Endlose
Mit einem Fingerwisch durch Bilderwelten

01.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:21 Uhr

Claudia Freitag-Mair sieht in der Digitalisierung viele Vorteile für Museen.

Endlose Gänge, in denen an den Wänden ein Bild neben dem anderen hängt und ab und an ein paar Objekte in Glasvitrinen ausgestellt ist - so sehen Museen schon lange nicht mehr aus. Weil man damit auch niemanden mehr hinter dem Ofen vorlocken würde. Die Digitalisierung hat auch hier längst Einzug gehalten. Im Europäischen Spargelmuseum wird seit Jahrzehnten schon mit multimedialen Elementen gearbeitet, inzwischen gibt es so was auch im Schrobenhausener Lenbachmuseum. Willkommen an der Medienstation zu Ehren des legendären Malerfürsten.

Wobei - auf den ersten Blick sieht sie schon ein wenig nüchtern aus, die Anlage, die mit der Wiedereröffnung des Museums nach einem kräftigen Umbau am 24. April dieses Jahres in Betrieb ging. Aber wie soll ein Bildschirmarbeitsplatz schon aussehen? Ein schlichter, grauer Tisch, in dem der Bildschirm eingearbeitet wurde, davor steht eine Sitzbank.

Der Clou ist ja auch nicht die Medienstation an sich, sondern das, was drin ist. So ist das ja auch meistens, wenn das Wörtchen "digital" irgendwo draufsteht. Außer, jemand wie Steve Jobs verleiht dem Apparat den Stempel "Kult". Das ist im Schrobenhausener Lenbachmuseum aber nicht nötig, denn für Kult sorgt schon der Mann, um den es hier geht: Franz von Lenbach (1836-1904), Maler der Fürsten und Fürst der Maler. Für dieses Teufelsgerät wurde nämlich der gesamte Bestand des Lenbachmuseums digitalisiert - und ist nun auch hier zu finden. Unter anderem wurden zehn noch vorhandene Skizzenbücher Lenbachs eingescannt, sie sind von enormem ideellen und wahrscheinlich auch pekuniärem Wert, wenn man sieht, wie heute echte Lenbachs gehandelt werden.

Im analogen Zeitalter vor der Digitalisierung konnte man die Bücher auch schon sehen, aber immer nur eine Seite, nämlich die, die in einer verschlossenen Vitrine gerade aufgeblättert war. Neue Welten erschließen sich also demjenigen, der sich dem Werk Lenbachs vertieft annähern möchte.

Diese Bücher waren übrigens ein Geschenk von Majella Brücher (1030-2007), einer Enkelin Lenbachs. Heute lebt nur noch einer der Enkel Lenbachs, und das ist jemand, den man bundesweit kennt: Reinhold Neven DuMont, Verlegerlegende und selbst Romanautor; er hat früher Schriftsteller wie Heinrich Böll, Gabriel Garcia-Marquez oder auch Salman Rushdie auf ihren Wegen begleitet. Neven DuMont ist immer wieder mal zu Gast in Schrobenhausen; er vertritt die Lenbach-Erben im Kuratorium, das den Fortbestand des Lenbachmuseums sichert.

Die Digitalisierung bietet übrigens noch mehr. Außerdem gibt es Informationen zu Lenbachs Lebensgeschichte, die sich Besucher durchlesen können. Ein Skizzenbuch von Lenbachs ältestem Bruder Karl August wurde ebenfalls eingescannt. "Er war eigentlich derjenige, der als erster in der Familie die künstlerische Laufbahn eingeschlagen hat. Er ist allerdings bereits mit 19 Jahren verstorben", erklärt Claudia Freitag-Mair, Kulturamtsleiterin in Schrobenhausen und verantwortlich für die städtischen Museen.

Wer sich allein den Skizzenbüchern in der Medienstation widmet, bekommt so schon eine bemerkenswerte Ausstellung geboten. Das Wirken von Lenbach, sein Umfeld, seine Welt - all das ist dank der Digitalisierung ein Stück greifbarer geworden. "Man kann sich stundenlang mit der Station beschäftigen", weiß Claudia Freitag-Mair. Sie weiß, welche Sisyphos-Arbeit drinsteckt.

"Das Programm ist nach dem Motto Learning-By-Doing konzipiert", erklärt sie. "Nach wenigen Handgriffen weiß man genau, wie es funktioniert." Die Skizzenbücher werden in hoher Auflösung angeboten. Das ruckelfreie Wischen auf dem Touchscreen ist aktueller technischer Standard.

Digitalisierung gibt es nicht zum Nulltarif. Von der Planung bis zur Einweihung hat die Medienstation rund 80 000 Euro gekostet. Einen großen Anteil daran macht das Scannen und die Aufbereitung der digitalen Daten aus. Dabei wurde die Stadt von der Landesstelle der nichtstaatlichen Museen unterstützt.

