Schrobenhausen
Schrobenhausens Neuschwanstein

14.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:18 Uhr

Foto: Mathias Petry

Noch vier Wochen, dann ist Schrobenhausens Rathaus ein Denkmal. Denn der Stadtrat hat entschieden, dagegen keinen Einspruch einzulegen. Zeit für eine erste, bierernste Fremdenführung durch ein Haus, das der Nachwelt nun auf ewig erhalten bleibt, egal, ob die Nachwelt das nun will oder nicht.

Man könnte ja fast auf die Idee kommen, dass ein Denkmal etwas mit "Denken" zu tun hat. Hat es natürlich nicht. Obwohl: Es würde ja schon drinstecken, im Wort. Tatsächlich ist das aber nicht so. Dabei könnte man in manchen Fällen diese Aufforderung - Denk mal! - durchaus auch mal wörtlich nehmen und genau das tun: drüber nachdenken, warum ein Denkmal ein Denkmal ist.

Martin Luther hat das Wort "Denkmal" als einer der ersten verwendet, und das ist insofern schön, weil heuer Luther-Jahr ist, und damit auch Denkmal-Jahr. Aber, wie gesagt: nicht das Denkmal wegen Denken, sondern Denkmal in Sachen Gedächtnisstütze. Denn so hat Luther das Wort damals verwendet. Ein Denkmal ist eine Gedächtnisstütze.

Das Schrobenhausener Rathaus wird jetzt ein Denkmal. Vier Wochen noch, dann ist es passiert. Dann steht der bedeutende Bau in einer Linie mit Neuschwanstein oder Herrenchiemsee. Wer hätte das gedacht.

Wenn das kein Anlass für eine Führung durchs Gebäude ist! Dann begeben wir uns also gleich mal hinein, in das Gebäude, beziehungsweise: Lassen wir es erst einmal von außen auf uns wirken. Aber aufpassen, nicht dass einem schwindelig wird, wenn man den Kopf in den Nacken legt und den Blick gen Himmel richtet. Gerade von der Südseite her kann einen der monströse Baukörper regelrecht erschlagen. "Zudem beherrscht das Rathaus als mächtigster Baukörper den diesen umgebenden Platz", schreibt der Denkmalschutz, der nicht das Denken schützt, in seiner Urteilsbegründung. Und da hat er recht, der Denkmalschutz: Mächtig ist er, der Baukörper.

Tatsächlich ist das Gebäude eigentlich immer im Weg, vor allem, weil es genau da steht, wo den ganzen Tag über Sonne wäre. Aber so ist das mit Regierungssitzen: Wem die Sonne lacht, wussten wir ja immer schon. Wobei - einen Zweck hat das Gebäude durchaus, als Halterung für das Sonnendach des Verkehrsvereins beim Schrannenfest. Das würde ja umfallen, wenn das Rathaus nicht mehr da wäre. Komisch nur, dass das in der Beurteilung des Denkmalschutzes nicht auftaucht.

Aber weiter mit unserer Führung. Ganz oben bietet der Baukörper jede Menge Platz für Storchenexkremente, und man kann ja mal drüber nachdenken, ob das eine Meinungsäußerung der Babybringer ist, was sie da Tag für Tag für alle sichtbar in weiß tun. Wie sagt man in Bayern? "Drauf gsch . . ."

Über die breite Steintreppe geht es steil nach oben, hinein in die Zentrale der Schrobenhausener Macht. Wer möchte, kann die - so schreibt es der Denkmalschutz - "gerundeten Handläufe aus Holz- und Metallelementen" zu Hilfe nehmen, um die schwindelnden Höhen des Erdgeschosses zu erklimmen. Tatsächlich sind sie ziemlich abgeranzt, aber egal. Immerhin: Die Büros sind ziemlich gut hochwassergeschützt - abgesehen vom Kopierraum und dem Stadtarchiv im Keller. Aber wen interessiert schon der ganze alte Kram, ach richtig: den Denkmalschutz.

