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Ein Gläschen Perspektivlosigkeit: Stiller Gastro-Protest in Schrobenhausen

01.03.2021 | Stand 23.09.2023, 16:40 Uhr
Einige Schrobenhausener Gastronomen machten am Montagmittag auf ihre prekäre Lage und die mangelnden Perspektiven aufmerksam. −Foto: M. Schalk

Seit November sind die Wirtschaften, Cafés, Hotels und Lokale geschlossen. Perspektiven? Gibt es im Moment nicht. Wie in vielen anderen Städten haben deshalb Gastronomen am Montagmittag in Schrobenhausen mit einem stillen Protest auf ihre prekäre Situation aufmerksam gemacht.

Schrobenhausen - Blümchen stehen auf den Tischen im Freien, Teller auf Tischsets, Servietten, ein Holzgestell mit Brezen. Einladend, alles scheint bereit. Fehlt eigentlich nur die Speisekarte. Doch vor der Rathaus-Apotheke hat kein neues Restaurant seine Außengastronomie eröffnet. Und der Anlass, der die Menschen an die Tische treibt, ist auch kein Fröhlicher. Es sind die Gastronomen selbst, die dort Platz genommen haben - und die Gläser in ihren Händen sind leer. Ein Symbol für ihre Situation, die Perspektiven, die sie nicht haben: Da ist schon lange nichts mehr halb voll. Da ist nämlich gar nichts drin.

Sechs der vergangenen zwölf Monate hatten die Gastronomen ihre Betriebe geschlossen - und im aktuellen Lockdown ist noch kein Neustart der Branche in Sicht. Die Perspektivlosigkeit greift um sich - und gerade darauf wollen die Wirte aufmerksam machen mit ihren gedeckten Tischen, die nur so auf die Kundschaft zu warten scheinen. Und mit ihren leeren Gläsern.

"Wir halten uns gerade noch so über Wasser", spricht Savvas Kesidis vom griechischen Restaurant Apollon gleich neben dem Bahnhof, ganz offen über die Situation, in der sie sich befinden. Die Familie hat im vergangenen Jahr viel Geld in den Umbau des Lokals gesteckt und nun Kredite abzubezahlen. "Wir müssen was reinholen." Nur wie? "Der Drive-In deckt gerade so die Kosten", sagt Savvas Kesidis. Niemals macht er aber zum Beispiel das verlorene Weihnachtsgeschäft wett. "Lange werden wir das so nicht mehr schaffen", ist dem jungen Gastronom klar. Etwas, das ihn traurig stimmt. Staatliche Hilfen gibt es zwar, allerdings sind bis jetzt nur die vom November bei ihnen angekommen. Mit einem neuen Kredit versuchen sie nun, zu überbrücken. Und hoffen, dass es bald wieder losgeht. Denn inzwischen, wie sein Bruder Alexandros Kesidis hinzufügt, würden auch die Stammkunden wegbrechen. Sie hätten anfangs noch oft Essen geholt, doch es ist freilich nicht dasselbe: schön angerichtet auf dem Teller - oder eben aus der Pappschachtel. Die Atmosphäre fehlt. "Und die Beziehung zu den Gästen bricht ab, weil das Persönliche fehlt", beschreibt Alexandros Kesidis. Etwas, das in einem Familienbetrieb wie ihrem sonst großgeschrieben wird.

Auf das Kochen für die Pappschachtel hat auch Chrissi Sauer, Koch im Heimat2, keinen Bock mehr. Gerade bei gehobenem Essen sind oft Minuten entscheidend, es gehört frisch auf den Teller - und nicht noch ewig im Auto transportiert. "Wir geben uns viel Mühe, kreativ und spannend zu bleiben", betont Sauer, schließlich will man auch beim Essen-To-Go den Heimat2-Stil bewahren. Doch was fehlt, ist das Ambiente. Die Möglichkeit, den Alltag drei oder vier Stunden zu vergessen, sich bedienen zu lassen, den Abend im Restaurant zu genießen, Spaß zu haben. Das gibt es in der Pappschachtel nicht - ganz gleich, wie kreativ Chrissi Sauer die Speisekarte auch gestaltet. Trotzdem bleibt er positiv, will gar nicht groß motzen. "Ich möcht grad auch kein Politiker sein." Auf das Hygienekonzept im Lokal verweist er dann aber doch. Das steht nämlich und man habe sich auch schon zwischen den beiden Lockdowns dran gehalten. "Kontrolliertes Beisammensein", davon spricht Chrissi Sauer im Restaurant. Stattdessen würden sich die Leute so eben privat treffen - ohne Hygienekonzept. Ob das besser ist? Für ihn schwer nachvollziehbar.

