Interview
Kultusminister Piazolo will Schulen wieder öffnen - "Weitere Klassen in den Wechselunterricht"

Tests sollen für Sicherheit sorgen

30.04.2021 | Stand 09.05.2021, 3:33 Uhr
In enger Absprache mit der CSU bezüglich der Schulsituation ist Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler). −Foto: Balk, dpa

München - Bayern setzt beim Thema Schule die Corona-Notbremse deutlich schärfer um als vom Bund gefordert.

Viele bayerische Schüler haben ihre Schule seit Monaten nicht mehr von innen gesehen. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) möchte das jetzt endlich lockern - und geht damit auf Gegenkurs zu Ministerpräsident Markus Söder. Dabei setze er aber auf Argumente, wie er im Interview betont.

Herr Piazolo, der Bund würde Schüler bis zu einer Inzidenz von 165 in die Schulen lassen. Bayern macht - abgesehen von Abschlussklassen - die Schulen schon bei 100 dicht. Als Treiber dahinter gilt Ministerpräsident Markus Söder. Wie viel Verständnis haben Sie dafür?
Michael Piazolo: Ministerpräsident Markus Söder und ich tauschen uns regelmäßig und intensiv über Schulpolitik aus. Wir sind beide der Meinung, dass man die Corona-Pandemie nur mit Vorsicht, Umsicht, aber auch Zuversicht bestehen kann. Gleichwohl mache ich kein Geheimnis aus meiner Überzeugung, dass wir auch in Bayern erst ab einer Inzidenz von 165 in den Distanzunterricht wechseln sollten. Grund dafür ist weniger, dass ich die Grenze von 165 für den einzig möglichen Grenzwert halten würde - sie war eher ein Kompromiss derjenigen, die am Zustandekommen der Bundesnotbremse beteiligt waren. Vielmehr bin ich der Auffassung, dass gerade das Testen an der Schule ein wichtiger Aspekt der Corona-Bekämpfung ist: Testen macht Schule sicherer, aber auch das Leben außerhalb der Schule. Wer in der Schule als Corona-positiv erkannt wird, kann in seiner Freizeit das Virus nicht mehr unentdeckt verbreiten.

In vielen Regionen Bayerns steht aufgrund hoher Inzidenzen zu befürchten, dass viele Schüler in diesem Schuljahr ihre Schule nicht mehr von innen sehen. Das kann doch nicht sein, oder?
Piazolo: In der Tat, in einigen Regionen waren die Schülerinnen und Schüler seit längerer Zeit nicht mehr in den Schulen. Natürlich müssen wir die Sicherheit an den Schulen hochhalten, um uns vor Corona zu schützen. Aber gleichzeitig können wir nicht die Augen davor verschließen, was es für Kinder und Jugendliche, für die Schüler bedeutet, nunmehr schon ein Jahr unter Pandemie-Bedingungen zu leben. Das kann auch psychische Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen haben. Genau deshalb ist es mein Bestreben, dass wir die Schulen wieder öffnen. Testen ist eine Möglichkeit dafür, weitere Klassen an die Schulen zu bringen.

Söder argumentiert damit, in der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen liege die Inzidenz bei 300. Angesichts der vielerorts geschlossenen Schulen liegt der Verdacht nahe, dass nicht der Präsenzunterricht Hauptursache der Ansteckungen ist, oder?
Piazolo: Es spricht sehr viel dafür, dass diese Ansteckungen außerhalb der Schule stattfinden. Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, dann fällt auf, dass gerade in der Woche nach den Osterferien die Infektionen bei den Schülern gestiegen waren - was ferienbedingt schwerlich in den Schulen stattgefunden haben kann. Ähnlich hohe Inzidenzen haben wir übrigens in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen, also der Studenten und jungen Berufsanfänger. Gerade die Studenten sind aber momentan nicht in der Uni. Das spricht dafür, dass die Infektionen eher daherkommen, dass man in diesem Alter etwas mobiler und mehr unterwegs ist.

Wäre es also nicht sinnvoll, gerade vor den Pfingstferien mehr Schüler in die Schule zu bekommen, um sie mehr und regelmäßig testen zu können?
Piazolo: Ich halte diesen Gedanken für richtig. Wir haben zum 21. April eine Erhebung durchgeführt: Dabei hat sich ergeben, dass an den Schulen an diesem Tag insgesamt 288000 Tests durchgeführt wurden. Von diesen Tests waren 163 positiv. Diese Zahl an Tag für Tag positiv Getesteten würden wir wohl nicht entdecken, wenn die Schulen geschlossen blieben. Wie ich bereits gesagt habe: Testen in der Schule führt zu mehr Sicherheit in der Schule - aber eben auch außerhalb der Schule.

Bei der letzten Kabinettssitzung konnten sich die Freien Wähler nicht damit durchsetzen, die Inzidenz für die Schulschließungen zu erhöhen. Wie wollen Sie Söder und die CSU zu einer Erhöhung bringen?
Piazolo: Wir haben uns diese Woche zu dieser Frage - 165 oder 100 - ausgetauscht, aber noch nicht entschieden. Wir werden diese Gespräche fortsetzen.
Polittaktisch gefragt: Die weiß-blaue 100-Inzidenz-Grenze gilt durch eine Verordnung, die bis 9. Mai gilt. Für eine vorgezogene Änderung, wie sie die Freien Wähler wollen, bräuchten Sie die CSU. Für eine Verlängerung über den 9. Mai hinaus allerdings bräuchte die CSU die Freien Wähler. Werden Sie die Bundes-Inzidenz-Grenze von 165 so auch in Bayern in Kraft setzen?
Piazolo: Ich hoffe auf eine Einigung durch den Austausch von Argumenten. Ich möchte nicht die Politiktaktik in den Vordergrund stellen, sondern die Sachlichkeit. Am Ende steht hoffentlich ein guter Kompromiss. Mein Ziel ist, mehr Klassen in den Wechselunterricht zu bekommen. Wir müssen die zunehmenden Bedürfnisse der Schüler nach Nähe, Kontakt und direktem Austausch in den Blick nehmen, ohne freilich die Sicherheit auszuklammern. Da bin ich ganz zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit der CSU zu einer guten Lösung kommen.

Und wenn nicht? Rechtlich gesehen könnte am Ende der Gesundheitsminister ganz alleine entscheiden. Und der ist nicht von den Freien Wählern.
Piazolo: Der ist nicht bei den Freien Wählern, aber aus meiner Sicht ein guter Mann, der Fakten schätzt. Ich führe das Ministerium der Pädagogik - auch deshalb ist es mir wichtig, mit Argumenten zu überzeugen.

Wie lautet Ihre Prognose?
Piazolo: Wir werden in den nächsten Wochen bis zum Schuljahresende weitere Klassen in den Wechselunterricht bekommen - ohne einer Entscheidung im Kabinett in der nächsten Woche vorgreifen zu wollen.
Die Fragen stellte
Alexander Kain.