Bei so einer teuren Investition kommt natürlich die Frage auf, ob die Museumsbesucher heutzutage auf solche Dinge wie eine Medienstation geradezu bestehen und wie wichtig so etwas für die Zukunft des Lenbachhauses ist. "Früher haben die Leute noch in Bestandskatalogen geblättert, aber heutzutage braucht ein Museum eigentlich schon ein digitales Medium", sagt Freitag-Mair. "Im Grunde ist es auch schon Standard in den meisten Museen geworden."

Viele Museen hätten längst Medienstationen, die größtenteils dafür genutzt werden, um die Dauerausstellungen zu ergänzen. Dabei geht es nicht nur darum, Besuchern eine pfiffige Spielerei an die Hand zu geben, es gibt auch noch ganz andere Gründe für eine solche Investition: die Verwaltung und die Wahrung des künstlerischen Erbes.

"Ein wichtiger Punkt in Museen ist die Sicherheit und die Schonung der Objekte", erklärt Freitag-Mair. Das hatten sie und das Kuratorium sehr wohl im Hinterkopf, als es an die Planung ging. Gerade etliche der inzwischen historischen Grafiken sind lichtempfindlich und sollten deshalb aus konservatorischen Gründen nicht dauerhaft ausgestellt werden, damit nachfolgende Generationen auch noch etwas vom Erbe Lenbachs haben, ab und zu wenigstens. Das Risiko, dass manche der Kunstwerke mit der Zeit ausbleichen, wäre einfach zu groß. "Jetzt können wir die Skizzenbücher in allen Einzelheiten zeigen, ohne die Originale zu belasten." Und wenn sie doch einmal jemand sehen will - sie sind ja da, und zwar geschützt.

Digitalisierung im musealen Bereich bedeutet aber auch Mischen. Natürlich wollen die Besucher die Nähe zum Werk des Meisters, sie wollen sich ihm nähern wie der Künstler seinerzeit selbst. Und nicht alle Objekte sind massiv lichtempfindlich. "Für uns war es wichtig, die Dauerausstellung so zu gestalten, dass die einzelnen Bilder gut wirken können", sagt Claudia Freitag-Mair. "Das bedeutete, dass einige Bilder, die zu viel geworden wären, einfach ins Depot hätten müssen. Um aber die Nachfrage, wo denn das eine oder andere Bild geblieben ist, nicht mit der Aussage beantworten zu müssen, dass wir sie weggesperrt haben, könne das Museumspersonal jetzt einfach auf die Medienstation verweisen."

Es gibt so viele Aspekte, die eine Rolle spielen. "Die Station ist zum Beispiel für Menschen mit einer Sehschädigung praktisch, weil die Buchstaben auch größer gemacht werden können", sagt Claudia Freitag-Mair. Außerdem können die Mitarbeiter bei vielen Fragen auf den digitalen Ratgeber verweisen - es gibt fast keine Frage rund um Lenbach, auf die es hier nicht eine Antwort gäbe.

"Ich glaube, dass man vor allem Schulklassen mit so etwas Modernem eher für Kunst begeistern kann", ist Claudia Freitag-Mair überzeugt. Außerdem können Informationen schnell korrigiert oder ergänzt werden. "Das geht in Druckwerken natürlich nicht so einfach."

Übrigens wurde die Umstrukturierung auch genutzt, um im Schrobenhausener Lenbachmuseum Platz für Sonderausstellungen zu machen. Mit Arbeiten von "Weggefährten Lenbachs" wurden zum Beispiel zwei Räume gestaltet. Parallel zur großen Ausstellung "Lenbach und die Schönen seiner Zeit" im Museum im Pflegschloss ab 16. Oktober wird es hier eine neue Sonderschau geben: "Kinderporträts von Lolo von Lenbach".

Die Inhalte der Sonderausstellungen werden allerdings nicht in die Medienstation eingepflegt, das wäre zu aufwendig. "Das können wir uns nicht leisten - personell nicht und auch nicht finanziell", sagt Freitag-Mair.

Nichtsdestotrotz - die Vorteile dieser Modernisierung überwiegen. Da die Medienstation einen großen Spielraum für Erweiterungen gibt, bleibt die Frage, was denn als Nächstes geplant ist? "Demnächst werden noch die Skizzenbücher von Johann Baptist Hofner eingescannt", sagt Claudia Freitag-Mair. Auch Hofner, einem bekannter Tiermaler und Freund von Lenbach, sind Räume im Schrobenhausener Museum gewidmet. "Allerdings haben wir keine Kopfhörer oder ähnliche Audiogeräte für die Medienstation geplant. Bei so was gibt es einfach zu oft Ausfälle. Wir wollen uns vorerst auf das beschränken, das wir jetzt haben, und sind sehr zufrieden damit."