Schrobenhausen
"Was ist Heimat für Sie?"

<DK-XY_trifft>GEDANKEN ZUM SONNTAG</DK-XY_trifft> diesmal von Katrin Pfeiffer

03.10.2021 | Stand 08.10.2021, 3:35 Uhr
Katrin Pfeiffer ist  Dipl.-Sozialpädagogin (BA) beim Caritasverband Neuburg-Schrobenhausen. −Foto: Katrin Pfeiffer

Liebe Leserinnen, liebe Leser,an den Anfang meiner Gedanken möchte ich gern die Frage stellen: Was ist Heimat für Sie? Vielleicht eine besondere Gegend, der Ort, an dem Familie und Freunde leben, oder der Ort, an dem Sie geboren wurden und aufgewachsen sind? Vielleicht haben Sie auch schon einmal Ihre Heimat verlassen, aus freien Stücken, oder weil es keine andere Möglichkeit gab.

An diesem Sonntag ist Tag der Deutschen Einheit. Ziemlich genau vor 32 Jahren (da war ich noch nicht ganz 13 Jahre alt) gingen in der ehemaligen DDR mutige Menschen auf die Straße, weil sie sich tiefgreifende Veränderungen wünschten für das Land, in dem sie lebten. Ein paar Wochen später - im November 1989 - fiel die Mauer. Im Juli 1990 gab es mit der Währungsunion die nächste Zäsur, und in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 feierten vor dem Berliner Reichstagsgebäude Hunderttausende Menschen die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. In weniger als einem Jahr vollzog sich die Wiedervereinigung, die für viele Menschen dieses Landes einschneidende Veränderungen mit sich brachte.

Bezüglich des Ablaufs und des Tempos der Wiedervereinigung gehen die Meinungen weit auseinander. Die Wiedervereinigung ist passiert, wie sie passiert ist. Das ist nicht mehr zu ändern. Auf jeden Fall haben nach dieser rasanten Wende viele Menschen in meinem Alter - genau wie ich - ihre Heimat verlassen, und das nicht immer aus freien Stücken. Es gab einfach nur sehr wenige, dürftige oder je nach Gegend gar keine beruflichen Perspektiven in den frühen 90er Jahren. Die Folgen dieser "Abwanderung" sind heute noch auf vielen Ebenen zu spüren.

Es ist nun über 25 Jahre her, dass ich meine Heimat verlassen habe. Eine lange Zeit. Und doch zieht es in der Zeit um den 3. Oktober immer seltsam durch mein Gemüt. Jedes Jahr denke ich ganz besonders in diesen Tagen viel an das Land, in dem ich aufgewachsen bin, und das es jetzt nicht mehr gibt.

Für mich dauert die Wende immer noch an. Immer wieder werde ich gefragt, woher ich denn komme. Meist folgen dann noch die Frage nach meinem Alter zur Wendezeit, und ein Statement zur aktuellen politischen Lage. Und dann ist das Thema meistens erledigt. Dabei waren die entscheidenden und prägenden Zeiten für mich die frühen 90er Jahre. Und manchmal wünsche ich mir mehr Interesse an der - wie ich finde langen - "Geschichte der Wende", statt Bedauern, Bewertungen und (Vor)Urteile.

Vielleicht haben Sie im vergangenen Jahr die Fotoausstellung von Daniel Biskup in der Maria-Ward-Realschule besucht. Sehr eindrückliche Aufnahmen aus der Zeit der Wendejahre waren über mehrere Wochen im Rahmen eines Projektes in einer Ausstellung zu besichtigen. Lebensgeschichten von Menschen, deren Leben sich mit der Wende blitzartig und tiefgreifend veränderte. Szenen merk-WÜRDIGER Lebenswege fing Daniel Biskup in ausdrucksvollen Aufnahmen ein. Er gab den Menschen ein Gesicht - stellvertretend für viele andere Menschen aus der ehemaligen DDR. Er kam mit ihnen ins Gespräch, hörte ihre Lebensgeschichten. Zuhören - den Geschichten über vielfältige und manchmal erstaunliche Lebenswege aus dieser Zeit - mit Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme - so wie das für Momo (Roman von Michael Ende) selbstverständlich ist. Interessiert nachfragen und aufmerksam zuhören - das könnte ein Weg zueinander sein.

Vermutlich sind Erinnerungen an Heimat immer etwas "süßer" als die Realität es tatsächlich war. Vielleicht erklärt das die Ostalgie mancher Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind. Auch, wenn es nicht immer so war, mittlerweile ist es für mich auf jeden Fall meistens sehr schön und mindestens genauso bewegend, mich an meine Heimat zu erinnern. Seit über 20 Jahren ist meine Heimat nun hier. Sehr dankbar bin ich für den Weg, der mich hierher geführt hat, und auf dem ich mich im Großen und Ganzen immer sehr getragen gefühlt habe. Ich bin glücklich, hier zu leben und aktuell auch zu arbeiten. Gleichzeitig reise ich immer gern in Gedanken an die Orte meiner Kindheit zurück - und ganz besonders in den kommenden Tagen.

Friedrich Schorlemmer - evangelischer Theologe, Bürgerrechtler und DDR-Oppositioneller - definiert in einem seiner Bücher Heimat als den "Ort, an den die Seele gern zurückkehrt." Das gefällt mir gut. Und irgendwie bin ich mir sicher, dass es in Ordnung ist, mehr als nur eine Heimat zu haben.

Viel Freude wünsche ich Ihnen beim Finden Ihrer ganz eigenen Antworten auf die Eingangsfrage: "Was ist Heimat für Sie?" Vielleicht kramen Sie auch ein paar alte Fotos oder Erinnerungsstücke hervor und erinnern sich gern an Ihre Heimat zurück- oder feiern Ihre jetzige.

In diesem Sinne - haben Sie einen heimatverbundenen, gedanken- und erinnerungsreichen und vor allem gesegneten Sonntag.

Katrin Pfeiffer ist  Dipl.-Sozialpädagogin (BA) beim Caritasverband Neuburg-Schrobenhausen.