Schrobenhausen
"Wir müssen uns trennen von diesen Rollen"

Viele Frauen sind in beruflichen Netzwerken organisiert - das Unternehmerinnen Forum ist eines davon

26.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:39 Uhr
Lydia Sauer-Sturmes ist Vorsitzende des Unternehmerinnen Forums Ingolstadt. Nach ihrer eigenen Familienphase hat sie sich als Coach und Mediatorin selbständig gemacht. −Foto: Privat

Schrobenhausen - "Kreative Schaffenskraft, weibliche Leidenschaft und lebendige Gemeinschaft in Ingolstadt, den Landkreisen Eichstätt, Pfaffenhofen und Neuburg-Schrobenhausen" - damit wirbt das Unternehmerinnen Forum Ingolstadt, das sich, wie der Name schon sagt, an weibliche Unternehmerinnen wendet.

Wir haben mit Lydia Sauer-Sturmes, der Vorsitzenden des Vorstands, über die Arbeit des Vereins gesprochen und darüber, wie sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen.

Frau Sauer-Sturmes, welche Frauen organisieren sich im Unternehmerinnenforum?
Lydia Sauer-Sturmes: Das sind selbständige Frauen. Um bei uns aufgenommen zu werden, müssen die Damen nachweisen, dass sie selbständig sind, also auf eigene Rechnung arbeiten. Entweder haben sie eine Firma oder es sind kleinere Nebengewerbe. Die zeigen uns dann ihren Gewerbeschein, dann wissen wir, dass sie das in selbständiger Tätigkeit betreiben. Wir haben eine Zeit lang überlegt, ob wir allen Frauen, die in Arbeit stehen, die Möglichkeit geben wollen, bei uns mitzumachen. Wir haben aber dann festgestellt, dass die Zielsetzung einfach eine andere ist, die eine Frau in Anstellung mitbringt. Da sind die Anforderungen einfach anders, als wenn man sein eigenes Unternehmen leitet.

Wo kommen Ihre Mitglieder denn her? Es heißt ja Unternehmerinnenforum Ingolstadt? Sie selbst kommen aus Ilmmünster.

Sauer-Sturmes: Wir haben Mitglieder aus Rohrbach, aus Schrobenhausen, Wolnzach bis hoch nach Lenting und sogar nach Eichstätt.

Also eigentlich die ganze Region 10, oder?
Sauer-Sturmes: Ja, im Prinzip die ganze Region 10.

Wobei unterstützen Sie Ihre Mitglieder?
Sauer-Sturmes: Da hat es sich über die Jahre herauskristallisiert, dass wir die größte Hilfe dadurch bieten, indem wir ein Mentoring anbieten. Das heißt, erfahrene Mitgliederinnen unterstützen neue Mitglieder und Neugründerinnen in ihrem Geschäft. Das ist ein aus unseren Reihen im Ehrenamt begleitetes und für die Neumitglieder kostenloses Angebot. Weil wir merken, dass die größte Hürde für eine Frau in der Selbständigkeit ist, sich so zu emanzipieren, dass sie sich ein dickes Fell und ein breites Kreuz zulegt und wenig daran zweifelt, was sie tun möchte, sondern wirklich davon überzeugt ist, etwas zu tun. Das ist schon etwas, dass die Männer von den Frauen unterscheidet.

Interessant, dass Sie das sagen. Das liest man ja ganz oft, dass das ein Problem vieler Frauen ist. Auch wenn sie als Angestellte Karriere machen wollen. Viele Frauen trauen sich das ja gar nicht zu.
Sauer-Sturmes: Die Frauen bewegen sich schon auf einem hohen Niveau. Aber die Fragestellung ist trotzdem, darf ich das tun? Diese Selbstzweifel behindern die Frauen schon. Strategien, die Männer so nennen, funktionieren bei Frauen nicht.

Zum Beispiel?
Sauer-Sturmes: Frauen denken nicht unbedingt so geradlinig wie Männer. Frauen denken viel verzweigter. Dadurch sind sie nicht falsch, sondern nur anders. Und wenn sie mit Männern zusammenkommen und die Männer den Frauen sagen, was sie tun sollen, das ist in etwa so, als würde man einem Eishockeyspieler erklären, dass er doch bitte seinen Eishockeyspieler so nehmen soll wie einen Golfschläger. Das passt einfach nicht zusammen.

