„Der Medienmarkt entwickelt sich rasant“

30.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:22 Uhr

Vorspann: Bayern 2025 – Teil 8: Medien Bei Fernsehen und Rundfunk wird bald nichts mehr so sein, wie es einmal war. Die beiden Medien werden zu etwas völlig neuem verschmelzen. Ungewöhnliche Formate werden Einzug halten: Fernsehen im 360-Grad-Format etwa. Wir sprachen darüber mit Roland Scheble vom Bayerischen Rundfunk.

Vor sechs Jahren bereits hat der Computer-Pionier und Windows-Erfinder Bill Gates den „Tod des Fernsehens“ in fünf Jahren prophezeit. Es ist nicht so gekommen. Stattdessen passiert gerade etwas völlig anderes: Fernsehen und Rundfunk werden gerade revolutioniert, der Veränderungsprozess ist so gewaltig, dass die gemütlichen Wohnzimmer-Medien möglicherweise kaum mehr wiederzuerkennen sein werden. Der Bayerische Rundfunk steht mit an der Spitze der Entwicklung. Wir unterhielten uns mit Roland Scheble (53), beim BR zuständig für Strategie und Innovationsmanagement, über die Zukunft der elektronischen Medien.

Herr Scheble, Ihr Sender bekommt immer mehr Konkurrenz: von Netflix, Spotify, YouTube, überhaupt vom Internet. Werden TV und Hörfunk demnächst überflüssig?

Roland Scheble: Radio und Fernsehen werden noch über Jahre hin wesentliche Säulen sein. Ich denke aber, unser Auftrag, Orientierung zu bieten und der Gesellschaft eine freie, individuelle Meinungsbildung zu ermöglichen, wird in der neuen Medienwelt des Internets sogar noch wichtiger. Der Zugang zu Informationen wird zwar leichter, nicht aber die Übersichtlichkeit und Vertrauenswürdigkeit von Quellen. Gleichzeitig stellen wir uns auf das veränderte Nutzungsverhalten des Publikums ein. Wir bieten also nicht nur attraktive Hörfunk- und Fernsehprogramme, sondern auch internetbasierte, mobil abrufbare Formate und Plattformen.

Wie reagieren Sie denn auf das Angebot von Diensten wie Netflix?

Scheble: Wir sehen Netflix nicht nur als Konkurrenz, sondern auch als neuen Verbreitungsweg. Wir kooperieren zum Beispiel durchaus mit Netflix und zeigen dort einige unserer Filme. Aber wir sind mehr als ein Streamingdienst. Unser Mehrwert ist, dass wir unabhängig von kommerziellen Interessen sind, ein breites Informationsangebot aus Bayern haben und die vielen Informationen auch einordnen.

Aber die Streamingdienste haben auch Vorzüge. Während in der BR-Mediathek Filme und Serienfolgen schnell aus dem Angebot wieder verschwinden, kann man bei Netflix etwa ganze Serien-Staffeln im selbst gewählten Tempo ansehen. Werden Sie da Ihr Angebot noch erweitern?

Scheble: Ja, wir werden die BR-Mediathek zunehmend erweitern und nutzerfreundlicher gestalten. Unsere Serie „Mann/ Frau“ mit Christian Ulmen zum Beispiel war bewusst fürs Web konzipiert und lief erst dann im linearen TV. Aber wir können aus juristischen Gründen leider viele Sendungen nur kurze Zeit ins Netz stellen.

Auch in technischer Hinsicht hat Netflix etwa die Nase vorne. So sendet der Streamingdienst inzwischen bereits teilweise in 4k-Qualität, der BR immer noch in HD. Warum ist Ihr Sender so wenig innovativ?

Scheble: Ultra-HD mit Bildauflösungen von 4K oder 8K sind eine Frage der Kosten für die Produktion und für die nötige Bandbreite bei Kabel und Satellit. Aber als innovationsarm würde ich den BR nicht bezeichnen, ganz im Gegenteil. Nur als Beispiel: Wir experimentieren derzeit mit 360-Grad-Videos. Die Zuschauer können dann über ihre Wunschperspektive selbst entscheiden und ganz neu ins Geschehen eintauchen, auch akustisch. Für Aufnahmen mit unseren Klangkörpern würde das etwa bedeuten: Wenn man die Geigen anschaut und später dann die Holzbläser, ändert sich auch das Klangerlebnis. Das haben wir beim letzten Puls-Festival mit der Band „Die Orsons“ und unserem Rundfunkorchester ausprobiert.

Junge Leute gucken immer weniger Fernsehen, dafür immer mehr Videos etwa auf YouTube. Wie wollen Sie die Jugend zurückgewinnen?

Scheble: Die wichtigste Botschaft: Wir haben Angebote für junge Leute. Im BR, in unserem Jugendangebot Puls, und wir tragen auch mit neuen Formaten dazu bei, das junge Angebot von ARD und ZDF, das im Oktober startet, attraktiv zu machen. Der BR hat auch Plattformen aufgebaut, die digitale Angebote entwickeln und neue Erzählformen ausprobieren.

Wie wird sich das Fernsehen oder der Hörfunk weiterentwickeln. Werden wir es irgendwann im Wesentlichen mit einer großen, alle Bereiche umfassenden App zu tun haben?

