Schrobenhausen
Zwischen Verbot und gutem Willen

Containern: Besuch bei den Rettern von Lebensmitteln aus dem Müll

04.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:14 Uhr
  −Foto: Tyroller

Containern: Ein Unbekannter rettet aus Überzeugung Lebensmittel vor dem Müll. Er macht das irgendwo im Schrobenhausener Land. Weil containern trotz Versuchen, das zu ändern, noch immer illegal ist, muss er unbekannt bleiben. Das ist die Geschichte dazu.

 

Mitten in der Nacht, wenn die meisten Bürger schon mit vollgeschlagenen Bäuchen auf der Couch fläzen oder gar brav im Bettchen liegen, beginnt für einen Unbekannten die eigentliche Lebensmittelbeschaffung: Er geht Containern.

Containern? Spätestens seit zwei Studentinnen aus Olching, die 2018 beim Containern von der Polizei erwischt wurden, vergangenes Jahr ihr Urteil wegen Diebstahls angefochten haben, sollte der Begriff des Containerns den meisten geläufig sein. Falls nicht: Containern bedeutet so viel wie weggeworfene, aber noch genießbare Lebensmittel zum Eigenverbrauch aus dem Abfallcontainer eines Supermarktes zu holen.

Auch wenn immer wieder Stimmen laut werden, die Gesetzeslage bezüglich des Containerns zu ändern, ist das Ganze in Deutschland immer noch nicht legal. Das hält einen Unbekannten aber nicht davon ab, regelmäßig Lebensmittel irgendwo im Schrobenhausener Raum oder Umgebung vor dem endgültigen Entsorgen zu retten. Schließlich ist der Großteil der Lebensmittel, die in den Containern landen, alles andere als Abfall. Jede Menge frisches Obst und Gemüse, abgepackte Süßigkeiten, Käse, Wurst, und, und, und sind oftmals in den Mülltonnen zu finden. Nur, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, heißt das noch lange nicht, dass die Ware ungenießbar ist. "Den Magen habe ich mir davon noch nie verdorben", bestätigt Tim*, und das, obwohl er nicht erst seit gestern Containern geht. Er geht sogar noch weiter und sagt, dass die weggeschmissenen Lebensmittel deutlich gesünder sind als die früher über die Ladentheke erworbenen Lebensmittel.

Trotzdem nimmt er das Containern nicht auf die leichte Schulter. "Das ist ein moralischer Zwiespalt, in dem man steckt", erklärt er. Darum habe er auch jedes Mal aufs Neue Respekt vor der Sache, schließlich kann immer mal jemand um die Ecke kommen und einen auf frischer Tat ertappen. Er selbst ist zwar noch nie von der Polizei ertappt worden, aber das bedeutet nicht, dass es nicht schon mal nächtliche Begegnungen beim Mülltauchen gegeben hätte. Bisher ist aber zu seinem Glück immer alles glimpflich ausgegangen.

Vor vier Jahren hat das Ganze begonnen. Damals zwar noch nicht in Deutschland, sondern in Norwegen. Dort war er mit Freunden oft beim Containern oder "Dumpster Diving", wie das Mülltauchen auch oft genannt wird. "Da waren teilweise tütenweise Laib Brot drin", erinnert er sich. "Das war ein Highlight!" In Deutschland ging es mit dem Mülltauchen auch gleich weiter, wenn auch anfangs nicht im Schrobenhausener Raum, sondern in einer nahegelegenen Großstadt. Doch nicht nur in größeren Städten, sondern auch in Schrobenhausen und Umgebung ist Containern möglich. "Die Fülle findet man überall", weiß Tim. Seitdem macht er sich regelmäßig seinen Gefrierschrank mit Fleisch, Wurst, Käse und Teigwaren voll. Deswegen hat er einen Supermarkt - zumindest von innen - schon lange nicht mehr gesehen: Das letzte Mal im Spätsommer vergangenen Jahres. Aber auch nur, um Dinge wie beispielsweise Senf oder Olivenöl zu kaufen. Ansonsten ernährt er sich ausschließlich vom Containern. "Durch das Containern ist meine Ernährung gesünder geworden", sagt er heute. "Sie ist vielschichtiger geworden."