Aus welchen Branchen kommen denn Ihre Mitglieder?

Sauer-Sturmes: Bei uns gibt es sehr viele Quereinsteigerfrauen, die erst mal im Nebengewerbe starten und überhaupt die Selbständigkeit ausprobieren wollen. Das fängt beim Nagelstudio an, aber das geht auch über Programmiererinnen, Rechtsanwältinnen oder Architektinnen. Wir haben auch eine Geigenbauerin. Das ist wirklich eine ganze Breite an Berufen. Wir haben aber auch Tupperwarefrauen, die tatsächlich davon leben. Wir haben auch Versicherungsagenten. Das ist schon sehr vielseitig. Dadurch ergänzen wir uns auch gut. Wir können uns gegenseitig gut helfen. Eine Rechtsanwältin kann etwa einen Vortrag halten, genauso wie die Steuerberaterin. Wir geben also auch untereinander Seminare.

Steht das dann auch in Ihrem Vortragskalender?
Sauer-Sturmes: Das ist relativ neu, dass die Veranstalterinnen alles Frauen aus dem Unternehmerinnen Forum sind. Da ist aber jeder eingeladen. Wir wollen damit unsere Mitglieder auch der Öffentlichkeit zeigen. Das ist nämlich das nächste Handicap für die Frauen. Man hat eine Idee, man hat eine Firma gegründet, man hat aber noch keine Kunden, weil man einfach noch nicht bekannt ist.

In der Phase sind Werbung und Kundenakquise ja enorm wichtig.

Sauer-Sturmes: Ja, und bei uns findet Werbung eben dadurch statt, dass wir den Damen anbieten, über das Unternehmeninnen Forum Veranstaltungen zu machen. Wir haben auch einen relativ großen Newsletter-Bereich. Das ist einfach eine andere Wahrnehmung, wenn das Unternehmerinnenforum etwas sagt.

Wie entscheiden Sie, wer zu einem Mentee passt?
Sauer-Sturmes: Interessante Frage. Wir hatten gerade erst eine Vorstandsitzung. Da haben wir genau darüber auch diskutiert und beschlossen, dass wir unsere Kriterien ein bisschen aufweichen. Eigentlich hatten wir mal beschlossen, dass wir nur Neugründerinnen nehmen. Jetzt stellte sich die Frage, was ist, wenn die jetzt ihr Geschäft schon drei Jahre hat und sich trotzdem als Mentee bewirbt. Wir kamen zu dem Schluss, dass sich bei uns eine Frau als Mentee bewirbt, weil sie wirklich Hilfe braucht. Und dann haben wir beschlossen, dass auch diese Damen in den Genuss kommen, wenn sie wirklich Hilfe benötigen. Das funktioniert aber nicht nach dem Prinzip: ah, ich kann mir einen Coach sparen, wenn ich da zu einer Mentorin komme.

Das heißt, die Mentees müssen auch etwas zurückgeben?

Sauer-Sturmes: Ein Mentoring soll die Funktion haben, dass der Mentee, der ja kommt und Hilfe braucht, anfängt, sich genau zu strukturieren. Das ist wie bei Sparring-Partnern, dass praktisch der Mentor danebensteht und sagt, mach mal und ich sag dir dann wie das bei mir ankommt. Oder fragt, was hast du für eine Idee, was machst du konkret? Da kann man dann ganz konkret bei einfachen Dingen helfen, indem man zum Beispiel jemanden unterstützt, der gerade eine Cateringagentur geöffnet hat. Wir können zum Beispiel im Bekanntenkreis suchen, ob da gerade so jemand gesucht wird und dann vermittelt man die. Das funktioniert gut bei uns, weil wir schon ein großes Netzwerk haben. Oder wenn jemand nur wenig Ahnung von Buchhaltung hat, können wir Empfehlungen aussprechen, wo sie gut hingehen können. Oft trauen die sich selbst gar nicht, jemanden im Unternehmerinnen Forum um ein Treffen zu bitten. Wir haben auch Early-Bird-Frühstücke, wo man sich austauschen kann.

