Von der Tracht bis zum Motorraddress

11.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:31 Uhr
  −Foto: Budke

Seit 1961 gibt es ihn in Schrobenhausen, den Maßschneiderbetrieb Starringer, der inzwischen in zweiter Generation vom Sohn des Unternehmensgründers geführt wird. Im kleinen Team entstehen hier unter anderem Kleidungsstücke im Bereich Trachten und Motorradbekleidung. Neben individuellen Lösungen und nachhaltigen Rohstoffen ist die Regionalität ein wichtiger Aspekt für Knut Starringer - da lag es nahe, eine Produktlinie nach dem Herzensort seiner Kindheit zu benennen.

Wer die Firma Starringer Bekleidung besuchen möchte, fragt sich zunächst vielleicht, ob er an der Adresse am Zacherkeller überhaupt richtig ist, denn an der Haustür schaut es eher nach Wohnhaus als nach Produktionsstätte aus. Durch einen Flur geht es vorbei an Ständern mit fertigen Kleidungsstücken, die auf Abholung oder auf Reparatur warten. Derzeit wird umgeräumt, denn im ersten Stock des Gebäudes entstehen neue Räume für das zweite Unternehmen unter Starringer-Federführung, die Wearable Solutions GmbH.

Die Fertigungsräume im Erdgeschoss sind nicht sonderlich groß, mehrere Nähmaschinen sind in Betrieb. Der Ausstellungsraum schafft in hellen Farben ein passendes Ambiente für die Trachten- und Couture-Kleidung, die den Grundstein für die Firma gelegt hat. Aber auch die Motorradbekleidung aus der Goachad-Reihe hängt hier. Wenn Knut Starringer darüber erzählt, wird schnell klar, was das Besondere an seinem Unternehmen ist: Die Verbindungen zwischen traditionell und modern, geerdet und ausgefallen, einfach und komplex spiegeln sich in der Goachad-Kleidung wieder.

Jetzt liegt das Goachat zwar bei Starringer fast um die Ecke, aber macht es schon deshalb Sinn, eine Produktlinie danach zu benennen? "Da habe ich meine Kindheit verbracht", sagt der Geschäftsführer . "Nach den Hausaufgaben, die ich bei meinem Vater in der Werkstatt gemacht habe, hat man sich als Junge auf das Radl gehockt und im Goachat Lederstrumpf gespielt." Die Verbindung zur Heimat sei ihm bei dem Namen wichtig gewesen, denn dies sei seine Basis, ein Gefühl und seine Existenz. Allerdings musste die Schreibweise abgewandelt werden, denn "die Namensrechte liegen irgendwo in Dubai", habe das Team recherchiert, "das hat sich irgendjemand irgendwann mal eintragen lassen." Und das "d" am Ende sei eigentlich perfekt, denn "wir sind ja weiche Menschen und sprechen das t sowieso nicht", spielt Starringer verschmitzt mit dem Dialekt. Für ihn drückt der Name vor allem das Geerdetsein aus, das in seinem Unternehmen eine große Bedeutung hat, nicht nur örtlich, sondern auch handwerklich: "Die klassische Schneiderei, das ist unsere DNA", sagt der Geschäftsführer und erzählt: "Zur Zeit meines Vaters hat es sicher 15 Maßschneidereien in Schrobenhausen gegeben und jetzt müssen Sie weit gehen, um außer uns eine weitere zu finden."

Früher sei der Kunde zum Schneider gegangen, um sich sein Sonntagsgewand nähen zu lassen, da hätten keine fertigen Anzüge gehangen, sondern der Schneider habe nur ein Bündel Stoffmuster gehabt und der Kunde durfte sich Material und Farbe aussuchen: "Die Basis war die Fantasie, das Vertrauen, das Zusammenspiel und die Empathie", sagt Starringer. Weil er überzeugt ist, dass das eine Stärke, ein Alleinstellungsmerkmal ist, macht es sein Betrieb heute noch immer ähnlich: Die Kunden kommen, dürfen Wünsche äußern, Nahtfarben ändern und den Schnitt anpassen lassen: "Wir arbeiten ganz kleinteilig mit Wunschfertigung und Individualisierung - jeder bekommt genau das, was er möchte und jedes Teil wird mit Anprobe gemacht, so, wie ich es klassisch gelernt habe." 1989 entstand die erste Trachtenkollektion der Landhausserie, ein modernes Produkt aus diesem Bereich ist zum Beispiel eine Lederhose im Five-Pocket-Style. Sie wird aus altsämisch gegerbtem Hirschleder (siehe Kasten) genäht - ein anderes Leder verwendet Starringer nicht, denn er ist von der hohen Qualität und der Nachhaltigkeit überzeugt: "So ein Stück Leder, das gebe ich Ihnen auf die blanke Haut, da kann ich etwas Gutes tun, denn ich weiß, wo nichts Schädliches drin ist, kann auch nichts rauskommen."

