Pobenhausen
Berührende Gesten der Freundschaft

Familie Pichler besucht den Ort, an dem ihr Vorfahre während des Ersten Weltkriegs in Gefangenschaft war

24.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:04 Uhr

Reserveinfanterist Anton Pichler überlebte den Ersten Weltkrieg. Die Gemeinde Pobenhausen hatte 16 Gefallene zu beklagen, zwei weitere Kriegsgefangene kehrten ebenfalls zurück. - Foto: privat

Pobenhausen/Handforth (npi) Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs besuchten vier Nachkommen des Kriegsgefangenen Anton Pichler aus Pobenhausen den Ort seiner vierjährigen Gefangenschaft, Handforth bei Manchester in England.

Ein herzlicher Empfang und ein umfangreiches Programm prägten den dreitägigen Besuch. Die Kleinstadt in der Grafschaft Cheshire ließ mit Gedenkveranstaltungen, schauspielerischen Darbietungen und einer Ausstellung zum Kriegsausbruch die Erinnerung und die Gefühlslage in der damaligen Bevölkerung wieder aufleben.

Die Verbindung zu dem englischen Ort Handforth nahm für die Familie Pichler bereits mit einer ersten Reise vor fünf Jahren ihren Ursprung. Damals begab sich Johann Pichler, ein Sohn des damaligen Kriegsgefangenen, mit seiner Schwester Karolina, seinem Bruder Anton jun. sowie seiner Nichte Rita zum ersten Mal auf die Reise nach Handforth, um dort auf Spurensuche zu gehen. Außer Ort und Länge der Gefangenschaft wusste Johann Pichler damals nicht viel von den Geschehnissen. Glückliche Umstände brachten die bayerischen Besucher damals mit dem Heimatforscherpaar Nancy und Nigel Morton zusammen, die einiges an Informationen über das Lager gesammelt hatten.

Im Frühjahr dieses Jahres nahm Norbert Pichler, ein Enkel des damaligen Lagerinsassen, dann Kontakt zu den Behörden der Kleinstadt Handforth auf, um weitere Nachforschungen anzustellen. Dabei wurde ihm der Kontakt zu Ian Clark, dem Projektleiter für ein dortiges Gedenkwochenende zum Thema Erster Weltkrieg, vermittelt.

Unter dem Motto „Over by Christmas“ wurde unter seiner Leitung zusammen mit dem Verein „Friends of Handforth Station“ (FoHS) die Gedenkveranstaltung organisiert. Der Titel nimmt Bezug auf die damals einhellige Meinung in der Bevölkerung, der Krieg wäre für die britischen Soldaten bis zum wenige Monate entfernten Weihnachten wieder vorüber. Der genannte Verein nimmt sich seit 1996 des Bahnhofs von Handforth an, der auch im Ersten Weltkrieg eine große Bedeutung hatte. Mittlerweile gehört die Haltestelle zu den bestgepflegtesten der Region, sogar der Prince of Wales, Prinz Charles, stattete der Station bereits einen Besuch ab.

Auf die Frage, ob die Familie jemanden kenne, dessen Vorfahre dort inhaftiert war, konnte Norbert Pichler Ian Clark die Geschichte seines Großvaters anbieten. Von der Ausarbeitung begeistert, lud Clark die Pichlers zur geplanten Veranstaltung ein – ebenfalls Rita Manna, zu dieser Zeit nicht wissend, dass auch sie zu demselben Vorfahren gehörte. Der Kontakt zu ihr war im Rahmen früherer Nachforschungen entstanden.

Wie auch bei Norbert Pichler war für Johann Pichler, der mit seinen Recherchen bereits viel Vorarbeit geleistet hatte, keine lange Überlegung nötig, ob er an der Reise teilnehmen sollte. Zur Reisegruppe gesellten sich schließlich noch seine Tochter Andrea und seine Nichte Rita Manna.

Bereits beim Hinflug dann ein großer Zufall: Andrea, Rita und Norbert beobachteten, wie Johann einer jungen Dame lebhaft über die Erlebnisse seines Vaters im Krieg berichtete. Als wäre deren Interesse nicht schon genug, stellte sich heraus, dass sie als leitende Angestellte einer humanitären Gesellschaft für Minen- und Kampfmittelräumung mitunter mit militärischen Archiven zu tun hat und der Familie so einige Tipps mit auf den Weg geben konnte.

In Handforth trafen sich die Gäste dann mit Reiseleiter Ian Clark im Pub „Freemasons Arms“, etwas unterhalb der Bahnstation. Dort, so erzählte Ian, seien nach dem Krieg deutsche Soldaten oftmals zu einem Bier eingekehrt. „Mein Vater ist dann hier sicherlich auch mal gewesen“, war Johann Pichler überzeugt. Norbert Pichler überreichte Clark als kleines Dankeschön ein aus dem Jahr 1916 stammendes britisches Bilderbuch, in dem die größten Internierungslager eindrucksvoll in Bildern erfasst sind, darunter auch das Lager Handforth, sowie den Artikel über die Geschichte von Anton Pichler aus der Schrobenhausener Zeitung, der einige Wochen zuvor erschienen war.

