Vokale Gipfeltouren

Gelungener Abschluss der Schrobenhausener Tage der Barockmusik in der Kirche St. Jakob

21.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:16 Uhr
Gipfelpunkte der Chormusik: AUXantiqua singt unter Leitung von Stefan Steinemann. −Foto: Schalk

Schrobenhausen - Die historische Aufführungspraxis ist in der Musik längst erfolgreich etabliert, eine virologische Aufführungspraxis war dagegen bislang unbekannt - und wird es hoffentlich schon bald wieder sein.

Doch auch vor den Barocktagen 2020 macht Corona nicht halt, und so bedingten besondere Umstände besondere Maßnahmen, hier also nicht nur eine reduzierte Zuhöreranzahl, sondern vor allem die Einhaltung von Zwei-Meter-Abständen zwischen den Mitwirkenden. Gut für die Gesundheit, anstrengender aber für die sängerische Interaktion. Schämen soll er sich, dieser Virus!

Dennoch war die Ankündigung von Jakob Rattinger, das Publikum erwarte zum großen Abschluss der Barocktage nun ein "etwas chaotisches Chorkonzert" nur mit starkem Augenzwinkern zu verstehen. Denn recht viel geordneter und strukturierter als mit Johann Sebastian Bachs kunstvoll gebauten Motetten kann ein Chorkonzert eigentlich nicht sein, und die Profisänger von AUXantiqua unter dem planvollen Dirigat von Stefan Steinemann wussten natürlich erfolgreich den insofern ungewohnten Rahmenbedingungen zu trotzen.

Die in Bachs Leipziger Zeit entstandenen sechs Motetten BWV 225 bis 230 sind seit knapp 300 Jahren Gipfelpunkte der Chormusik, in den alpinen Worten von Howard Arman jede "ein eigenes Matterhorn". Im damaligen Gottesdienst hatte zwar bereits die Kantate die führende Rolle übernommen, für diverse Begräbnis- oder Gedächtnisfeiern lieferte Bach aber diese Chorstücke in der Tradition der klassischen Vokalpolyphonie. Zum Ausgleich für das in der Motette naturgemäß fehlende Orchester machte Bach einfach die Gesangsstimmen schwieriger und fasste darin so ziemlich alles zusammen, was einzel- und doppelchörig an Satztechniken zwischen Choral, Kontrapunkt und Fuge denkbar ist.

Ganz einfach also - man muss es nur singen können. Am besten so wie das junge Gesangsensemble AUXantiqua, das trotz Augsburg (der Wirkungsstätte von Stefan Steinemann) im Namen seine Wurzeln an der Basler Schola Cantorum hat. Und wie zur Bachzeit und nach der vor 40 Jahren noch revolutionären "Rifkin-Methode" agiert AUXAntiqua in zwölfer- bzw. achter-Stärke, also mit einfacher Besetzung auch im Doppelchörigen. Die Generalbass-Unterstützung übernahmen Umberto Kostani? an der Truhenorgel und Jakob Rattinger an der Gambe.

Der von Festivalleiter Rattinger nach der letztjährigen "Marienvesper" gleichfalls ironisch als "alter Bekannter" der Barocktage vorgestellte Dirigent Stefan Steinemann ist mit seinen gerade 28 Jahren immerhin jüngster Domkapellmeister Deutschlands. Schwingend modelliert er Bachs "Predigt in Musik", hebt er die Stimmverläufe unaufgeregt, aber klar hervor, worin ihn sein Ensemble ideal unterstützt. So passend und stimmungsvoll "der Jakob" als Aufführungsort ist, für die Durchhörbarkeit aller polyphonen Feinheiten bleibt die Kirchenakustik mit ihrem Nachhall nicht unproblematisch.

Klug nimmt Steinemann daher manche Passage im Tempo zurück, deren Verlauf ansonsten im Kirchenschiff zu sehr verschwömme. Der musikalische Fluss, die Bewegung der Stimmen ist dem Dirigenten besonders wichtig; statt vordergründig und plakativ aufzutrumpfen, finden die Textworte stets Ausdruck im Klang. So legt er etwa bei der Aufforderung, die Welt solle nur toben, den Akzent vielmehr schon auf die unmittelbar folgende Glaubenszuversicht: "ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh". Schönste Abstufungen, Hervor- und Zurücktreten der Stimmen auf engem Raum, vielfach differenzierte Aufschwünge wie in den Trostrufen des "Fürchte Dich nicht! " die Fülle, und auch das virtuose Schluss-Alleluja in BWV 230 "Lobet den Herrn" endet nicht mit vokalem Paukenschlag, sondern nachdenklich bestimmt. Klarste Einsätze, harmonischer Zusammenklang und ungebrochene Konzentration verstehen sich bei AUXAntiqua unter Stefan Steinemann von selbst.

Eine große Leistung, angesichts deren Kulturreferent Kreisle stolz hervorheben konnte, "wie die Barocktage dem Kulturleben hier in dieser kleinen Stadt seit zwölf Jahren Glanz verleihen". Und am Ende konnte auch wenig Publikum für viel verdienten Applaus (und Zwischenapplaus) sorgen. Aber schämen soll er sich trotzdem, dieser Corona-Virus!

DK

Florian Erdle