München
Spiel auf Zeit statt Fehlersuche

27.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:26 Uhr
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) kommt am 27.09.2017 im bayerischen Landtag in München (Bayern) zu einer CSU-Fraktionssitzung und beantwortet Fragen von Journalisten. Thema der Sitzung ist unter anderem der Ausgang der Bundestagswahl. Foto: Sven Hoppe/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ −Foto: Sven Hoppe (dpa)

München/Ingolstadt (DK) Zwei Tage haben die Gegner von Horst Seehofer nach der Bundestagswahl ihre Messer schärfen dürfen. In der mit Spannung erwarteten Fraktionssitzung wollten sie am Mittwoch angreifen. Doch es kam anders. Der CSU-Chef setzte zum Gegenschlag an.

Horst Seehofer ist das, was man auf gut Bairisch einen „Hundling“ nennt: Wer im Vorfeld der gestrigen CSU-Fraktionssitzung im Münchner Landtag geglaubt hatte, er werde nach dem katastrophalen Wahlergebnis vom Sonntag womöglich kleinlaut im Saal Platz nehmen und demütig die Tiraden seiner Kritiker über sich ergehen lassen, am Ende sogar abtreten, der musste sich getäuscht sehen. 

Das Gegenteil war der Fall: Frontal ging Seehofer seine innerparteilichen Kritiker an. Er beschuldigte sie, eine Personaldiskussion zur Unzeit zu führen und so die Position der CSU in den schwierigen Verhandlungen in Berlin zu schädigen. Ohnehin hätte die Kritik an ihm schon jetzt den Verhandlungen in der Bundeshauptstadt geschadet, baut Seehofer für den Fall vor, in Sachen Obergrenze mit Kompromissen zurückzukehren. Quasi eine „Dolchstoßlegende“, wie ein Beobachter bemerkt. 

Auch, was die Deutungshoheit über das Wahlergebnis mit erdrutschartigen Stimmenverlusten für die CSU angeht, setzt sich in der Partei und bei Mandatsträgern zusehends Seehofers Sprachregelung durch. Danach habe nicht etwa er mit seiner Hüh-und-Hott-Strategie die Wahl vergeigt, sondern Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel – weil sie nie offen eingestanden habe, 2015 in der Flüchtlingskrise Fehler gemacht zu haben und weil sie gar gesagt habe, sie würde alles wieder so machen.

Der CSU-Chef spielt auf Zeit. Und er spielt klug: Im Moment will er unangreifbar sein, weil Verhandlungen in Berlin anstehen, und nur er die Chance habe, dort etwas zu erreichen. Und nach Weihnachten stehen bereits die traditionellen Winterklausuren der Berliner Landesgruppe und der CSU-Landtagsfraktion an – und mit Sicherheit werde doch niemand einen erneuten Putsch wie einst in Kreuth mit einer anschließend versemmelten Landtagswahl wollen? Und überhaupt: Die Landtagswahl 2018 werde eine Abstimmung über Bayern, nicht eine über eine bundesweit polarisierende Merkel.

Die, die Seehofer ans Zeug flicken wollen, sehen ob dieser zeitlichen und argumentativen Abläufe ihre Felle davonschwimmen – während Seehofer weiß, dass mit jedem Tag die Zeit tendenziell eher für ihn spielt: Neue Ereignisse, Herausforderungen und Entwicklungen könnten ebenfalls zu seinen Gunsten spielen. Wäre da nicht der CSU-Parteitag, der schon vor längerer Zeit für den 17. und 18. November in Nürnberg terminiert wurde. Und wäre da nicht die erboste CSU-Basis, die einfach nicht glauben mag, dass man ein derart schlechtes Wahlergebnis einfahren und dann folgenlos davonkommen kann.

Der Parteitag, auf dem sich Seehofer nach einer erfolgreichen Bundestagswahl hatte wiederwählen lassen wollen, wird nun zum entscheidenden Termin. Er selbst hatte vor zwei Tagen versucht, Personaldebatten klein zu halten, indem er ihn zum richtigen Ort für derlei Diskussionen erklärt hatte. Und wer die Solidaritätsbekundungen seines Umfeldes, etwa von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, genau liest, stellt fest, dass die Solidarität vorerst nur bis genau dahin reicht.

Auch Finanzminister und Kronprinz Markus Söder kann mit dem Parteitag offensichtlich gut leben: Die Vorgänge von 2007, als der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber gestürzt worden war, dürften sich nicht wiederholen, sagte er gestern. Selbiges gelte für 2008, als die CSU in der Folge des Stoiber-Sturzes ein miserables Landtagswahlergebnis eingefahren hatte. Applaus in der Fraktion der Christsozialen.

