Der vegetarische Visionär vom Rinderhof

19.06.2020 | Stand 02.12.2020, 11:08 Uhr
Auch Spargel und Kartoffeln bauen Max Kainz und seine Frau Ulrike an. −Foto: Ammer

Den ersten Stier hat er sich selbst zum Geburtstag geschenkt - inzwischen hält Max Kainz seit 13 Jahren Wagyu-Rinder. Und das als Vegetarier. Auf seinen Feldern wachsen Kartoffeln, Spargel, Sonnenblumen und vieles mehr, alles in Bioqualität. Was es bedeutet, einen Hof auf Bio umzustellen, wo die Schwierigkeiten liegen und wieso er selbst als Exot gilt, erzählt der Pächter von Rinderhof und Leinfelderhof bei einem Rundgang.

 

Vegetarier und Rinderzüchter? Geht das? Neugierig streckt das Wagyu-Rind seinen Kopf durch die Stäbe im weitläufigen Stall. Aus tiefschwarzen Augen verfolgt es jede Bewegung von Max Kainz und weicht zurück, als er zu nahe kommt. Der Landwirt ist zufrieden mit der Reaktion - die Kühe mit den großen gebogenen Hörnern sollen nicht verkuschelt sein. Er will, dass sie ihre natürlichen Instinkte behalten, auch wenn es auf den Wiesen rund um Schrobenhausen natürlich keine Raubtiere gibt. Momentan stehen nur wenige von ihnen im weitläufigen Stall auf dem Rinderhof, die meisten sind auf der Weide - von April bis November.

"Jede Kuh ist anders", sagt Max Kainz. "Ich kenne alle Tiere mit ihrer Geschichte." Rund 1600 Kälber hat er in den vergangenen 18 Jahren mit auf die Welt begleitet. "Man hat eine Verbindung zu dem Kalb - und wenn es mal nicht funktioniert, dann macht das psychisch was mit einem." Wer Max Kainz zuhört, der weiß, dass ihm die Rinder am Herzen liegen - und das, obwohl sich mit ihnen alleine kein Geld verdienen lässt, obwohl der Bauer 365 Tage im Jahr für sie da sein muss, obwohl er sich immer und immer wieder verabschieden muss, wenn sie zum Schlachter kommen. Der Grund dafür geht über die Liebe zu den Tieren hinaus: "Ich wollte das auch vom Betriebsgedanken her", es geht um den Kreislauf, den Max Kainz auf seinen Höfen hat. Etwas, das ihn auch unter Bio-Bauern zum Exoten macht.

Der 62-Jährige stammt selbst aus der Landwirtschaft, ist auf einem niederbayerischen Bauernhof aufgewachsen. Nach einem Studium der Landschaftsarchitektur und einer Weltreise wollte er den elterlichen Betrieb auf Bio umstellen. "Aber die Rahmenbedingungen haben nicht gepasst, das wäre ein riesen Sprung gewesen." Der Visionär ging also weg aus dem Betrieb und zurück an die Uni, er leitete in Weihenstephan ein Versuchsprojekt mit 130 Wissenschaftlern und Technikern zu ökologischer und konventioneller Landwirtschaft, das 15 Jahre lief. "Wir haben die Landschaft umgebaut, um sie nachhaltig zu bewirtschaften. Es war ein top Wurf", ist er bis heute begeistert.

Vor gut 18 Jahren pachteten er und seine Frau dann den Rinderhof in Schrobenhausen mit dem Vorsatz, ihn auf Bio umzustellen. Dahin führen für Max Kainz zwei Schritte: Der erste ist die Umstellung im Kopf, die für ihn kein Problem war. Nicht nur, dass er in jungen Jahren schon den elterlichen Hof aus Überzeugung umstellen wollte - "ich bin in der Bioszene verwurzelt und der Rinderhof war der dritte Hof, den ich auf Bio umgestellt habe". Der zweite Schritt hat mit Regularien zu tun, die teils von der EU vorgegeben sind. Zwei Jahre Umstellungszeit gelten für Wiesen, Felder und Äcker. "Das geht nicht von heute auf morgen." Das bedeutet für den Landwirt, er hat zwei Jahre lang höhere Produktionskosten, bekommt aber für seine Produkte nur den Preis für konventionelle Lebensmittel. Max Kainz empfiehlt, die zwei Jahre zu nutzen, um den Boden aufzubauen, zum Beispiel mit Kleegras.

