Die Liebe war stärker als Corona

Eine Ingolstädterin durfte ihren Mann im Pflegeheim nicht mehr sehen - Da holt sie ihn kurzerhand heim

04.05.2020 | Stand 23.09.2023, 11:54 Uhr
Glücklich wieder vereint: Barbara und Hans Meier in ihrem gemeinsamen Zuhause in Ingolstadt - der 91-Jährige hatte sechs Wochen im Pflegeheim gelebt, bevor seine Frau ihn heimholte. −Foto: Richter

Ingolstadt - Sie hatte es ihm ganz fest versprochen: "Ich werde mich um dich kümmern und dich pflegen, solange meine Kräfte reichen", hatte Barbara Meier (72) ihrem Mann Hans versichert.

 

Das war 2002, nachdem der heute 91-Jährige einen Schlaganfall erlitten hatte. Seither ist der gebürtige Ingolstädter - sein Geburtshaus stand am Körnerplatz, und noch heute wohnt er mit seiner Frau im selben Viertel - halbseitig gelähmt und kann kaum noch sprechen. Seine Barbara hielt Wort, trotz aller Mühen, bis es im Februar nicht mehr weiterging. Schweren Herzens suchte sie einen Pflegeplatz für ihren Mann, sie besuchte ihn täglich, bis die Corona-Krise kam. Niemand durfte mehr in die Einrichtung rein, die Sehnsucht brachte beide schier um. Die 72-Jährige hörte auf ihr Herz und sie holte ihren Hans zurück. Die Liebe war stärker als das Virus.

Nun ist alles wie früher - und doch anders: Sie wissen noch mehr, wie sehr sie einander brauchen, ohne den anderen geht es einfach nicht. Hans Meier strahlt übers ganze Gesicht, wenn er seine Barbara ansieht. Die verschmitzten Augen und seine Lachfalten verraten ihn als humorvollen, lebenslustigen Menschen. Er mag im Rollstuhl sitzen und mit dem Sprechen seine Probleme haben, aber er ist klar im Kopf, keine Frage. Früher hat er mehr als 60 Jahre im Gesangsverein gesungen, Theater gespielt und in einer Musikkapelle die Tuba geblasen. Und als ob das nicht reichte, betätigte er sich auch noch sportlich, früher als Handballer, später beim Kegeln.

Barbara und Hans Meier hatten sich in der Arbeit im Ingolstädter Armeemuseum kennengelernt. Der gelernte Feinmechaniker kümmerte sich dort um die alten Waffen, sie saß derweil an der Kasse. "Nähergekommen sind wir uns aber erst, als ich 1993 einen schlimmen Unfall hatte", erzählt die Frau. Es war ausgerechnet an ihrem 45. Geburtstag passiert. Ihr damaliger Mann habe sich nicht recht um sie gekümmert, "der Hans aber umso mehr". Noch im selben Jahr ließ sie sich scheiden, drei Jahre später - 1996 - heiratete sie ihren Hans. "Der Altersunterschied hat nie eine Rolle gespielt, wir haben uns immer sehr gut verstanden. " Seine Augen leuchten, als sie davon erzählt. Er war auch für verrückte Sachen zu haben, etwa als sie 2010 bei einem Urlaub in Büchlberg im Kreis Passau ganz spontan die kirchliche Hochzeit nachholten, von heute auf morgen, ohne großen Zinnober. "Nur wir zwei, das hätte schöner nicht sein können", sagt Barbara, und ihr Mann nickt. Sie hat ihren Hans stets bewundert, diesen quirligen Mann, der trotz seines Alters so viel Freude am Leben zeigte. Bis der Schlaganfall kam. Nun hatte sie Gelegenheit, die Aufmerksamkeit und Fürsorge, die er ihr nach dem Unfall und später zukommen ließ, zurückzugeben. "Es hat 18 Jahre lang alles geklappt, bis mir jetzt im Februar die Kraft ausgegangen ist", erzählt die 72-Jährige. "Ich hab' nachts nicht mehr schlafen können und war völlig kaputt. " Sie kommt mit der Dauerbelastung nicht mehr klar. Die beiden haben Tränen in den Augen, wenn sie nur daran denken. Sie finden einen guten Heimplatz für den 91-Jährigen, am 26. Februar zieht er um. "Er war dort wirklich sehr gut untergebracht und man hat ihn echt liebevoll betreut".

Doch die Trennung wird mit der Corona-Krise unerträglich. "Erst habe ich noch zweimal die Woche zu Besuch kommen dürfen, dann noch einmal und zuletzt gar nicht mehr", berichtet Barbara Meier. Es ist der 6. April, als sie es nicht mehr aushält und am Heim vorfährt. Im Obergeschoss öffnet jemand ein Fenster, und da steht ihr Hans, tränenüberströmt. "Er hat sich nicht mehr beruhigt, und unten bin ich gestanden und habe genauso geweint. "

Drei Tage lang geht dieses Bild nicht mehr aus dem Kopf der 72-Jährigen. "Ich habe gewusst, wir packen das nicht. Da habe ich beschlossen, ihn wieder heimzuholen. In den Wochen ohne ihn war immer die Sehnsucht und Sorge um ihn da und auch die Angst, es könnte ihm was passieren, und ich bin nicht bei ihm. " Am 9. April setzt sich Barbara Meier ins Auto und macht ernst. Jetzt sind sie wieder zusammen in der gemeinsamen Wohnung, genießen ab und zu die Frühlingssonne auf der Terrasse und sind glücklich, einander zu haben.

DK

Horst Richter