Augsburg
Liebevoller Sohn ein eiskalter Killer?

Doppelmord in Gersthofen: Mutter und Angehörige von Waldemar N. sagen im Prozess aus

09.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:23 Uhr

Augsburg (DK) Eine zierliche Frau betritt den Saal. Die schulterlangen braunen Haare mit Pony umranden das Gesicht, auf dem ein Lächeln aufkeimt, als die Frau in Richtung Anklagebank blickt. Dort sitzt Waldemar N., ihr Sohn, der des zweifachen Mordes beschuldigt wird. Er erwidert ihr Lachen.

Es ist nicht der einzige Moment, in dem N. gestern vor Gericht gelöst wirkt. Als er in den Gerichtssaal geführt wird und ihm die Handschellen abgenommen werden, schaut er durch die geöffnete Tür ins Foyer. Dort wartet seine Familie, Mutter, Schwester, Schwager. Er winkt nach draußen. Waldemar N. soll im Gersthofener Ortsteil Hirblingen (Kreis Augsburg) seine beiden Nachbarinnen ermordet haben. Zahlreiche Indizien sowie die Aktenlage sprechen laut Anklage gegen den 32-Jährigen. Doch ein schlagender Beweis fehlt, über Motiv und exakten Tathergang können die Ermittler nur mutmaßen. Der Einzige, der diese Fragen beantworten kann, sitzt auf der Anklagebank; doch N. schweigt. Auch am vierten von 16 Prozesstagen, der eine Art Familientreffen ist.

Sie will Angaben machen, sagt die 63-jährige Mutter. Bereits vor 20 Jahren hätten Beate N. und Elke W. dem jungen Waldemar N. den Schlüssel zu ihrem Haus gegeben. Er sollte sich um die Katze kümmern, wenn sie im Urlaub sind. Mit demselben Schlüssel soll sich N. am 9. Dezember vergangenen Jahres Zugang zum Haus verschafft und das lesbische Paar aus Habgier und mit zahlreichen Messerstichen getötet haben.

20 Jahre, so lange lebten die Opfer im Haus neben der Familie N., die bereits 1990 aus Kasachstan eingewandert war. Gut befreundet seien die Nachbarn gewesen, beschreibt die Mutter, ehe sie die Geschehnisse um das Verschwinden der Nachbarinnen aneinanderreiht. Am mutmaßlichen Todestag des Pärchens sei Waldemar N. um halb 7 von der Nachtschicht gekommen und oben in seiner Wohnung im Obergeschoss des Elternhauses verschwunden. Um 7.46 Uhr habe er eine Nachricht geschrieben, ob jemand mit dem Hund gehen könne, er wäre noch mit einem Kollegen unterwegs. Die Mutter habe weder gesehen noch gehört, wie er wegfuhr. Das Auto sei dagestanden. Als er mittags wiederkam, seien sie gemeinsam zum Einkaufen gefahren.

Am Mittwoch darauf habe die Polizei erstmals nach ihrem Sohn gefragt; und sein Handy mitgenommen. "Wenn er es wiederhaben will, kommt er zu uns", hätten die Beamten gesagt. Waldemar N. sei darüber "sauer" gewesen, noch am Abend fuhr er aufs Revier. "Dann ist er nicht wiedergekommen", resümiert die Mutter nüchtern. Ihr Sohn wurde festgenommen, sitzt seither in Untersuchungshaft. Auf den Überwachungsbildern, auf denen der vermummte Waldemar N. zu sehen sein soll, wie er Geld mit den Karten der Opfer abhebt, will sie ihren Sohn nicht erkennen. Auch die Schwester von Waldemar N. will sich bei den Fotos nicht auf ihren Bruder festlegen. Die 35-Jährige äußert sich jedoch über die politischen Ansichten ihres Bruders. "Ein paar Theorien der ,Reichsbürger'", sagt sie, "fand er einleuchtend oder hat sich damit identifiziert."

Großzügig und anständig sei der "Waldi" gewesen, äußert sich ihr Ehemann. Einer, der immer da war, wenn man etwas brauchte. "Ich kann mir keinen besseren Schwager vorstellen", bilanziert der Schwager, schiebt dann jedoch nuschelnd hinterher: "Bis jetzt."