Mit seinem Vorschlag, die Einhaltung der neuen 15-Kilometer-Regel mittels Handydatenauswertung zu kontrollieren, ruft Gemeindetagschef Uwe Brandl (CSU) Empörung hervor. Kritiker sprechen von "Tabubruch" und "Schnapsidee" und warnen vor einem Überwachungsstaat.
Zum Überwachen der 15-Kilometer-Regel in Corona-Hotspots kann sich Gemeindetagspräsident Uwe Brandl auch das Nutzen von Handydaten vorstellen – ein Vorschlag, der prompt breiten Widerstand auf politischer Ebene hervorgerufen hat. In der bayerischen Staatsregierung stieß der Vorstoß dem Vernehmen nach nur auf Kopfschütteln und Skepsis. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte lehnt den Vorschlag strikt ab.
"Wir könnten heute Bewegungsprofile aus den Handys auslesen und auf diese Weise sehr treffsicher feststellen, wo sich die Menschen aufhalten. Wir müssen uns halt jetzt entscheiden, was wichtiger ist, der Gesundheitsschutz oder der Datenschutz", hatte Brandl am Montagmorgen im Bayerischen Rundfunk gesagt.
"Ich glaube, wir müssen einfach mehr Mut haben dazu, dass man die digitalen Möglichkeiten nutzt", sagte Brandl. Auch die Polizei habe zur Kontrolle der 15-Kilometer-Regel nur begrenzte Ressourcen. "Also wird es nur zu Stichprobenkontrollen kommen. (...) Und ich glaube halt, dass jede Regelung nur so gut ist, wie sie exekutiert und überwacht werden kann."
Kritik von Seiten der Politik
Während aus der Staatsregierung zunächst niemand Brandls Aussage offiziell kommentieren wollte, äußerten sich Vertreter von Grünen, SPD, FDP und AfD mit Empörung. Aus Sicht der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Katharina Schulze, handelt es sich bei Brandls Vorschlag um eine "Schnapsidee", die Verunsicherung und Misstrauen in der Bevölkerung befeuere. Das Erheben pauschaler Bewegungsprofile der Bürger sei in einer freiheitlichen Demokratie nicht vorstellbar und verstoße gegen das Grundgesetz.
— Katharina Schulze (@KathaSchulze) January 11, 2021 Schon mitbekommen? Gemeindetagspräsident Brandl will zur Überwachung der 15-Kilometer-Regel in Corona-Hotspots pauschal Handydaten auszuwerten. Das ist ein übergriffiger und völlig abwegiger Vorschlag zur Totalüberwachung der Bürger*innen. #bayern
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Hagen bezeichnete den Vorschlag als "Tabubruch". Deutschland dürfe kein Überwachungsstaat werden, der seinen Bürgern digitale Fußfesseln anlege. "Die Bewegungsdaten von 83 Millionen Menschen auszuspionieren, um eine ohnehin fragwürdige Regelung zu kontrollieren – das wird auf den erbitterten Widerstand von uns Liberalen treffen."
— Martin Hagen (@_MartinHagen) January 11, 2021 Dieser Vorschlag eines CSU-Politikers ist ein Tabubruch. Deutschland darf kein Überwachungsstaat werden. Bewegungsdaten von 83 Mio Bürgern auszuspionieren - das wird auf den erbitterten Widerstand von uns Liberalen treffen! https://t.co/KH70VAGFVp
Auch die SPD reagierte empört: Fraktionsvorsitzender Horst Arnold warnte vor einer Verunsicherung der Bürger und betonte: "Das ist ohne jegliche rechtliche Basis – und absolut unverhältnismäßig. Nicht akzeptabel und eine Offenbarung der Hilflosigkeit und Unkenntnis." Der digitalpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Gerd Mannes, sagte: "Wir verurteilen diese Tendenz, in einem freiheitlichen und demokratischen Staat Überwachungsmethoden anzudenken, die wohl eher in totalitären Staaten beheimatet ist."
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber sagte der "Augsburger Allgemeinen": "GPS-Daten können noch nicht mal zwischen Tiefgarage und viertem Stock in einem Haus unterscheiden. In Gebäuden funktioniert GPS nicht." Auch eine Funkzellenabfrage zeige noch nicht einmal verlässlich, in welcher Straße eine Person gewesen sei. "Also was soll das? Das ist keine Lösung."
Überwiegend Kritik im Netz
Auf Twitter äußern sich auch zahlreiche Nutzer kritisch zu dem Vorstoß von Uwe Brandl.
— Antonia Heil (@antonia_heil) January 11, 2021 Nein liebe #csu, auch im 10. Monat der Pandemie ist Handydaten auslesen nicht ok. #brandl #gemeindetag
— NotYourFan (@Infujaklo) January 11, 2021 #Brandl fordert Auswertung von Handy-Daten um den 15-Kilometer-Bewegungsradius zu kontrollieren. "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren." - Benjamin Franklin -
— tim (@tim_m_t) January 11, 2021 15 Km Radius kontrollieren ja; aber Bewegungsprofile aller Handys ohne Anlass abzugreifen geht zu weit!#Datenschutz #Brandl 15-Kilometer-Regel: Brandl fordert Auswertung von Handy-Daten - via BR24 https://t.co/J6kuymhs4W
Bei dem ein oder anderen Twitteruser findet die Idee von Brandl auch Anklang.
— Dr.M.A.A.O.W. (@Marieaaow) January 11, 2021 Gefunden auf BR24 | 15-Kilometer-Regel:#Brandl fordert Auswertung von Handy-Daten Meiner Meinung nach ist das die bessere Lösung Ruft aber wahrscheinlich DE Datenschützer auf d Plan( nachdem diese in Soziale Netzwerke Selfies gepostet haben) ? https://t.co/VUgecbysOU
Brandl rechtfertigt sich nach der Kritik
Nach angaben des Bayerischen Rundfunks verteidigte Brandl seine Aussage am Montag Mittag noch einmal. Ihm sei bewusst, dass es für eine Umsetzung der Handyüberwachung "im Vorlauf ein rechtsstaatliches Verfahren" brauche. Aber da die personellen Ressourcen im Gesundheitsbereich und bei der Polizei erschöpft seien, müsse es in einer Demokratie erlaubt sein, über solche Vorschläge zu diskutieren.
So funktioniert die 15-km-Regel
In den Corona-Hotspots in Bayern gilt seit Wochenbeginn: Wer in einer Gegend mit besonders hohen Infektionszahlen wohnt, darf sich bei Ausflügen nur noch in einem Radius von 15 Kilometern rund um seinen Wohnort bewegen. Welche Kommunen betroffen sind, richtet sich nach den Zahlen, die das Robert Koch-Institut (RKI) veröffentlicht.
Die Regel gilt automatisch in Landkreisen und kreisfreien Städten, die den Wert von 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche überschreiten. Wer etwa Einkaufen geht, zur Arbeit fährt oder einen Arzt aufsuchen will, für den gilt die Einschränkung nicht.
dpa, Laura Csapó