Die Motorradkleidung unter dem Namen Goachad kam 2014 zum Programm hinzu. Knut Starringer ist selbst kein Motorradfahrer, aber er kennt sein Handwerk, sprüht vor Ideenreichtum und einem gewissen Erfindergeist. Eine Goachad-Jacke etwa ist aus Kevlar-Denim in Kombination mit hydrophobiertem Leder, sturzsicher mit Protektoren, die herausnehmbar sind. "Das ist Voll-Funktion und bei allen Goachad-Teilen so", ist der gelernte Schneider schon ein bisschen stolz auf die Jacke, die es auch in Loden-Optik gibt - für Motorradkleidung auf den ersten Blick etwas überraschend. Tatsächlich ist das, was leger aussieht, voll durchdacht: "Oben einen handgemachten Walk, darunter 100 Prozent Kevlar, darunter wasserdichtes Leinen und dann das Futter", erklärt Knut Starringer den Aufbau. Zu einem guten Teil hat das kleine Unternehmen die Stoffe selbst entwickelt, wie etwa für die Motorrad-Jeans mit Längs-Stretch und 40 Prozent Kevlar. Nimmt man die Hüft- und Knieprotektoren heraus, bleibt eine fast ganz normale Jeans.

Aber es geht nicht nur um Funktionalität und Haptik, sondern auch um Optik: Zwischen den schlichten Herrenjacken leuchtet Bling-Bling aus den Regalen hervor: Motorradjacken mit Strass-Steinchen? "Das sind echte Swarowski-Steine im Diamant-Schliff, die Kundinnen haben schon einen gewissen Anspruch" , weiß der Schneider. Üblich ist auch - bei Männern und Frauen -, die Nähte passend zur Farbe des Motorrades zu steppen. "Wenn sie zu mir kommen und wollen so eine schöne Hirschlederhose in pink gestickt, dann mache ich das nicht, denn das hat der Hirsch nicht verdient", schränkt Starringer lachend ein, meint das aber gleichzeitig ganz ernst. Das ist es wohl, was das Unternehmen - neben den Ansprüchen an Nachhaltigkeit, Bodenständigkeit und Individualisierung - charakterisiert: Egal, ob in Tracht oder in Motorradkleidung, der Kunde soll sich wohl, unbeschwert fühlen und gleichzeitig einen besonderen Nutzen haben. Starringer nennt die Aufgabe den "Spagat zwischen Funktion und Gefühl", der offensichtlich ganz gut gelingt - wie etwa bei den Motorradhandschuhen: "Die hatten wir auf der IMOT-Messe drei Tage im Wasser liegen und die waren am dritten Tag immer noch wasserdicht und haben sich innen angenehm angefühlt."

 

NACH GANZ ALTER ART GEGERBT

Für das Naturhistorische Museum Nürnberg hat die Firma Starringer einen Lederanzug hergestellt, wie ihn früher ein Neandertaler getragen haben könnte. Im Vorfeld habe man sich überlegt, wie das Leder gegerbt worden sein könnte, und  das Verfahren nachgestellt, sagt Knut Starringer.  Man wisse, dass ein Tier komplett verwendet worden sei. Das Leder wurde mittels Hirngerbung hergestellt, das heißt,  die Hirnmasse wurde in einem Mörser zerstampft, in das Fell eingerieben und im Fluss ausgewaschen. Dieser Vorgang musste mehrfach wiederholt werden und am Ende wurde das Leder über dem Feuer geräuchert. Das hat Starringer nachgestellt und aus dem Leder einen Anzug genäht, sogar unter der Verwendung von Rehsehnen.  Anstatt der Hirngerbung verwendet Starringer altsämisch gegerbtes Leder. Dies ist das zweitälteste Gerbverfahren. Die Hirnmasse ist durch Fischtran ersetzt worden, der immer wieder eingewalkt und ausgewaschen wird, bis das Kollagen im Leder aufgenommen wird. Da arbeite jemand an der Rohware über ein Jahr, erklärt Knut Starringer, bis das Leder fertig ist und weiterverarbeitet werden kann.

Heidrun Budke