Revolution während des Spaziergangs

15.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:49 Uhr
Das historische Foto oben zeigt Soldaten, die sich während der Novemberrevolution 1918 in München versammeln, die von Kurt Eisner (links) angeführt wurde. −Foto: dpa (dpa)

Vor 100 Jahren rief Kurt Eisner den Freistaat Bayern aus König Ludwig III. wurde von der Entwicklung vollkommen überrascht und musste aus München fliehen

Noch heute ist der Englische Garten in München ein äußerst friedlicher Ort. Statt des sonst in der Landeshauptstadt üblichen Lärms ist an den meisten Stellen eher das Rauschen eines der Bäche zu hören. Die Welt um sich herum vergisst mancher Münchner leicht einmal, wenn er in der grünen Lunge der Stadt unterwegs ist. So muss es am 7. November 1918 auch König Ludwig III. ergangen sein. Jedenfalls – so ist es zumindest überliefert – war er völlig überrascht, als er an diesem Tag von seinem entspannenden Verdauungsspaziergang im Englischen Garten zurückkehrte und feststellen musste, dass nichts mehr so war, wie noch wenige Minuten zuvor.

Die Wachen und das Personal der Residenz hatten ihm den Rücken gekehrt und sich den Aufständischen angeschlossen. Niemand war mehr da, die Revolution war in vollem Gange – und der König und seine Minister hatten nichts bemerkt und waren nun vollkommen macht- und hilflos.

Denn während Ludwig durch den Park flanierte, formierte sich ein paar Hundert Meter weiter eine große Menschenmasse. 40 000 bis 60 000 sollen es gewesen sein, die sich auf der Theresienwiese zu einer Friedensdemonstration der Mehrheits-SPD (MSDP), der Unabhängigen-SPD (USPD) und der Gewerkschaften versammelt hatten, darunter vermutlich auch viele Schaulustige, die mit Revolution eigentlich nicht viel am Hut hatten. „Aus der Masse heraus hat sich aber eine Eigendynamik entwickelt“, sagt Bernhard Löffler, Professor für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg.

Ein kleiner Teil der Massenkundgebung und auch viele kriegsmüde Soldaten aus den Münchner Kasernen folgten dem USPD-Vorsitzenden Kurt Eisner, der deutlich radikalere Ziele als die MSPD verfolgte. „Eisner war entschlossen, zu handeln“, obwohl die Mehrheits-SPD die Demonstration zuvor friedlich verlassen habe, sagt Ferdinand Kramer, Geschichtsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Statt einer schrittweisen Demokratisierung und angestrebter Reformen wollte Eisner das System stürzen. Nach der Besetzung zahlreicher wichtiger Gebäude und der Flucht des Königs zunächst an den Chiemsee und später weiter nach Salzburg rief Eisner schließlich in der Nacht zum 8. November den Freistaat Bayern aus. 
 

„Millibauer“ ohne Autorität

Die Revolutionsnacht verlief ohne Blutvergießen. Die Wittelsbacher verloren nach Jahrhunderten die Herrschaft über Bayern, ohne sich ernsthaft wehren zu können. Einer der langfristigen Hauptgründe für den Umsturz liegt aus Löfflers Sicht im „schleichenden Machtverlust des Königshauses“. Denn die Krone hatte sich über viele Jahrzehnte in einem sukzessiven Selbstzerstörungsprozess befunden: Die Abdankung Ludwigs I., die Exzentrik und Entmündigung Ludwigs II., die Geisteskrankheit Ottos I. und das Machtvakuum durch den verwaisten Thron zur Zeit der Prinzregenten – all das führte zu einem Autoritätsverlust, den auch König Ludwig III. nach seiner Thronbesteigung nicht mehr beheben konnte. Auch dessen Bürgernähe nutzte ihm letztlich nicht viel, im Gegenteil: „Ludwig III. konnte die Monarchie nicht repräsentieren. Er war im Volk eher der ,Millibauer‘, der sich ums Fleckvieh kümmerte, als der respektierte König“, sagt Historiker Löffler.
Die Uneitelkeit Ludwigs war letztlich wohl auch ein Grund, warum alles friedlich blieb. Zwar dankte Ludwig III. nicht offiziell ab, entband Soldaten und Beamte aber wenige Tage nach seiner Flucht von ihrem Treueeid, wodurch diese sich offiziell den revolutionären Kräften anschließen konnten. Von Kurt Eisner und seinen Getreuen wurde diese Erklärung als Thronverzicht aufgefasst.