 

So hat er beispielsweise regionale Ware wie Mangold, Kohlrabi, Pastinaken oder alle Arten von Kohl viel besser kennengelernt und fest in seinen Ernährungsplan verankert. Aber es gehen auch ein paar Verluste mit seinem ungewöhnlichen Hobby einher. "Auf jeden Fall esse ich weniger Weißbrot", erklärt er grinsend. "Es gibt einfach keine frischen Semmeln." Wenn er mal zu Brot kommt, dann zu so etwas wie Pumpernickel. Einen Drang nach bestimmten Lebensmitteln habe er aber trotzdem keinen. Vielmehr sagt er, dass sich das in das komplette Gegenteil verändert habe. Man lerne die containerten Lebensmittel als Geschenk anzusehen und nicht mehr wählerisch zu sein.

"Kochen ist ein zentraler Bestandteil meines Lebens geworden", sagt er. Dagegen fällt es ihm eher schwer zu "akzeptieren, dass so viel weggeschmissen wird." Darum schafft er es auch nicht, einmal eine Woche zu fasten und nicht containern zu gehen. Der Missmut über die weggeschmissenen Lebensmittel und der Drang sie zu retten, ist einfach zu groß.

Tim containert aber nicht, weil er es sich nicht leisten kann, sondern um möglichst viele noch essbare Lebensmittel vor der Müllverbrennung zu bewahren. Er tut es aus Überzeugung. Doch natürlich weiß er, dass er nicht der einzige ist, der containert und es durchaus auch Leute gibt, die es nicht zur Rettung von Lebensmitteln, sondern aus einer finanziellen Not heraus machen. Darum sollen aus Rücksicht auf diese auch keine genauen Angaben zu den Standpunkten der Container gemacht werden. Allerdings behält er auch nicht alle containerten Lebensmittel für sich selbst. "Durch das Containern konnte ich lernen zu teilen, zu geben und zu schenken", sagt er. "So habe ich gemerkt, dass ich das gerne mache." Langfristig gesehen möchte Tim aber vom Containern wegkommen. Er setzt stattdessen auf die Umweltbewegung "foodsharing". Durch sie könnten die weggeschmissenen Lebensmittel nämlich systematisch, verbindlich, und vor allem auf legale Weise gerettet werden. Hierfür schließen sich sogenannte Foodsaver in einem Bezirk zusammen und garantieren den teilnehmenden Betrieben wie Supermärkten, Bäckereien oder Metzgereien, dass sie die aussortierten Lebensmittel immer zu 100 Prozent abholen. Dann wird entschieden, ob die Lebensmittel beispielsweise an die Tafel gespendet werden oder anders verteilt werden. In größeren Städten gibt es zum Beispiel öffentliche Kühlschränke, aus denen sich jeder bedienen kann. "So kann den Lebensmitteln wieder ein Nutzen zugeführt werden", erklärt Tim.

Momentan steckt er noch mitten im Ausbildungsprozess zum Foodsaver, denn aufgrund von Corona musste er pausieren. Sobald es wieder möglich sein wird, wird er aber seine Ausbildung abschließen und möchte am liebsten gleich loslegen. Schrobenhausen stellt bislang aber noch keinen Bezirk dar, in dem "foodsharing" vertreten ist (die nächstgelegenen Bezirke sind Augsburg, Ingolstadt und München). Wenn es nach Tim geht, muss sich das schleunigst ändern. Er hofft darauf, dass sich möglichst bald noch mehr aus Schrobenhausen und Umgebung zum Foodsaver ausbilden lassen, damit ein Bezirk gegründet werden kann. "Bislang gibt es eine Foodsaverin", sagt er. Wer jetzt denkt, die Ausbildung dauert sicher eine Weile, liegt falsch. Um sich ausbilden zu lassen, muss in einem ersten Schritt ein foodsharing-Quiz absolviert werden. "Das ist nicht ohne", meint Tim. Danach müssen drei betreute Einführungsabholungen bei einem Betrieb mitgemacht werden und schon ist man Foodsaver.

Eines ist Tim aber wichtig zu betonen: Er sieht "foodsharing" auf keinen Fall als Konkurrenz zur Schrobenhausener Tafel, sondern als Unterstützung. "So könnten zu 100 Prozent Lebensmittel gerettet werden", ist er überzeugt. Eine Win-Win-Situation für alle.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.