Ebenso wenig für Wirtschaftsreferent Gerhard Winter (CSU). "Die Gastronomen haben super Hygienekonzepte vorgelegt" und auch die Leute hätten Verständnis gehabt, das mit Maske und Abstand habe gut funktioniert, ist Winters Eindruck. Und: "Die Gastronomie war nie ein Hotspot." Umso mehr Sorgen macht sich Winter nun um all jene Betriebe, für die es nach wie vor keine Öffnungskonzepte gibt - in der Gastronomie wie auch in anderen Bereichen. "Es ist eine Katastrophe für alle, die geschlossen sind." Die Selbstständigen, so Winter, würden teils gezwungen, an die eigene Altersvorsorge dranzugehen, ein Thema, das man noch deutlich mehr beachten müsse. Gerade jene, die noch nicht so etabliert seien und in der Aufbauphase viel Geld investiert haben, "die können das nicht einfach wegstecken". Die Gefahr von Schließungen drohe - und Gerhard Winter weiß: "Wenn zwei oder drei Gastronomen aufhören, wird sich die Stadt vom Bild her verändern." Ebenso die Schrobenhausener Kultur, die dort gewachsen sei, es seien Treffpunkte, die da wegfallen könnten. Aus Winters Sicht müsse man hier nun endlich Lockerungen in Aussicht stellen und Gastronomie wie auch Einzelhandel die Chance geben, vernünftig weiterzumachen. "Hoffen wir, dass am Mittwoch ein paar Entscheidungen fallen." Dann nämlich sind die nächsten Bund-Länder-Gespräche.

Lockerungen befürworten würde auch Schrobenhausens Bürgermeister Harald Reisner (FW). Eine vorsichtige, stringente Öffnung würde ihm vorschweben - und zwar bundeseinheitlich. "Man sollte sich ein stückweit trauen." Nur, dass dazu aktuell noch das Konzept fehlt. Denn Reisner vernimmt natürlich auch das Wehklagen der Wirte und Einzelhändler, die noch vom Lockdown betroffen sind, und hat aus Sicht der Stadt große Angst vor möglichen Folgen. "Es ist ein Horrorszenario, dass jeder zweite Laden in Schrobenhausen leer steht." Doch dem Bürgermeister einer Kleinstadt sind in dem Fall die Hände gebunden. Er kann nicht einfach Lockerungen durchsetzen, ebenso wenig kann er einen Rettungsschirm auflegen. "Das ist Sache von Bund und Ländern." Dennoch: "Es tut weh, wenn man sieht, wie die Branche darbt." Gedanken könnte man sich als Stadt höchstens über Gebührenlockerungen in der Außengastronomie machen - auch bei der Gewerbesteuer sei man den Betrieben schon entgegen gekommen. Was Schrobenhausens Bürgermeister deutlich wahrnimmt: "Der Druck der Bevölkerung wächst, sie will den Lockdown nicht mehr länger mittragen. Er verliert die Zustimmung der Menschen." Aus Reisners Sicht werde man lernen müssen, mit dem Virus zu leben.