Wichtiger als der schleichende Machtverlust des Hauses Wittelsbach seien als Ursache für die Revolution aber kurzfristigere Entwicklungen gewesen, sagt Löffler: Bayern war ein vom Krieg gebeuteltes Land mit großen sozialen Problemen, dass sich nach Frieden sehnte und dessen Missstände die Krone nicht in den Griff bekam. Und so entledigten sich die Menschen hierzulande als erste im Deutschen Reich ihres adeligen Herrschers. In den Tagen darauf mussten noch viele weitere Monarchen ihre Posten räumen – allen voran Kaiser Wilhelm II.
 

Die Gewalt entlädt sich

Dass das Gewaltpotenzial in der Gesellschaft in Bayern sehr groß und die Revolution keineswegs so unangefochten war, wie dies aufgrund des unblutigen Machtwechsels im jungen Freistaat erscheinen mag, zeigte sich allerdings noch in den Monaten nach der Münchner Novemberrevolution. Am 21. Februar 1919 erschoss der Offizier Anton Graf Arco-Valley Kurt Eisner, als der erste bayerische Ministerpräsident gerade nach einer vernichtenden Wahlniederlage auf dem Weg in den Landtag war, um dort seinen Rücktritt zu verkünden. Arco gehörte völkisch-nationalen Kreisen an, „Eisner personifizierte alles, was er ablehnte: in Berlin geboren, ein jüdischer Schriftsteller, Sozialist und Revolutionär“, erklärt der Regensburger Geschichtswissenschaftler Löffler. In der Folge kam es immer wieder zu Attentaten, Unruhen und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb der Revolutionäre und mit Reaktionären und Nationalisten. In blutigen Kämpfen zwischen Anhängern von Räterepublik, einer parlamentarischen Demokratie und Monarchisten starben Hunderte Menschen.

Die Rolle Eisners in Bayerns Geschichte ist bis heute umstritten. Diese sei ambivalent zu beurteilen, betont auch LMU-Professor Ferdinand Kramer. Schließlich habe die Revolution bereits beschlossene Pläne zur Parlamentarisierung Bayerns zunächst noch einmal verzögert. Denn bereits zwei Tage vor Beginn des Umsturzes hatte der Landtag dafür gestimmt, die konstitutionelle Monarchie in eine parlamentarische Monarchie umzuwandeln. Statt dieses Schritts der Demokratisierung regierte dann aber zunächst einmal Eisner als Ministerpräsident ohne demokratische Legitimation. Und doch habe die Regierung Eisner die Wahlen 1919 ermöglicht – die ersten allgemeinen Wahlen, bei denen auch Frauen abstimmen durften, sagt Kramer. 

Dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat den Terminus „Freistaat Bayern“ prägte, ist nach mehr als 60 Jahren CSU-Regierung kaum noch zu glauben. Einem von der SPD geforderten Sonderfeiertag am 8. November 2018, um Eisners Werk zu gedenken, hat die Staatsregierung eine Absage erteilt – und stattdessen ein ganzes Jubiläumsjahr unter dem Motto „Wir feiern Bayern“ ausgerufen.

 

Doppeljubiläum 2018

Höhepunkt des Jubiläumsjahres „100 Jahre Freistaat“ wird ein Staatsakt am 8. November 2018 in München sein. Darüber hinaus gibt es verschiedene offizielle Feierlichkeiten in allen Regierungsbezirken. Begangen wird zudem auch das Jubiläum „200 Jahre Verfassungsstaat“. 1818 erhielt Bayern erstmals eine Verfassung, die die Rechte des Königs in der konstitutionellen Monarchie regelte.