Scheble: Das ist schwer vorherzusehen. Kaum ein Markt entwickelt sich so rasant wie der Medienmarkt. In nicht allzu ferner Zukunft werden Sie als Nutzer gar nicht mehr wirklich unterscheiden können, ob Sie das Fernsehbild über den Rundfunkweg oder den Internetweg bekommen. Über das Internet wird es individuell zugeschnittene Angebote geben, die Sie über verschieden große Bildschirme nutzen können, wann und wo sie wollen.

Auf YouTube etablieren sich neue Formate und Stars, die besonders die jungen Leute ansprechen – etwa der Entertainer LeFloid, der im vergangenen Jahr immerhin auch Kanzlerin Merkel interviewt hat. Muss da nicht das Fernsehen seine spezifische Nachrichtenpräsentation überdenken?

Scheble: Da würde ich wieder gerne auf das neue, junge Angebot von ARD und ZDF verweisen. Hier wird diese neue Kultur auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzbar gemacht, allerdings mit unserer spezifischen journalistischen Professionalität.

Heißt das, dass Sie lediglich Ihr Angebot erweitern wollen, oder geht es auch darum, dass es eine Rückkopplung für bereits bestehende Sendungen geben wird, dass etwa auch Sendungen wie die ''Tagesschau'' jugendlicher werden?

Scheble: Die klassische Tagesschau ist mit durchschnittlich rund zehn Millionen Zuschauern jeden Abend die erfolgreichste Fernseh-Nachrichtensendung. Und sie hat es geschafft, mit einer wachsenden Fangemeinde in den sozialen Medien und über die Tagesschau-App auch jüngere Menschen zu gewinnen. Die Aufmachungen werden sich aber immer wieder modernisieren, so wie Sie es auch gerade im BR-Fernsehen bei der Rundschau erleben.

Wenn man an Digitalisierung denkt, dann fällt einem sehr schnell ein, dass ein großer Bereich des Medienkonsums noch kaum digital funktioniert. Beim Radio steckt die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen. Das DAB-Angebot wird eher zögerlich angenommen. Warum eigentlich?

Scheble: Radiohören war schon immer einfach und mobil: Man spielte das Lieblingsprogramm „auf Knopfdruck“ ab. Deshalb griffen die Vorteile der Digitalisierung nicht sofort. Wir stellen aber aktuell fest, dass Digitalradio inzwischen sehr viel besser angenommen wird und vor allem in Bayern stark in die Gänge kommt. Nach Angaben der GfK, der Gesellschaft für Konsumforschung, lag der Anteil der neu verkauften DAB+ und Hybridgeräte im Mai 2016 bereits bei 19 Prozent und in Bayern sogar bei bemerkenswerten 42 Prozent. Der BR baut sein DAB-Sendernetz auch aus und hat mit dem Volks- und Blasmusiksender „BR Heimat“ ein neues, digitales Angebot geschaffen, das äußerst erfolgreich ist: Nach nur anderthalb Jahren hat „BR Heimat“ bereits mehr als 200 000 Hörer.

Aber kann es nicht sein, dass DAB bereits die Zukunft von gestern ist? Schließlich steht mit dem mobilen Internet und seinen immer schnelleren Übertragungsraten ein noch flexibleres System für Musik und Radiosendungen zur Verfügung.

Scheble: Ich denke, beides  kann nebeneinander funktionieren.

Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken: Wie wird dann der BR-Nutzer das Angebot Ihres Senders konsumieren?

Scheble: Die Abrufangebote werden wachsen. Sie bekommen individuell zugeschnittene Empfehlungen von Sendungen, werden je nach Gerät auch sprachgesteuert umschalten können und werden sich als Publikum, wenn Sie möchten, selbst einbringen können. Wir merken das bereits beim Kulturangebot, auch bei der Hochkultur, wo sich die 30- bis 50-Jährigen plötzlich sehr stark in den sozialen Medien engagieren. Festzustellen ist, dass unsere Gesellschaft immer speziellere Interessen entwickelt. Diesen werden wir mit entsprechenden, noch spezifischeren Angeboten nachkommen.

Zuletzt ist der BR eher als ein Blockierer spezifischer kultureller Interessen in Erscheinung getreten: Vor zwei Jahren gab es heftige Proteste gegen den Versuch, den Kanal BR-Klassik nur noch im DAB-Netz auszustrahlen. Das Projekt wurde daraufhin verschoben. Wie sieht es also aus: Werden durch die Digitalisierung wirklich Freiräume für speziellere Angebote möglich?

Scheble: Wir wollen niemandem etwas wegnehmen. Das Problem ist nur, dass wir gesetzlich auf fünf Programme in UKW beschränkt sind. Sie könnten auch eine ganz andere Sichtweise einnehmen: Wir bieten hochwertige Kulturangebote an wie einen in Deutschland einzigartigen Klassikkanal. Wir machen gerade diese kulturell wichtigen Programme zukunftsfähig, indem wir sie in den digitalen Bereich hereinnehmen und mit Zusatzangeboten weiter ausbauen.

DAS LESEN SIE NÄCHSTE WOCHE Mehr zum Thema Kultur und Medien lesen Sie am Freitag in unseren Lokalausgaben. Nächsten Mittwoch geht es im neunten Teil unserer Serie um das Thema: Tradition und Lebensart.