Ein Schild hält SPD-Stadträtin Martha Schwarzbauer in der Hand. "Um 7e macht da Sig auf!" Darunter hat sie einen randvollen Bierkrug gemalt. Ihr fehlt es, mal was Essen oder Trinken zu gehen - "und ich verstehe das Konzept der Regierung nicht". Dabei ist ihr eines wichtig zu betonen: Sie gehört nicht zu den Querdenkern, aber sie hat Angst um das Leben in Schrobenhausen, darum, wie sich die Stadt verändert. Und: Die Gastronomen haben aus ihrer Sicht 1A-Hygienekonzepte schon im Frühjahr vorgelegt - "das sehe ich bei Aldi oder Lidl nicht". Zweimal habe sie Essen geholt, erzählt die Stadträtin, aber die Müllberge, die dabei entstehen, sind ihr zuwider. "Ich hoffe, dass sich die Regierung etwas einfallen lässt!" Denn, so Martha Schwarzbauer, Geselligkeit und soziales Leben seien ebenfalls wichtig.

Die Aktion, mit der die Gastronomen auf ihre Perspektivlosigkeit aufmerksam machen, lobt Stadtmarketingreferent Günther Schalk (FW). Viele hätten einen Haufen Geld in Hygienekonzepte gesteckt - "ich leide mit den Betroffenen". Groß helfen kann die Stadt aber nicht, "die Entscheider sind weit weg". Appelle, Speisen vor Ort mitzunehmen und in den Geschäften hier zu bestellen, seien das einzige. "Du kannst dich nur mitärgern", so Schalk.

Im Dirndl am Tisch sitzt Claudia Felbermaier vom Lokal Zu Müllers in Winkelhausen, einen leeren Bierkrug in der Hand. Viel Aufwand hätten sie in ihrem Lokal betrieben für das Hygienekonzept. Und nun gibt es das Essen dennoch nur zum Mitnehmen. "Der Kontakt fehlt mir sehr, deswegen hat man sich ja den Beruf ausgesucht." Doch Claudia Felbermaier blickt wie viele andere nach vorne: "Wir hoffen, dass wir bald wieder aufmachen dürfen."

"Das darf so nicht weitergehen!"

Vergissmeinicht verteilt Thomas Felbermaier, Vorsitzender der Kreisstelle Neuburg/Schrobenhausen des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern, der die stille Protestaktion der Gastronomen in Schrobenhausen organisiert hat. Es geht ihm und seinen Mitstreitern darum, auf die prekäre Situation in ihrem Bereich aufmerksam zu machen. "Wenn vergleichbare Branchen wie der Einzelhandel wieder öffnen dürfen, muss es auch im Gastgewerbe wieder losgehen - und zwar so, dass die Betriebe wirtschaftlich arbeiten können." Die Hygienekonzepte seien umgesetzt, Felbermaier versteht nicht, warum beispielsweise Friseure wieder arbeiten dürfen, nicht aber Gastronomen.

Und Perspektiven gibt es aktuell keine. Dabei hätten auch in der Region inzwischen manche Hoteliers und Gastronomen Probleme, ihr Personal zu halten und ihre Pachtverträge zu verlängern. "Sie können das finanziell nicht mehr auffangen." Etwas, das die Menschen demotiviert. Felbermaier spricht von fehlendem Respekt. Staatliche Hilfen gebe es zwar, "sie kommen nur nicht zeitnah". Die Politik, so der Eindruck des Gastwirts aus Winkelhausen, reagiere zwar, habe aber keinen längerfristigen Plan. Perspektiven sind Mangelware.

Dabei ist eines klar: "Die Sicherheit von Mitarbeitern und Gästen steht auch für uns immer an oberster Stelle", betont Felbermaier. So habe man im Gastgewerbe viel weitreichendere Konzepte als etwa im Handel. Alleine schon, was die Gästeregistrierung betrifft. "Wir wissen zu jeder Zeit, wer da war." Es müssen Masken getragen werden, sobald man den Tisch verlässt - "und an diesem dürfen ja wiederum nur Personen gemäß geltender Kontaktbeschränkungen sitzen". Es gibt außerdem vielfach schon zusätzliche Maßnahmen zur Luftreinigung. "Wir haben verantwortbare Pläne für Öffnungsszenarien und erfolgreiche Schutzkonzepte erarbeitet." Deshalb betont Felbermaier: "Das darf so nicht weitergehen!"

ais

SZ

Isabel Ammer