 

Die Befürchtung, der Markt für Bioprodukte könnte zusammenbrechen, hört Max Kainz immer wieder. Gerade in den vergangenen vier Jahren sind viele wirtschaftlich orientierte, flächenstarke Betriebe dazugekommen. "Aber so schlimm ist es nicht", weiß Max Kainz, der an der TU München am Lehrstuhl für ökologischen Landbau lehrt. Preisdepressionen gebe es vor allem bei Massenprodukten auf dem EU-Markt, in Bereichen, die leicht auf Bio umzustellen sind: das Futtergetreide Triticale zum Beispiel, ebenso Roggen. Und der Landwirt hat gemerkt, dass die Haltung von Bio-Fleckvieh nicht funktioniert: "Die bessere Qualität wird nicht bezahlt", weiß er aus eigener Erfahrung von der Umstellung des Rinderhofs auf Bio.

Deshalb also die Japanrinder: "Sie haben weltweit anerkannt die beste Fleischqualität." Und er sei der erste Bio-Wagyu-Halter in Bayern gewesen, erzählt Max Kainz nicht ohne Stolz. Heute hat er 201 Tiere, Limousin und Wagyu. Die Kühe verwenden ihre ganze Milch für die Kälber, mit denen sie gemeinsam auf der Weide stehen. "Sie kriegen Salz und Zuwendung und verwildern ein bisschen." Der Landwirt schmunzelt. Nach vier Jahren werden die Wagyus geschlachtet, erst dann hat das Fleisch die Marmorierung und Qualität, die Max Kainz will. "Der Geschmack hängt am Alter." Weiß er. Der Vegetarier isst seine Tiere selbst nicht. "Ich hatte noch nie ein richtiges Rindfleischsteak." Ob er da nach 42 Jahren nochmal eine Ausnahme macht? Interessieren würde es ihn schon ein bisschen, weil die Reaktion der Kunden auf das Fleisch so gut ist. Er zuckt mit den Schultern, schmunzelt. "Vielleicht irgendwann."

Verkauft wird das Fleisch im Laden auf dem Leinfelderhof, der vorrangig ein saisonaler Spargelladen ist und kommenden Mittwoch schließt. Eine Möglichkeit ist auch die Marktschwärmerei für Lebensmittel von Erzeugern aus der Region, hinter der Till Huesmann steht. Das Wagyu-Rindfleisch passt für Max Kainz aber nicht so gut in ein Ladenkonzept. "Ich möchte es als etwas Besonderes erhalten", es sei nichts, was man sich jede Woche kaufe. Kainz arbeitet jetzt mit einer Liste, in die sich Interessenten eintragen können, was für ein Stück Fleisch sie gerne hätten. "Und wenn das Tier zu 70 Prozent verkauft ist, wird es geschlachtet."

Was gut geht im Bio-Bereich ist Gemüse wie etwa Kartoffeln. Insgesamt steige die Nachfrage nach ökologisch produzierten Produkten seit 2019 an. Max Kainz beobachtet, dass - auch durch Corona - immer mehr Menschen nicht den Salat aus Spanien, sondern vom Wochenmarkt oder direkt vom Erzeuger kaufen.

 

Bio-Gemüse, das bezeichnet Max Kainz als die hohe Kunst im Anbau. Denn bei Bio sind synthetische Mittel verboten, nur natürliche und naturnahe Stoffe sind zugelassen. Gerade bei den Düngemitteln gebe es da Diskussionen entlang der Grenze, so ist Rohphosphat beispielsweise erlaubt, ist es aber mit Zitronensäure versetzt, die an sich auch erlaubt wäre, ist es verboten. Aber Max Kainz ist keiner, der hier lange diskutiert, für ihn gibt es die Regeln, wie in seinem Fall vom Anbauverband Bioland - "und die sind eben wie sie sind".

