihrer Projekte benannt hat. Gespannt bin ich, wie die Regierungen der EU-Staaten darauf reagieren. Manche sprechen von einem demokratischen Europa, verfolgen aber zu sehr egoistische Ziele.

Ist es denkbar, dass Sie bei der nächsten Europawahl in fünf Jahren nochmals als Spitzenkandidat ins Rennen gehen?
Weber: Das ist heute wirklich nicht die Frage, gerade nach den Erfahrungen der letzten Tage. Jetzt geht es darum, dass Ursula von der Leyen gewählt wird und dass ein guter Start gelingt. Dafür hat sie meine Unterstützung. Nach den Wahlkämpfen und Personaldebatten müssen wir jetzt dringend wieder über Inhalte sprechen. Europa muss den Klimawandel mit mehr Engagement bekämpfen, wir müssen die illegale Migration möglichst stoppen, unsere Wirtschaft stützen und den Euro stärken. Im Herbst wird dann ein neuer britischer Premier nach Brüssel kommen und dann wird es beim Brexit ernst. Es gibt also viel zu tun. Als Vorsitzender der größten Fraktion will ich dafür sorgen, dass wir unsere Wahlversprechen einhalten.

Welche der folgenden Alternativen ist für Sie am wahrscheinlichsten? Sie bleiben EVP-Fraktionschef, Sie werden 2021 EU-Parlamentspräsident, Sie wechseln in die Landes- oder Bundespolitik, oder Sie steigen demnächst ganz aus der Politik aus.
Weber: Scherzhaft geantwortet: Sie haben in Ihrer Aufzählung die internationale und kommunale Politik vergessen. . . Im Ernst: Meine Mission war Europa und wird es bleiben. Für das Schicksal unserer Heimat und unseres Landes ist die Europapolitik entscheidend. Ich werde in der kommenden Woche 47 Jahre alt und darf Europapolitik in der Champions League mitgestalten. Ich habe viel erreicht, bin mit mir im Reinen und mein Weg wird weitergehen. Mein wesentlicher Antrieb ist, Dinge zum Guten zu verändern für die Menschen, die mir ihr Vertrauen gegeben haben. Was die Zukunft bringt, weiß in der Politik niemand.

DK


 

Die Fragen stellte Alexander Kain.