Sie haben ja erwähnt, dass bei Ihnen viele Quereinsteigerinnen organisiert sind. Was haben die denn vorher gemacht?

Sauer-Sturmes: Die einen waren vorher Mutter und wollten danach nicht mehr in ihren alten Beruf zurück. Ich selber bin Mutter von drei Kindern und habe BWL studiert. Als ich mit 45 zurück wollte ins Berufsleben, hat mich das Arbeitsamt angelächelt und gesagt, das brauche ich gar nicht mehr zu versuchen. Damals hab ich das als wahnsinnige Schmach empfunden. Wir erleben das immer wieder, wie schwer es Frauen haben, die nach der Familienzeit wieder zurück in den Beruf wollen.

Wie meinen Sie das?

Sauer-Sturmes: Wir Frauen haben da schon ein Problem. Viele Frauen haben Kinder und stehen dazu. Es gibt Frauen, die wollen Kinder und können keine kriegen. Und es gibt auch Frauen, die Kinder haben und wollen sie eigentlich nicht. Das ist für den Arbeitgeber oft eine Herausforderung zu wissen, mit welcher Sorte Frau er sich da gerade beschäftigt. Viele junge Frauen werden nicht genommen, weil sie im gebärfähigen Alter sind. Auch wenn die fünf Mal sagen, dass sie keine Kinder wollen. Das spielt trotzdem keine Rolle. Die werden abgestempelt. Da wird dann oft lieber ein Mann genommen, weil der keine Kinder kriegen kann.

Da gibt es ja auch genug Studien zu dem Thema.

Sauer-Sturmes: Ja, genau. Das ist in der Realität tatsächlich immer noch so. Es gibt aber auch das Problem, dass Frauen outgesourct werden kurz vor dem 50. Geburtstag.

Das heißt, dass sich die Frauen dann was anderes überlegen müssen?

Sauer-Sturmes: Ja. Wenn sie aber angestellt waren und keine Idee haben, was sie sonst machen wollen, dann haben sie ein Problem. Ich habe eine Freundin, die muss arbeiten und die hat es mit der Selbständigkeit probiert. Die hat auch BWL studiert, war hoch qualifiziert. Die arbeitet jetzt aber als Verkäuferin auf 450-Euro-Basis.

Was würden Sie Frauen raten, die nach der Elternzeit wieder einsteigen möchten?

Sauer-Sturmes: Im Prinzip kann ich den Frauen gar nichts raten. Ich kann nur der Gesellschaft und der Politik raten, Frauen anders wahrzunehmen. Und ich kann nur jeder Frau raten, Frauen anders wahrzunehmen. Also nicht in diesen klassischen Rollen, in diesem Rollendenken, das Frauen schon immer erfahren haben. Wir müssen uns trennen von diesem Rollenverhalten. Wir sind Mutter, ja. Oder wir sind eben keine. Aber das ist die private Ebene. Im Berufsleben haben wir als Frau eine Qualifikation wie ein Mann auch und dann sollten wir auch so angesehen werden wie ein Mann. Diese Trennung ist ein gesellschaftliches Problem. Die Politik sollte die Frauen anders bewerten. Das ist natürlich ein sehr zäher Prozess. In den Köpfen tut sich da schon was, es wird nur noch nicht so gelebt. Das ist das Problem.

Wird sich das irgendwann ändern?

Sauer-Sturmes: Ich hoffe, dass wir vielleicht mit der nächsten Generation daran etwas ändern. Bei meinen Kindern zum Beispiel, die sind zwischen 25 und 30, da ist das überhaupt keine Diskussion mehr. Männer können genauso eine Zeit lang zu Hause bleiben bei den Kindern. Männer können auch Haushalt, Männer können kochen. Die machen da keinen Unterschied zwischen der Qualifikation von Frauen und Männern.

Zum Schluss noch eine provokante Frage: Warum werden die meisten Führungspositionen noch immer vorwiegend mit Männern besetzt?

Sauer-Sturmes: Die Männer haben nach wie vor Angst vor Karrierefrauen. Weil sie die Frauen nicht kennen. Und sie haben Angst davor, ihre Machtposition zu verlieren. Das sind diese alten Denkmuster, die es aufzubrechen gilt.

SZ

Das Gespräch führteJulia Röder