Über anderes macht er sich mehr Gedanken: Erlaubt ist nach EU-Regularien im Bio-Bereich eine geringe Menge Kupfer als Spritzmittel für Kartoffeln. "Da sind wir weit davon weg, dass es toxisch ist für Regenwürmer", weiß Max Kainz. Dennoch hofft er, mittelfristig auf das Kupfer verzichten zu können. Mit krautvollen, resistenten Sorten zum Beispiel, die keine Krautfäule bekommen. Doch noch sind diese im Aufbau - und Max Kainz braucht das Kupfer. Spritzt er nicht, erwartet er in einem Jahr wie diesem bis zu 50 Prozent Ernteausfälle. "Das Risiko kann ich nicht eingehen", schließlich stecken rund 6000 Euro Aufwand in einem Hektar Kartoffeln, dazu Zeit, der Diesel für den Traktor und vieles mehr. "Es wäre unnachhaltig, wenn es nicht zu Ertrag führt."

Doch was macht Max Kainz nun zum Exoten unter seinen Kollegen? Es sind nicht nur die japanischen Wagyu-Rinder und die Sache mit dem Vegetarismus, es ist auch die Vielfalt auf seinen Feldern. Dabei meint er nicht das Unkraut zwischen den Kartoffeln - das will auch er nicht unbedingt, dafür gibt es Blühstreifen und Hecken und vieles mehr, was er bewusst ansät, pflegt und wachsen lässt. Auch sonst tut er so manches für die Biodiversität: In seinem Schleiereulenkasten nisten zum Beispiel Turmfalken. "Man bietet was an und es kommt halt was", sagt er mit einem Augenzwinkern. So auch bei seinem Hanf, der nicht nur den Kühen schmeckt, sondern der auch immer wieder "junge männliche Wesen", wie der Landwirt lachend erzählt, auf seine Felder locke. Dabei sei dieser Hanf natürlich nicht die Sorte, die die unerwarteten Gäste dort zu finden hoffen. Zur Vielfalt auf seinen Feldern gehören Erbsen, Sonnenblumen, Färberdisteln, Kartoffeln, Sonnenblumen und vieles mehr.

Und da kommen wir wieder zum Kreislauf auf seinen Höfen. Im Bio-Betrieb sind synthetische Stickstoffdünger absolut tabu. Also muss Max Kainz anders Stickstoff auf seine Äcker bringen. Und das gelingt ihm im Rahmen der Fruchtfolge, er erwirtschaftet sich seinen Stickstoff gewissermaßen - mithilfe seiner Rinder. "Vom Kreislaufgedanken her sind die Tiere sehr gut." Und das funktioniert so: Das Kleegras, welches er verfüttert, bindet Stickstoff. Und schon hat er diesen über den Kuhmist im System, mit dem er wiederum seine Felder düngt. "Früher war es Standard, dass man Tiere hatte, heute ist der klassische Gemischtbetrieb rar." Heute gehe die Tendenz Richtung nur Tiere und Futtermais oder nur Ackerbau - auch auf den Bio-Höfen. "Das Klassische stirbt aus." Es liegt an der Betriebsorganisation, "mit Tieren ist diese gleich so viel anstrengender".

Sorgen macht Max Kainz seine Nachfolge. Er ist 62 Jahre alt und würde sich einen weichen Übergang wünschen. "Es ausgleiten lassen", dabei einem Nachfolger eventuell noch die Dinge zeigen, die standortbezogen sind. "Ich kenne alle Äcker und habe ein Organisationsgefüge, das funktioniert." Dazu gehört für ihn soziale Stabilität. Neben seinen Mitarbeitern arbeitet er auch noch mit Landwirten aus der Umgebung zusammen. "Ein Betrieb ist ein Organismus", betont er. Ebenso braucht er verlässliche Partner in den vor- und nachgelagerten Bereichen, denn "meine Entscheidungsgewalt endet an meinen Feldgrenzen". Und so viel Spaß es ihm auch macht, weiß Max Kainz: "Ich bin sehr angebunden, es ist zu viel auf mich fokussiert. Was ich uns zumute ist für mich ok, für andere wäre es das nicht."

SZ