Auf der Außentreppe passieren wir ein Betonrelief der Altstadt, "gefertigt nach einem Entwurf des Münchner Bildhauers Maurer", wie die Denkmalschützer schreiben, und der scheint so unwichtig zu sein, dass man sich nicht einmal die Mühe machte, dessen Vornamen zu recherchieren. Im Internet gibt es nur einen Münchner Bildhauer namens Maurer; dessen Vorname wäre Karl. Womöglich war er es, aber wenn es dem Denkmalschutz egal ist, warum sollen wir uns dann einen Kopf machen? Oben wartet die Glastür, aber Obacht, nicht zu fest drankommen, die scheppert ganz schön, wenn sie hinter einem zufällt. Nicht erschrecken, bitte.

Jetzt sind wir drin - und stehen in den geheiligten, bald denkmalgeschützten Hallen des mächtigen Betonskelettbaus und schauen direkt auf den Lift, der die Farbgebung der Wendezeit um 1990 symbolisiert. Grün, wie die vom damaligen Kanzler Kohl prognostizierten "blühenden Landschaften". Der Fahrstuhl ist übrigens noch vollständig erhalten. So sagt man das doch immer, bei historischen Führungen: Dieses Nachttöpferl des Fürsten Sowieso ist noch vollständig erhalten.

Stünde das Gebäude nicht demnächst unter Denkmalschutz, dürfte man hier womöglich eine Plakette anbringen: "Mit diesem Lift ist am 12. Juni 1991 Günther Rief in den zweiten Stock gefahren." Oder so. Und ist das nicht eine schöne Vorstellung, dass die Stadt sich künftig eine Genehmigung einholen muss, wenn sie sich entschließen sollte, den Lift dann doch mal umzulackieren? Womöglich spargelcremefarben? Oder bauerblau? "Oh Gott, nein!", wird das Denkmalamt dann schreiben, eine andere Farbe als dieses Dunkelgrün kommt ja aus historischen Gründen überhaupt nicht infrage!

Und bei dieser Gelegenheit werden die Denkmalschützer womöglich auch gleich alle anderen bedeutenden Zeugnisse jener bedeutenden architektonischen Phase der bedeutenden Neobetonik im bedeutenden Schrobenhausen unter bedeutsamen Denkmalschutz stellen, nur nichts verkommen lassen: die ehemalige Raiffeisenbank, der Ellwanger, der Ruminy, die Knabenrealschule, die Mittelschule - lauter stadtprägende Gebäude, lauter Beweise der bedeutsamen Kraft der bedeutsamen Nachkriegsarchitektur. Die Inhaber würden sich allesamt aufs Herzlichste bedanken.

Womöglich werden sie sich zur Wehr setzen, die Inhaber, im Gegensatz zum Stadtrat, der den angedrohten Denkmalstatus ja mehr als dankbar aufgegriffen hat, um fürderhin keine Entscheidung mehr bezüglich des Rathauses treffen zu müssen. Wie praktisch, wenn andere einem das Entscheiden abnehmen, nicht wahr? Alle Macht geht vom Volke aus? Offensichtlich, aber am liebsten dann, wenn die Macht von Experten vorgedacht wurde.

"Nichtstun ist Machtmissbrauch!" - so steht es auf einem Wahlplakat von FDP-Chef Christian Lindner. Vermutlich wählt ihn deshalb keiner. Schon gar nicht im Schrobenhausener Stadtrat. "Nichtstun ist souverän!", das wäre mal eine Parole. Oder: "Wer nichts tut, macht auch nichts falsch!" Wobei das ein großer Irrtum wäre, aber es hört sich halt sehr entspannt an. Nichtstun soll Machtmissbrauch sein? So ein Schmarrn. Man weiß ja, von wem so was kommt. Pah.

Doch machen wir weiter, mit unserem historischen Rundgang durch das in vier Wochen historische, weil dann denkmalgeschützte Rathaus. Links und rechts an den Eingangsbereich schließen sich Büroräume an, sie sind im bürokratischen Charme gehalten: matt, ein wenig düster. Der Denkmalschutz schreibt: "Die Beleuchtung ist noch weitgehend original mit quadratischen flachen Deckenleuchten erhalten." Tatsächlich. Die Leuchtkraft könnte allerdings über die Jahrzehnte ein wenig nachgelassen haben. Aber was für eine herrlich düstere Atmosphäre diese historischen Lampen aus der Ära des Bundespräsidenten Heinemann in die heiligen Hallen hauchen!

