Aresing
Ein Landarzt weniger

Wolfgang Rostek schließt seine Praxis in Aresing - Ein Nachfolger ist weit und breit nicht in Sicht

14.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:24 Uhr
War 35 Jahre als Landarzt in Aresing tätig: Wolfgang Rostek. −Foto: privat

Aresing (SZ) Ende Juni ist Schluss: Wolfgang Rostek schließt seine Hausarztpraxis in Aresing.

Die Bewertungen im Ärzteportal Jameda lassen erahnen, welch ein Verlust da auf Aresing und Umgebung zukommt, denn die überschlagen sich schier vor Lob: Von einem "sehr erfahrenen, guten Diagnostiker", einfühlsam, aber auch "immer für ein kurzes Ratscherl" zu haben, ist die Rede. Auch sein Team: "überaus freundlich, hilfsbereit, geduldig", mit einem "Ohr für deine Sorgen". Angesichts der tollen Kritiken ist es auch absolut schlüssig, wenn Wolfgang Rostek sagt: "Ich habe den schönsten Beruf. "

Dennoch wirkt der 66-Jährige abgespannt, gibt das auch unumwunden zu: "Ich war noch nie so kaputt. " Grund seien keineswegs seine Patienten, die ihm in den vergangenen 41 Jahren als Arzt - 35 Jahre davon in Aresing - ans Herz gewachsen sind, die er auf seinen Touren besucht hat, von denen er die Hausnamen auswendig weiß, deren Geschichten, Verbindungen, Verwandtschaften er kennt; bei denen er auch wisse, welchen Hintereingang er beim Hausbesuch benutzen könne oder wo es auf Hofhunde zu achten gilt.

Grund für Rosteks Unmut ist vielmehr "der Systemwahnsinn, der einen verrückt macht". Rostek spricht von "Perversionen" wie den Budgets, die dafür sorgten, dass ein Arzt schon mal von drei Monaten einen unbezahlt arbeite oder nach zwei Patientenkontakten pro Quartal Schluss sei mit der Honorierung. Komme der Patient noch weitere x-mal - Honorar gibt es dafür nicht mehr. "Sollte derjenige zumindest fünf Euro pro Konsultation abliefern müssen, würde sich die Beratungsfrequenz sicherlich dramatisch reduzieren", ist Rostek überzeugt. "Kostet nix, geh ich halt wegen fast jedem Wehwehchen zum Arzt. " Man zahle ja viel an Beiträgen, also wolle man dafür auch was bekommen. Eine "Vollkaskomentalität - von Politikerseite gepflegt", findet Rostek. Dass dadurch Ärzte überlastet werden sei "evident".

Immer wieder fasst sich Rostek an den Kopf ob all der Widrigkeiten, mit denen er sich herumzuschlagen hatte. Beispiel IT-Anbindung von Praxen: "Eine Sicherheitslücke höchsten Ausmaßes", ist er überzeugt, dabei seien Gesundheitsdaten doch das Sensibelste überhaupt. Dann der bundeseinheitliche Medikamentenplan, der ihn in seiner Arbeit nur behindern würde. Oder das neue Terminservicegesetz für Kassenpatienten: "An der Realität vorbei. " Generell einer der Punkte, über die sich Rostek mit am meisten ärgert: die Bürokratie, die zwei Drittel der Arbeitszeit verschlinge. Sogar einen aberwitzigen "Antrag für einen Antrag" habe er schon zwischen die Finger bekommen.

Privatpatienten terminlich zu bevorzugen? Bei Rostek lief das anders. Dennoch verweist er auf Gutachten, in denen von Fachärzten die Rede ist, die ohne Subvention durch die Privateinnahmen ihre Kassenpraxis nicht mehr wirtschaftlich führen können. "Sie müssten eigentlich ihre Kassenzulassung zurückgeben, wären dann rentabler, die Kassenarztdichte würde dramatisch abnehmen", sagt Rostek.

Immer wieder fällt auch dieser Gedanke: "Je mehr man kann, umso missbrauchter kommt man sich vor. " Selbst in die medizinische Arbeit werde von Kassen "hineinregiert", echauffiert er sich. Was dabei herauskommt: Anonyme Entscheidungen nach Aktenlage, am Patientenwohl vorbei - anstatt auf denjenigen zu hören, der seine Patienten am besten kennt: den Hausarzt. "Ein Wahnsinn, kein Bezug zum Einzelfall", schimpft Rostek. Anderswo werde das Geld "mit vollen Händen rausgeworfen" - Hausärzte hingegen dürften viele ihrer qualifizierten Leistungen gratis erbringen. "Hausbesuche sind grundsätzlich für jeden Hausarzt defizitär, drum werden sie zur Rarität", prognostiziert der Mediziner. Noch könnten Hausärzte wirtschaftlich arbeiten, "Tendenz konstant fallend. " Mehrmals betont Rostek: Ums Geld gehe es ihm nicht, sondern um eine adäquate Honorierung des Geleisteten, irgendwo freilich auch um Wertschätzung.