Söders Strategie ist offenkundig: Er will Seehofer nicht stürzen – der soll lieber über sich selbst stolpern. „Entweder, weil Seehofer bis zum Parteitag merkt, dass der Gegenwind der Basis zu groß wird und er nicht mehr antritt. Oder aber, Seehofer macht weiter, verkorkst die Landtagswahl 2018 und muss abtreten. Oder aber die Wahlen gehen gut – dann kann Söder ruhig abwarten, bis Horst Seehofer aufhört“, analysierte gestern Nachmittag einer.

Gerüchten, Seehofer könne auf dem Parteitag den großen Befreiungsschlag planen und etwa Innenminister Joachim Herrmann als Nachfolger ins Spiel bringen, wird aus dem Söder-Lager vorsorglich mit der Ankündigung entgegen getreten, dann werde eben auch Söder kandidieren. Dabei ist es genau dieses Hickhack zwischen Söder und Seehofer, das die Fraktion nervt. So wird es nach der Sitzung berichtet. Um es Seehofer in der Zwischenzeit nicht zu einfach zu machen, gab es aus der Fraktion klare Breitseiten gegen ihn – der Parteichef habe mit der Bundestagswahl nicht zum ersten Mal eine große Wahl vergeigt.

Und wie lautet nun das Resümee nach der viereinhalbstündigen Fraktionssitzung? „Wer glaubt, jetzt herrscht Ruhe, wird sich täuschen“, befand einer. „Seehofer ist von niemandem aufgefordert worden, uns in die Landtagswahl zu führen“, sagte ein anderer. „Seehofer hat es geschafft, einen ersten Angriff abzuwehren, um die Verhandlungsposition in Berlin nicht zu beeinträchtigen. Er ist nach dieser Sitzung nicht geschwächt – aber auch nicht gestärkt“, so ein alter Hase gegenüber unserer Zeitung.

Von Alexander Kain

 

"Der Fausthieb der Wähler sitzt tief"


Das sagen CSU-Kreisvorsitzende aus der Region zum Wahlausgang und zu Seehofer

Die Rücktrittsforderungen sind totaler Schwachsinn. Alfred Lengler, CSU-Kreisvorsitzender in Neuburg-Schrobenhausen, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Angriffe auf Horst Seehofer geht. Sie kamen aus dem Umfeld von Markus Söder und "sind völlig fehl am Platz". Für die Koalitionsverhandlungen in Berlin bräuchte man eine gestandene Person, die das Geschäft kennt. Natürlich hat es Fehler gegeben, und die müssen korrigiert werden, so Lengler. Den anstehenden Verhandlungen sieht er optimistisch entgegen: „Die kennen ihre Verantwortung. Grundsätzlich ist eine Einigung möglich.“ Der Kreisvorsitzende der CSU Ingolstadt, Hans Süßbauer, schlägt in die gleiche Kerbe: „Die Rücktrittsforderungen kommen wohl vor allem aus Franken und Niederbayern. Damit ist doch alles gesagt. Das ist Söder-Land. Jetzt werden halt alte und neue Rechnungen beglichen.“ In der Sache sei es so, dass der Erfolg immer viele Väter hat, und der Misserfolg meistens nur einen. „Dabei braucht Seehofer gerade jetzt Zeit und Ruhe, um in Berlin wichtige Gespräche zu führen.“

Für Peter Tomaschko, CSU-Kreisvorsitzender für Aichach-Friedberg, ist das Wichtigste, „dass wir geschlossen in die Koalitionsverhandlungen nach Berlin gehen und den Bayern-Fahrplan eins zu eins umsetzen.“ Das sei schwierig, denn „für die Basis ist eine Koalition mit den Grünen nur schwer vorstellbar.“ Seehofer müsse für die CSU die Federführung in den Gesprächen haben. „Er ist definitiv nicht angezählt, und aus meinem Kreis hat es auch keine einzige Rücktrittsforderung gegeben“, so Tomaschko.

Karl Straub, Kreisvorsitzender der CSU Pfaffenhofen bezeichnet die parteiinternen Rücktrittsforderungen als „unglücklich“ und „schwierig“. Besonders wenn man gerade mit der Schwesterpartei CDU über „Leitplanken“ verhandele. „Personalfragen werden am Parteitag diskutiert.“ Es sei eindeutig, warum man bei der Wahl so stark verloren habe: „Wir haben die Glaubwürdigkeit in der Umsetzung verloren“, so Straub.

„Der Fausthieb der Wähler sitzt tief“, sagt Martin Neumeyer, CSU-Kreisvorsitzender in Kelheim. Man müsse nun „durchatmen, analysieren und dann agieren.“ Horst Seehofer werde für sich die richtige Entscheidung treffen – und auch die Partei für sich. Neumeyer ist sich sicher: „Es wird Veränderungen geben.“