Schrobenhausen
Schleusen, Pumpen und ein ehemaliger eigener Bahnhof

Was es mit einigen ziemlich merkwürdigen Bauwerken vor den Toren Hörzhausens auf sich hat

08.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:28 Uhr
Dieses Drehrad (r.) wird wohl zu einer der Schleusenanlagen gehört haben, die dafür sorgten, dass das Wasser aus der Paar in den Hagenauer Forst kam. Die Verteilerstation kurz vor Hörzhausen direkt an der Hauptzufahrt (l.) ist nicht zu übersehen. −Foto: Fotos: Budke

Schrobenhausen (SZ) Ein Sonntagsspaziergang im Goachat und schon ist man mittendrin in den Geschichten aus längst vergangenen Zeiten.

Und wenn man im Drogeriemarkt oder Discounter gleich neben dem Bauergelände einkaufen geht, auch.

Denn sowohl zwischen Hörzhausen und dem Hagenauer Forst als auch an der Ecke Pöttmeser Straße/Bürgermeister-Götz-Straße gab es Bauten, die die Hiag einst für den Chemieproduzenten Paraxol errichten ließ.

Ein Riesenaufwand ist da ab Baubeginn 1938 betrieben worden, um das Paraxol-Werk aufzubauen, die Rohstoffversorgung zu gewährleisten und den reibungslosen Ablauf der Fertigung sicherzustellen. Für die Herstellung des Sprengstoff-Vormaterials Pentaerythrit war eine enorme Menge an Rohstoffen notwendig, wie der ehemalige MBDA-Mitarbeiter und "Paraxol"-Forscher Wolfgang Haas, der sogar ein Buch zu dem Thema geschrieben hat, berichten kann: Für nur 176 Kilogramm Pentaerythrit benötigte man neben kleineren Mengen Schwefelsäure, Kalkhydrat und Aktivkohle vor allem 930 Kilo Acetaldehyd, 3090 Kilo Formaldehyd und 12000 Liter Prozesswasser. Formaldehyd wurde seinerzeit ebenfalls im Hagenauer Forst hergestellt, dafür war als weiterer Rohstoff Methanol nötig.

Haas hat einen Auszug aus einem Transportbuch gefunden, in dem das Heereskommando meldet, was es so an Fahrleistung gegeben hat; da ist unter anderem die Rede von 900 Tonnen Kohle, 460 Tonnen Methanol, 125 Tonnen Acetaldehyd; zuletzt wird zusammengerechnet, dass 2500 Tonnen Stoffe zum oder vom Paraxol-Werk transportiert werden mussten. "Diese Menge ist der Grund, warum das Werk einen eigenen Bahnhof brauchte. Der stand genau an dem Platz, an dem heute der Drogeriemarkt ist", so Haas. Für manche der Rohstoffe gab es genaue Vorgaben für den Zugtransport: Schwefelsäure kann zum Beispiel nur in Steinzeug-Behältern, Acetaldehyd in Aluminium-isolierten Castoren verladen werden.

Auch, was das Prozesswasser angeht, war der Aufwand, der in Kauf genommen wurde, nicht geringer. Bei der Produktion von Formaldehyd wird das Methanol katalytisch verbrannt. Das heißt, es wird durch Druckluft 150 Grad Celsius heißer Methanoldampf erzeugt. Dieser wird in Katalysatoren eingeblasen und es entsteht zunächst ein 600 Grad Celsuis heißes Formaldehydgas. Das Gas muss, um Formaldehyd zu erhalten, schlagartig abgekühlt werden, erklärt Wolfgang Haas und "das zieht einen ziemlichen Rattenschwanz nach sich". Denn dazu habe man 300 Kubikmeter Wasser pro Stunde gebraucht.

Zu diesem Zweck wurde die Paar angezapft, Kanäle wurden gegraben, zwei Schleusen gebaut, zwei Pumpstationen, eine Verteilerstation sowie Metallleitungen von den Pumpstationen kurz vor Hörzhausen in den Hagenauer Forst verlegt. Und quasi rückwärts gab es Abwasserleitungen zur und ein Auslaufbauwerk an der Paar.

Als das Kriegsende nahte, wurden nach und nach Teile der Lkw-Flotte, die das Paraxol-Werk im Hagenauer Forst mit Rohstoffen versorgt hatte, abgezogen. Es gab Treibstoffmangel und somit war die Versorgung des Werkes längst nicht mehr reibungslos möglich. Ende 1944 kam es in der Folge zum Produktionsstillstand. Im April 1945 wurde der Standort von den US-Streitkräften besetzt. Da Metall Mangelware war, wurde die 2,2 Kilometer lange Stahlrohrleitung, die von der Paar zu Paraxol führte, von den Amerikanern rückstandsfrei abgebaut. Mit einer Wandstärke von 20 Millimetern stellten die Rohre einen erheblichen Materialwert dar.

Das Werk selbst wurde im Jahr 1947 demontiert und in Frankreich wieder aufgebaut. Der Bahnhof ist bekanntlich auch nicht mehr existent. Aber die Schleusen sind an der Paar noch zu sehen. Wenn man kurz vor Hörzhausen hinter dem Vereinsheim des Motorclubs abbiegt, vor dem Bahnübergang parkt und dann nach rechts Richtung Hörzhausen läuft, kann man sie noch entdecken - allerdings haben hier in der Vegetationszeit Brennnesseln und Gebüsch die Oberhand.

Eine der beiden Pumpstationen hat laut Haas der Landwirt Bauer zurückgekauft, der sie damals hergeben musste. Die zweite Pumpstation sei in Vereinsbesitz. Beide Stationen seien noch in gutem Zustand. Die Verteilerstation gibt es auch noch. Das weiße Häuschen hat jeder bestimmt schon einmal gesehen, der von Schrobenhausen nach Hörzhausen fährt.
 

Heidrun Budke