Auch die Treppenstufen sind gedeckt gehalten, kahl, fast grau. Sie führen um den schon erwähnten grünen Fahrstuhl herum, der, als er eingebaut wurde, das Gesamtkonzept des Gebäudes komplett über den Haufen warf. Denn der eigentlich große Clou an der Arbeit des anerkanntermaßen großartigen Architekten Peter Buddeberg war es bekanntlich, mit dem gläsernen Mitteltrakt den Blick vom Lenbachplatz auf die Stadtpfarrkirche St. Jakob freizugeben. Der Lifteinbau machte das zunichte.

Was den Denkmalschützern merkwürdig egal ist. Sie schreiben: "Mit dem Einbau des Aufzugs 1990 entstanden hier geringfügige Veränderungen im Treppenhaus." Eigentlich nicht, liebe Denkmalschützer, so gar nicht. Im Gegenteil wurde dieser Eingriff damals, 1990, als Entwertung der architektonischen Leistung Buddebergs wahrgenommen. Interessieren sich die Denkmalschützer am Ende nicht für die Vergangenheit, wenn sie hier eine offensichtliche Bausünde hochleben lassen? Warum wohl?

Aber egal. Wir sind inzwischen im zweiten Stock, vorbei an den nichtssagenden kühlen Bürogängen des ersten Stocks, und gäbe es nicht ein wenig Grün - übrigens farblich perfekt auf den Fahrstuhllack abgestimmt, wäre auch hier alles düster und matschig. Im Norden: der Sitzungssaal. Aber Vorsicht, wegen der Todesgefahr durch den fehlenden Brandschutz immer nur in ganz kleinen Gruppen durchgehen. Er hat sich seinen von jeher wenig einladenden Charakter bewahrt, die Farbgebung auch hier düster, blau, grau und braun - ein Mix, der garantiert keinerlei Fröhlichkeit aufkommen lässt, aber wie denn auch, hier soll schließlich Schrobenhausener Stadtpolitik gemacht werden.

Auf der anderen Seite des zweiten Stocks befindet sich der Lenbachsaal. Der wirkt tatsächlich heller und freundlicher als der gesamte Rest des Gebäudes. Die Denkmalschützer lehren: "Der Lenbachsaal ist als hell gestalteter Saalraum konzipiert . . ." - gut zu wissen, dass der Saal als Saalraum geplant wurde - ". . . die Decke als Spiegel mit Voute (Rapitzgewölbe) ausgeführt . . ." - hätten Sie's gewusst? - . . . der Boden ist mit Würfelparkett belegt." Aber der ist nicht zum Spielen.

Oben, im dritten Stock, der zurzeit verschlossen ist, ist eine Porenbeton-Baustelle. Der Bauhof hatte hier in den 90er- Jahren ein paar neue Büros schaffen sollen, daraus wurde dann aber nichts. Aber was für ein Gewinn: Die Besucher des historischen, denkmalgeschützten Rathauses können hier künftig erleben, wie in den 90er-Jahren Porenbeton-Baustellen aussahen! Aber bitte nichts anfassen, Herrschaften, das muss alles genauso bleiben, wie es seinerzeit hinterlassen worden ist. Ein zeitgeschichtliches Dokument von gewaltiger historischer Bedeutung für die Nachwelt.

Apropos Bedeutung. Der Denkmalschutz schreibt, das Rathaus stelle "einen herausragenden Bezugspunkt im Ensemble Altstadt dar, in dessen Zentrum das Gebäude situiert ist." Wobei das Zentrum schon eher die Zeil ist, das Rathaus steht vielmehr etwas abseits im Weg herum, aber das ist jetzt auch schon egal.

Denn wichtig ist nur eins: Die Schrobenhausener haben ihr Rathaus jetzt auf ewig an der Backe, und sie werden nun keinen großzügigen, luftigen Platz in der Stadtmitte bekommen. Eine Korrektur städtebaulicher Fehler der Vergangenheit zugunsten einer besseren Lebensqualität ist jetzt nicht mehr möglich. Dafür hat Schrobenhausen jetzt ein bedeutendes Nachkriegsdenkmal. Als Gegenpol zu Neuschwanstein, einem Vorkriegsdenkmal. Herzlichen Glückwunsch!

 

PS: Bitte beachten: Im gesamten Text ist das Stadtratszitat "meistgehasstes Gebäude der Stadt" nicht einmal aufgetaucht. Hoppla, jetzt ist es doch noch passiert.