Im Anschluss ging es zu Fuß Richtung Bahnhof. Nachdem Rita und Norbert von Jonathan Ali, einem Reporter des BBC Radio Manchester zum Interview gebeten wurden – was sie übrigens souverän meisterten – nahm die Reisegruppe an der Aufführung des Stückes „Over by Christmas“ teil, das die Phasen des Ersten Weltkriegs mit der Stimmung in der britischen Gesellschaft eindrucksvoll widerspiegelte. Anschließend gaben etwa 120 Schüler zweier Grundschulen alte Lieder, die über den Bahnhof Handforth zu Kriegszeiten handeln, mit Gruppentanz zum Besten. Auch diese Inszenierung erntete großen Applaus beim Publikum.

Darauf folgte für die Freunde des Bahnhofs ein großer Augenblick: Zusammen mit der stellvertretenden Bürgermeisterin Hilda Gaddum, den Schauspielern und Ehrengästen wurde eine Gedenktafel für die Bahnhofsstation enthüllt. Mit der Aufschrift „DB (Logo der Deutschen Bahn) Handforth“ erinnert diese an den Ankunftsort und späteren Abreiseort vieler deutscher Soldaten in die Heimat – eine pfiffige Idee, nicht nur die vier bayerischen Besucher waren davon begeistert.

Nach dem obligatorischen Fototermin für die lokale Presse lud der Bahnhofsverein die Ehrengäste zu einem kleinen Empfang in die Bahnhofsgaststätte „The Railway Robinsons“ ein, wo Vorsitzender Mike Bishop die Gäste begrüßte. Bürgermeisterin Gaddum zeigte sich erfreut über das Engagement in Handforth und verwies auf die tiefe Freundschaft, die nun zwischen einstigen Gegnern vorherrsche. Auch Norbert Pichler konnte im Namen der Nachkommen Anton Pichlers einige Worte des Dankes und der Erinnerung an die Anwesenden richten. Im Anschluss durften die Pichlers neben der Bahnlinie eine Silberbirke pflanzen. Sie soll ein Symbol der Freundschaft und Verbundenheit sein.

Auch der zweite Tag sollte nicht minder erlebnisreich werden. Von der Bahnhofsstation aus ging es zu Fuß weiter zur „Honford Hall“, einer Art Bürgerhaus. Unter einer englischen und einer deutschen Flagge waren in der dortigen Ausstellung Geschichten und Bilder zu bestaunen. Im deutschen Teil der Ausstellung konnten die Pichler-Nachkommen hier auch die Geschichte ihres Familienangehörigen finden.

Die Feierlichkeiten starteten schließlich mit einem ökumenischen Wortgottesdienst. Mit Gedichten und Erzählungen aus der Kriegszeit gedachte man der Opfer. Norbert Pichler nahm in seiner Rede Bezug auf das Schicksal seines Großvaters: „Rückblickend kann man sagen, dass es ein Glück für unseren Großvater war, nach Handforth zu kommen“, so Pichler. Dabei hob er auch die überlieferte Aussage seines Großvaters hervor, dass es ihm hier stets sehr gut gegangen sei. Auch das ausgesprochen gute deutsch-britische Verhältnis erwähnte Pichler: „Wir können dankbar sein, dass zwischen unseren Nationen und im gesamten Europa nun sehr gute Beziehungen herrschen.“ Angesichts weiter wachsender Konflikte in der gegenwärtigen Welt, sei es mehr als angemessen, die Erinnerung an frühere Kriege aufrechtzuerhalten, um nie mehr auf diese Weise gespalten zu sein. Die diesbezüglichen Anstrengungen in Handforth würden von seiner Familie ausdrücklich geschätzt: „Handforth und deren Einwohner tun dies in einer hervorragenden Weise“, betonte Pichler.

Und es wurde noch einmal spannend: Um zu erfahren, wie es heute da aussieht, wo einstmals tausende deutsche Gefangene interniert waren, machte man sich unter der Leitung von Clark zu Fuß auf den Weg, den Ort zu ergründen.

Es waren herzliche Begegnungen, gepaart mit großer Offenheit und Gastfreundschaft; das Klischee, dies wäre eher untypisch für Briten, wurde hier in keinster Weise bedient, resümierten die Gäste, „der Tag war einfach nur toll, an bewegenden und rührenden Momenten kaum zu übertreffen.“

Für den dritten und letzten Tag organisierte Reiseleiter Clark eine Zugfahrt nach Manchester, um dort die BBC-Roadshow „World War One At Home Live Events“ zu besuchen. Die interaktive Ausstellung thematisierte den dramatischen Einschnitt, den der Erste Weltkrieg in der britischen Gesellschaft und bei deren Familien hervorrief.