Pfaffenhofen
Mit dem Angeklagten zum Traualtar

Kuriose Kehrtwende vor dem Pfaffenhofener Amtsgericht: "Ich habe gelogen", sagt das mutmaßliche Opfer

09.12.2018 | Stand 25.10.2023, 10:23 Uhr

Pfaffenhofen (SZ) "Er hat mir eine Pistole an den Kopf gesetzt, mich mit einem Gewehr bedroht und mit einem Eisenstecken geschlagen.

" Das hatte die 19-Jährige Marie F. (alle Namen geändert) im Januar der Polizei zu Protokoll gegeben. In der Gerichtsverhandlung ruderte sie jetzt gewaltig zurück: Alles erlogen. Mehr noch: "Wir haben uns verlobt, in zwei Wochen wird unser Kind geboren. "

Eine Versöhnung mit Nachhaltigkeitseffekt, die sowohl den Amtsrichter Michael Herbert als auch die Staatsanwältin Julia Eser kurzzeitig sprachlos macht. Denn jetzt sind alle bisherigen belastenden Aussagen null und nichtig. Marie F. muss als Zeugin überhaupt nichts mehr sagen; und damit sie sich von ihren Gefühlen nicht mitreißen lässt, hat sie sich vorsichtshalber einen Anwalt genommen, der neben ihr sitzt und ihren Mitteilungsdrang bremst: "Kein weiteres Wort mehr. "

Dabei gäbe es viel zu sagen über die Ereignisse im vergangenen Januar, die Tobias D. vor Gericht gebracht haben. Der Stress mit seiner Freundin war ja nur ein Stein in seinem Unglücks-Puzzle in jenen Tagen. Die Oma war gestorben, und das muss den 28-Jährigen ziemlich aus der Bahn geworfen haben. Immerhin war sie in der Familie seine einzige verlässliche Bezugsperson.

Am 4. Januar jedenfalls war Tobias völlig von der Rolle: Nachbarn hatten die Polizei gerufen, weil er mit nacktem Oberkörper im Vorgarten lag und nur wirres Zeug gebrabbelt habe. Die Beamten alarmierten die Rettungssanitäter. Einer der Helfer war die 25-jährige Sanitäterin Lena P. Als D. die Hose runterließ und sie den Eindruck hatte, "er will Wasser lassen", überließ sie den Schauplatz ihren männlichen Kollegen und ging voraus in den Sanka, in den dann zwei weitere Helfer D. hineinbugsierten. "Na, du geile Matz", habe er zu ihr gesagt und ihr in den Schritt gefasst. Sie zeigte ihn wegen sexueller Belästigung an.

Deshalb stand der 28-Jährige im Juli schon einmal vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, Rauschmittel genommen zu haben, um dann im vorsätzlich herbeigeführten Zustand der Schuldunfähigkeit eine Straftat zu begehen - in dem Fall also die sexuelle Belästigung. Diese Schuldunfähigkeit war allerdings für den Richter nicht erwiesen. Ihm fehlte der Nachweis, ob und welche Drogen der Angeklagte genommen habe.

Das konnte auch jetzt in der Verhandlung der Gutachter nicht zweifelsfrei klären. Es gäbe neuere Drogen, die zwar einen Rausch erzeugen, in dem der Konsument durchaus lichte Momente habe. Was er genommen habe, das konnte oder wollte der Angeklagte nicht sagen. Und in der Klinik war auch keine toxikologische Analyse vorgenommen worden.

Tobias D. war gerade aus der Klinik entlassen, als er Ärger mit seiner Freundin losbrach. "Stimmt das ", fragt ihn der Richter, "dass Sie Ihre Freundin mit einer Pistole und einem Gewehr bedroht haben? " Stimmt nicht, sagt Tobias, "die denkt sich manchmal so Sachen aus". Und die Schläge? Auch nicht, "wir haben uns angeschrien, ich hab sie geschubst, mehr war nicht". Ob man noch Kontakt miteinander habe? "Ja, irgendwie schon noch. "

Dieselbe Frage stellt Michael Herbert auch Marie F. , sie hatte damals eine Stunde später bei der Polizei die Anzeige zurückgezogen, um sie ein paar Tage später erneut zu erheben. Jetzt sitzt sie schniefend vor dem Richter. "Er will mit mir zusammenbleiben", erklärt sie. "Wenn das Kind in zwei Wochen da ist, wollen wir heiraten. " Der Richter zuckt zusammen. "Warum haben Sie das vorhin nicht gesagt", fragt er den Angeklagten. Der zuckt mit den Schultern. Herbert hakt nach: "Ihre Freundin fasst das als Verlobung auf. Sie auch? " "Hmm, ja, irgendwie schon. " Weil sich dadurch die juristischen Konsequenzen deutlich verschieben, diskutiert Herbert mit Staatsanwältin Julia Eser, ob Marie F. nicht unter Eid aussagen sollte, verlobt zu sein. Aber man glaubt ihr.

Damit ist der Anklagepunkt der Körperverletzung vom Tisch. Nicht aber der des unerlaubten Waffenbesitzes. Wobei sich herausstellte, dass sowohl die Pistole als auch das Gewehr Kinderspielzeug war. Beim Butterfly-Messer ist der Mechanismus kaputt, aber als Messer taugt es. Und zu allem Übel hatte die Polizei unterm Bett des Angeklagten eine Dose mit 17 Gramm Marihuana entdeckt.

Ungünstig für Tobias D. , dass er zehnmal vorbestraft ist wegen Körperverletzung und Drogenbesitz. Dennoch gibt ihm der Richter eine Chance: Er verurteilt ihn wegen vorsätzlich herbeigeführten Vollrauschs, unerlaubten Waffen- und Betäubungsmittel-Besitzes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung zu drei Jahren und einer Geldstrafe von 400 Euro. Zusätzlich bekommt er einen Bewährungshelfer zur Seite und muss zur Drogenberatung. Der Richter: "Sie hatten eine schlimme Kindheit. Jetzt haben Sie die Chance, Ihrem Kind eine bessere zu geben. "

Albert Herchenbach