Rosteks Mängelliste am System ist damit längst noch nicht zu Ende: Darauf befinden sich auch zeitraubende ICD-Schlüssel, Datenschutz, Bedarfsplan oder dass die von der Kassenärtzlichen Vereinigung Bayerns diagnostizierte Überversorgung Schrobenhausens die freistaatliche Förderung eines Landarztes verhindere. Eine echte Interessenvertretung - wie bei Piloten oder Lokführern - hätten Haus- und Kassenärzte nicht. "Die Kassenärztliche Vereinigung handelt mit den Kassen unsere Honorare aus, prüft uns und vollzieht Regresse. " Auf der anderen Seite: "Die Vorstände beziehen üppige Gehälter und sind am Fortbestand des Systems interessiert. " Hoffnung setzt Rostek in die neue "IG Med", die im Sinne der Kassenärzte die richtigen Ziele verfolge. Enorm wichtig findet er das, denn: "Konzerne übernehmen unser Gesundheitswesen Schritt für Schritt. " Beispiel Kliniken: "Es werden Sahnestücke übernommen, gute Mediziner angestellt, dann die Kosten rigoros gedrückt. " Die gute Versorgung werde zunehmend gefährdet, Stellenschlüssel für Schwestern und Pfleger minimiert, Fachpersonal ausgedünnt. Zeit für Patientengespräche bleibe da kaum noch. "Keiner will mehr zu den Bedingungen arbeiten, man ist nicht mehr Freiberufler, es wird einem die Arbeitszeit vorgeschrieben, in die Termine eingegriffen", ärgert sich Rostek. Und über alledem schwebt auch noch das Damoklesschwert "Regressrisiko", bedingt durch oft "undurchsichtige Arzneiverträge der Kassen mit der Pharma" so Rostek.

Dabei wird der 66-Jährige nicht müde zu betonen, wie erfüllend sein Beruf sei. Gerade in der Rückschau auf das in den vergangenen Jahrzehnten Erlebte: Ja, die Bereitschaftsdienste waren mitunter extrem belastend, und wenn er an absurde Einsätze wie jenen morgens um drei zurückdenkt, als ihn ein ansonsten kerngesunder 30-Jähriger wegen Hustens - den er seit drei Wochen hatte - aus den Federn sprengte, schüttelt er gleich noch einmal den Kopf. Aber da waren eben auch jene Erlebnisse, die er nicht missen möchte. Sterbende begleiten - und sei es an Heiligabend - oder Kindern auf die Welt helfen zu dürfen. Immer sei er zu seinen Patienten ehrlich gewesen. Die Wahrheit gab es wohldosiert. Denn Rostek weiß: "Der Mensch braucht bis zum letzten Schnaufer einen Funken Hoffnung. "

Während es an Wertschätzung durch Kassen und Politik mangelt, erfährt Rostek diese umsomehr durch seine Patienten. Die letzten Hausbesuche Richtung Süden und Westen hat er hinter sich, in Kürze folgen Osten und Norden. Tränenreich werde das, weiß Rostek bereits jetzt. Und was kommt danach? Reisen, radeln, lesen, der Garten und natürlich die Familie. Aresing, wo ihn in den 80ern der Zufall herführte, den Rücken zu kehren, plant er nicht. Dennoch: Ab und zu in seinem geliebten München, wo er aufgewachsen ist, vorbeizuschauen, "in die Isar hüpfen, danach in einen Biergarten - was könnte es Schöneres geben". Sollte dennoch einmal Langeweile aufkommen, "dann ruf ich einen alten Patienten an und komm auf einen Kaffee vorbei. "
 

DAS SAGT DER ARESINGER BÜRGERMEISTER

Die einzige Hausarztpraxis schließt - wie geht es in Aresing weiter? Eine zunächst anvisierte Nachfolgeregelung für seine Praxis scheiterte laut Wolfgang Rostek "auf der Zielgeraden". Auch Bürgermeister Klaus Angermeier sieht einen Nachfolger weit und breit nicht in Sicht. Und das, obwohl er tut, was in seiner Macht steht.

Etwa mittels Online-Plattform "Gemeinde sucht Hausarzt" des Bayerischen Hausärzteverbandes. Auch mit Bundestagsabgeordnetem Erich Irlstorfer habe er gesprochen. Ein Fünkchen Hoffnung setzt Angermeier nun in ein Gespräch mit dem Kommunalbüro für Ärztliche Versorgung. "Wir würden ja unterstützen, wo immer es uns möglich ist", beteuert der Aresinger Bürgermeister. Beispielsweise bei der Suche nach einem Bauplatz. "Würden alle Stricke reißen, hätten wir sogar Räume samt Wohnung", sagt er. Finanzielle Anreize hingegen könne er nicht anbieten. Die sind auch vom Freistaat nicht zu erwarten. Schließlich gilt das Gebiet Schrobenhausen samt Hohenwart, Waidhofen und Aresing mit jetzt dann 26 Ärzten bei rund 34000 Einwohnern nach wie vor als überversorgt (weiterer Bericht folgt).

Denkbar wäre auch ein Medizinisches Versorgungszentrum nach Karlshulder Modell, bei dem das Kreiskrankenhaus die Gemeinde mit Ärzten versorgt. Eventuell könnte ein Arzt zumindest für drei Tage pro Woche präsent sein. "Wir sind wirklich zu allen Schandtaten bereit, was innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten ist", versichert Angermeier. Einen der Gründe für die Misere sieht er im System: "Bei den Pauschalen ziehen die Ärzte den Kürzeren. " Er ist überzeugt: "Für ehrliche Arbeit muss es faire Bezahlung geben. "

Ute De Pascale