Auf Spurensuche

Wissenschaftler entwickeln Online-Portal zu Corona-Infektionsraten, um regionale Unterschiede zu erklären

07.05.2020 | Stand 23.09.2023, 11:57 Uhr
Symbolbild: Proben für einen Corona-Test. −Foto: Büttner, dpa

Ingolstadt - Was bringen die einzelnen Beschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus wirklich?

Warum entwickeln sich die Infektionszahlen vielerorts trotz ähnlicher oder sogar gleicher Maßnahmen unterschiedlich? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) und der Frankfurter Goethe-Universität ein gemeinsames Online-Portal entwickelt. Auf Basis der vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Daten können Nutzer dabei den Corona-Verlauf für alle 412 Melderegionen in Deutschland seit Ende Februar nachvollziehen.

Was passiert auf lokaler Ebene über die Zeit hinweg? Wie schnell hat sich das entwickelt? Um solche Fragen geht es Joachim Büschken von der KU und seinen Kollegen. "Wir berechnen für jede einzelne Region eine Infektionsrate, mit der wir die kumulierte Zahl neuer Fälle im Vergleich zur Vorwoche abbilden. Liegt die Zahl unter 1, sinkt die Infektionsrate, bei einem Wert über 1 steigt sie", erklärt Büschken. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Absatzwirtschaft und Marketing an der KU und hat das Portal "cov2blog" gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Otter von der Goethe Universität in Frankfurt etabliert.

Für die Wissenschaftler geht es vor allem darum, deutschlandweit lokale und regionale Unterschiede bezüglich der Verbreitung von Covid-19 zu identifizieren und bestenfalls auch erklären zu können. "Die Verläufe der Infektionszahlen sind in den Regionen unterschiedlich, auch heute gibt es an einigen Orten noch steigende Zahlen", führt Büschken weiter aus. Da nicht nur europaweit, sondern auch innerhalb Deutschlands unterschiedlich starke Regelungen und Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus getroffen werden, gelte es nun herauszufinden, ob "diese Unterschiede auch in den Zahlen zu sehen sind".

Dafür sichten mehrere studentische Hilfskräfte seit Wochen Zeitungsberichte und Pressemitteilungen nach den regional unterschiedlichen Maßnahmen, damit sich so langsam ein Gesamtbild zusammenfügt. Da die Meldedaten des RKI - auch weil die Testergebnisse bis zu vier Stellen durchlaufen, ehe sie beim RKI ankommen - oft noch innerhalb der folgenden Tage korrigiert würden, nutzen die Wissenschaftler bewusst nur Daten, die mindestens drei Tage alt sind.

Und erste Erkenntnisse gehen bereits aus den besonders aufbereiteten Daten hervor. Laut Büschken spiele die Bevölkerungsdichte beispielsweise keine große Rolle bei der Verbreitung des Coronavirus. Zudem verdeutlicht der KU-Professor, was die Lage im stark gebeutelten Italien so drastisch werden hat lassen: "Seit gestern haben wir die gleichen Daten für Italien. Man kann da sehr gut sehen, dass sie eine Situation wie im stark betroffenen Heinsberg nicht einmal, sondern fünf- bis sechsmal hatten. Deshalb ist Italiens Gesundheitssystem kollabiert. Wir haben Glück gehabt, dass das bei uns so nicht passiert ist und die Verantwortlichen sofort mit Maßnahmen vorgeprescht sind. " Man sehe, so Büschken weiter, dass man ohne sofortige Intervention ganz schnell in einen Teufelskreis gerate. Solange man keine genauen Informationen zu den Infektionsketten habe, helfe nur, das öffentliche Leben auf Null zu stellen. "Wer wann wo war, muss voll transparent sein", erklärte er.

Helfen solle das kürzlich eingerichtete Online-Portal dabei allen Menschen. "Wir müssen Daten analysieren und jedem zur Verfügung stellen. Das ist für mich fair economy", sagt Büschken. Vor allem für örtliche Politiker kann das Projekt eine Hilfe bei ihren Entscheidungen sein: Sie bekommen damit einen Corona-Überblick über ihre Region und die Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen geben.

Auch perspektivisch erhofft sich Büschken viel von dem Projekt: "Mein Anliegen als Wissenschaftler ist zu lernen, auch im Vergleich mit den anderen Ländern. Was ist bei der nächsten Pandemie, wie machen wir das? " Nun gelte es aber zunächst, die aktuelle Krise zu meistern. "Sie wird uns noch mindestens bis zum Jahresende begleiten", prognostiziert er.

Wie wichtig der Blick auf die Zahlen ist, zeigte gerade erst die Stadt Rosenheim, die am Mittwoch bezüglich der Neuinfektionen nur knapp unter der kritischen Grenze lag. Erst am Donnerstag konnte Entwarnung gegeben werden, weil sich diese Zahl wieder deutlich verringert hat.

DK

Benedikt Schimmer