Schrobenhausen
Oh, du schöne Utopie

Holly-Jane Rahlens las im Pfarrzentrum vor 30 Hörern aus ihrem Buch "Everlasting"

21.04.2016 | Stand 02.12.2020, 19:56 Uhr

Schrobenhausen (SZ) Ein Roman, in dem es nur noch drei Bibliotheken in ganz Europa gibt - was nach einer Vision klingt, die so gar nicht mit der Reihe "SOB liest" zu harmonieren scheint, entpuppt sich am Mittwoch im Pfarrzentrum als fesselnde Reise durch die Zeit.

Zu Gast ist Autorin Holly-Jane Rahlens mit ihrem Buch "Everlasting".

 

Es ist nicht unbedingt eine erstrebenswerte Zukunft, in die Holly-Jane Rahlens ihre rund 30 Zuhörer im Pfarrzentrum Sankt Jakob entführt: Die Hälfte der Weltbevölkerung stirbt im "Dark Winter" des Jahres 2018 an einer Seuche, Städte werden niedergebrannt, große Teile der Weltkultur zerstört, Sprachen gehen verloren. 200 Jahre später ist Deutsch eine tote Sprache.

Die Menschen schreiben nicht mehr. Die Individualität ist passé, das Wir wichtiger als das Ich. Große Gefühle, Hass, Rache - das alles ist verpönt. Der Mensch hat gelernt, Gefühle zu unterdrücken.

Mitten in diese widrigen Zukunftsvisionen setzt Holly-Jane Rahlens mit dem jungen Historiker und Sprachwissenschaftler Finn Nordstrom einen sympathischen Protagonisten, der im 23. Jahrhundert lebt. Einer, der es irgendwie geschafft hat, sich das Menschsein zu bewahren - oder es vielmehr wiederzuentdecken.

Finn ist ein Träumer. Finn liest alte Bücher und Gedichte - und das in einer Zeit, in der es noch genau drei Bibliotheken in ganz Europa gibt. Während Kommunikation längst über "Brain Waves" übermittelt wird, beherrscht Finn noch immer die Kunst des Handschriften Lesens.

Zwar kennt Finn die Liebe nur aus Büchern - doch das ändert sich im Lauf der Handlung. Seine Welt wird umgekrempelt, als ihm das Tagebuch einer 13-Jährigen aus dem Berlin des 21. Jahrhunderts in die Hände fällt.

Später dann schickt Holly-Jane Rahlens ihre Hauptfigur auf eine Reise durch die Zeit. Und das macht sie überaus spannend, überraschend, ideenreich.

Trotz der eher düster gezeichneten Zukunft hat das alles auch unglaublich warmherzige Momente. Und lustige. So amüsieren sich die Zuhörer im Pfarrsaal köstlich darüber, was jenem Mann aus dem 23. Jahrhundert beim Erkunden der heutigen Zeit so alles die Stirn runzeln lässt: Eiscreme, Pilotenjacken mit Schulterpolstern oder "Hubba Bubba". Und was zum Teufel hat es eigentlich mit dem Begriff "DSDS" auf sich?

Spritzig trägt Holly-Jane Rahlens die von ihr verfassten Zeilen vor; köstlich, wenn sie den Redeschwall einer 13-Jährigen - ohne Punkt und Komma - imitiert.

In gewisser Weise handle es sich bei diesem Buch ja um Science-Fiction, sagt Herbert Götz, Leiter der Katholischen Öffentlichen Bücherei, zu Beginn der Lesung. "Das hatten wir noch nie", freut er sich. Mit der heutigen Lesung sei das Festival "SOB liest" gewissermaßen auf dem Höhepunkt angelangt.

Die aus New York stammende Autorin plaudert an diesem Abend auch ein wenig aus dem Nähkästchen, erzählt von der Entstehung des Buchs. Drei Monate lang habe sie nur Bücher über die Zukunft gelesen. "Ich wollte eine Zukunftsvision entwickeln, die Hand und Fuß hat", sagt sie.

Und das ist ihr gelungen: Die gesellschaftliche Utopie, die Holly-Jane Rahlens in "Everlasting" zeichnet, bleibt trotz all der verblüffenden Momente jederzeit nachvollziehbar. Jener Blick von außen, den sie durch ihre Hauptfigur auf das Hier und Jetzt werfen lässt, dürfte auch etwas in den Köpfen der Leser anstellen - im besten Fall dazu ermuntern, künftig noch ein wenig mehr darauf zu achten, dass das, was die Menschheit heute tut und lässt, Spuren hinterlässt.