Schrobenhausen
Ein Stück weit Hand in Hand

Historiker Thomas Schlemmer erzählt über die unmittelbare Nachkriegszeit im südlichen Bayern

30.11.2021 | Stand 23.09.2023, 22:03 Uhr
  −Foto: Floerecke

Schrobenhausen - Seit Kriegsende sind mittlerweile 76 Jahre vergangen. Zeiten der amerikanischen Besatzung in Bayern, des Umgangs mit deutschen Kriegsverbrechern oder der Schritte zur Demokratisierung - das alles ist lange her. Fast ein ganzes Menschenleben. Aber es ist weiterhin präsent. Über diese Zeit hat nun der Historiker Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) bei der Katholischen Erwachsenenbildung auf Einladung des Vorsitzenden Stephan Witetschek einen Online-Vortrag gehalten.

Die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs und die Monate danach waren für die bayerische Landbevölkerung, wie etwa im Schrobenhausener Land, den Umständen entsprechend weniger bedrohlich als in den größeren Städten wie Regensburg, Nürnberg oder Würzburg. Ganz abgesehen von den dicht besiedelten Großstädten im Westen Deutschlands, sagt Schlemmer. Vor allem die eher durch Landwirtschaft geprägten Regionen Bayerns kamen glimpflich davon: wenige Bombenangriffe, seltene Bodenkämpfe, kaum Hunger.

Schrobenhausen, wie übrigens München, fiel weitgehend kampflos an die US-amerikanischen Besatzer. Im Paar-Städtchen gab es, wie der örtliche Heimatforscher Bernhard Rödig vor vielen Jahren aufarbeitete, vereinzelten Widerstand, Beschädigungen durch Granateneinschläge und Panzerschüsse auf Gebäude, auch einzelne Schusswechsel und einen kurzen Kampf in Mühlried mit 13 toten, aus ganz Deutschland stammenden Soldaten.

Die schwierige Integration der Heimatvertriebenen

Bayern war nach dem Krieg ein Aufnahmeschwerpunkt für Heimatvertriebene aus der Tschechoslowakei und aus Schlesien. Viele davon kamen in den ländlichen Regionen unter, nachdem viele Städte stark zerstört worden waren und man auf dem Land leichter Wohnraum bereitstellen konnte. Die Möglichkeit einer Rückkehr wurde seitens der Amerikaner ausdrücklich ausgeschlossen, erfährt man bei Schlemmers Vortrag. Zur Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen in die bayerische Nachkriegsgesellschaft gab es also keine Alternative. Von Willkommenskultur konnte allerdings keine Rede sein. In einer Zeit des allgegenwärtigen Mangels herrschten dagegen vielfach Neid und Missgunst, die durch konfessionelle und kulturelle Unterschiede noch verstärkt wurden. Dass die Integration, so Thomas Schlemmer, doch bis Ende der 1950er-Jahre gelang, war vor allem dem sogenannten Wirtschaftswunder zu verdanken, das individuelle Aufstiegsmöglichkeiten und sozialpolitische Verteilungsspielräume schuf.

Die ländlichen Regionen Bayerns waren, was Industrie, Infrastruktur (Energieversorgung, Verkehr) und Schulwesen anging, verhältnismäßig schwach entwickelt. Die Erschließung des Landes kam nur langsam voran. Nicht selten entwickelten sich ehemalige Rüstungsbetriebe zu "Kristallisationskernen des Strukturwandels", so auch das HIAG-Werk im Hagenauer Forst, die teils erhalten und auf zivilen Betrieb umgestellt wurden. Zudem, weiß Schlemmer, profitierte Bayern in gewissem Sinne von der deutschen Teilung: Große Industriebetriebe verlagerten ihren Sitz und ihre Produktion aus der Sowjetischen Besatzungszone nach Bayern. Dazu gehörte die Auto Union, die leerstehende Militärgebäude in Ingolstadt zu nutzen begann und dort dauerhaft ihre neue Heimat fand.

Meilenstein der Demokratisierung

Am 8. Dezember 1946, also in diesen Tagen vor genau 75 Jahren, trat nach einem Volksentscheid die Bayerische Verfassung in Kraft - für Thomas Schlemmer "einer der Meilensteine auf dem Weg zum zweiten Freistaat". CSU und SPD arbeiteten sie gemeinsam aus. Kennzeichnend für die neue Verfassung waren politische Stabilität, soziale Teilhaberechte und Elemente direkter Demokratie, die in Bayern bis heute erheblich ausgeprägter sind als etwa auf Bundesebene, sagt Schlemmer. Die Amerikaner hielten sich übrigens bewusst zurück, sie wollten "in einer Atmosphäre der Freiheit" nicht zu viele Vorgaben machen.

Bayern kam relativ gut durch die Nachkriegszeit

Thomas Schlemmers Fazit an diesem Abend: Verglichen mit anderen Teilen Deutschlands kam Bayern einigermaßen gut durch die Nachkriegszeit. Wenn man vom Verlust der Pfalz absieht, blieb das staatliche Gehäuse erhalten. Damit konnte der neue Freistaat auf einer langen, gewachsenen Tradition aufbauen und zu einem wichtigen Faktor bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 werden. Ländliche Regionen wie Schrobenhausen hatten "Glück im Unglück", sagt der Historiker. Auch, weil sich Deutsche und Amerikaner relativ schnell gegenseitig angenähert hatten.

SZ

Thomas Floerecke