Schrobenhausen
Der Unterschied zwischen Stadt und Kaff

Das Spargelmuseum ist seit 30 Jahren europäisch und sorgte seinerzeit für eine Initialzündung

16.04.2021 | Stand 23.09.2023, 18:01 Uhr
Vor gut 36 Jahren startete hier das Projekt Spargelmuseum, seit 30 Jahren darf es offiziell das Attribut "europäisch" führen - damals war das eine Initialzündung. −Foto: SZ-Archiv

Schrobenhausen - In diesen Tagen hätte Schrobenhausen allen Grund zu feiern: Seit 30 Jahren darf die Stadt das "Europäische Spargelmuseum" ihr Eigen nennen. Das war mal so etwas wie der Hundertwasserturm für Abensberg oder das Konzerthaus für Blaibach. In den vergangenen Jahren hat es die Stadt nicht fertiggebracht, dieses Juwel für touristische Zwecke nutzbar zu machen. Nicht ungefährlich, denn der Grat zwischen Kleinstadt und Kaff ist relativ schmal. Was macht den Unterschied?

So richtig feiern - mit Rolltröte, Partyhut und Konfetti - kann man ja in diesen Zeiten eh nicht. Was sehr, sehr schade ist. Damals, als Bürgermeister Josef Höllbauer und sein Kulturreferent Klaus Englert vor dem Europäischen Spargelmuseum Hunderte Festgäste willkommen hießen, war das noch ganz anders.

Der Bayerische Rundfunk hatte einen riesigen Ü-Wagen in die Stadt beordert und sendete live. Moderatorenlegende Michael Stiegler, wie immer mit dem nur über die Schultern gelegten Sakko holte Stimmen ein. Sternekoch Hans-Peter Wodarz und sein Schrobenhausener Kollege Ludwig Grieser, der seinerzeit ebenfalls auf höchstem Niveau unterwegs war, warteten mit erlesenen Leckereien auf. Und alle, die dabei waren, spürten: Hier passiert etwas, das Schrobenhausen besonders macht. Das war schon eine große Sache. 1993 zeichnete der Europarat dieses Museum als eines der zehn besten Spezialmuseen des Kontinents aus.

Das wollte man sehen. Tagestouristen kamen in Scharen in diese Stadt mit dem hinreißenden Stadtwall, die sich einen Namen gemacht hatte, weil sie sich etwas getraut hatte. Manchmal waren es 20, 30 Busse pro Tag.

Schrobenhausen - dieser Name hatte Klang. Auch, weil in den knapp zehn Jahren davor viel dafür getan worden war, die Stadt vom provinziellen Image zu befreien. Man wollte nicht ein etwas zu groß geratenes Dorf sein, sondern etwas darstellen, für etwas stehen - denn in der Stadt waren Weltunternehmen gewachsen, mit Bauer, den Rüstungskonzernen mit damals schnell wechselnden Namen im Hagenauer Forst, mit Leinfelder und so manchem aufsteigenden Kleinod.

AUFBRUCH

Solche Top-Unternehmen brauchen ein Top-Umfeld, wenn sie interessant für Top-Arbeitskräfte sein wollen. Bürgermeister Josef Höllbauer, sein Vize Helmut Eikam und einige ihrer Mitstreiter hatten das erkannt. Also stellte man Schrobenhausen städtischer auf.

Zum Beispiel mit damals mutiger Architektur wie dem roten Turm, dem Stadthallenfoyer, dem halbrunden Bau am Mühlrieder Weg und etlichen kleineren, pfiffigen Objekten. Nur bitte ja keine Hausmannskost.

Die internationalen Städtepartnerschaften wurde begründet, mit einem deutsch-französisch-britischen Dreieck, das wiederum für Aufsehen sorgte, Schlagzeilen und überregionale Wahrnehmung nach sich zog.

Man holte provokante Kunst in die Stadt, allen voran "Die spanischen Reiter" der Bildhauerlegende Alf Lechner, damals mit Hilfe des Rotary-Clubs. Die örtlichen Künstler zogen nach, entwickelten originelle Projekte wie ein künstlerisches Buffet aus Autoteilen, oder sie nagelten in einer Weihnachtsausstellung Tannenbäume quer an die Wand und behängten sie mit Möhren - ein kleiner Skandal! Es ging darum, sich etwas zu trauen und den provinziellen Mief hinauszufegen.

Die IG Sob-Rock entstand, auch sie sorgte überregional für Schlagzeilen. Schrobenhausen wurde bundesweit als die Stadt mit der höchsten Banddichte gefeiert. Der "Zündfunk" des BR war hier in der Folge mit einer Liveübertragung zu Gast, Radio Sputnik vom MDR schickte ein Team, der SWR, die Branchenzeitung "Musikexpress" und viele, viele andere Medien berichteten über Schrobenhausen und spielten die Musik, die hier entstand. Leute wie Flo Weber, der heute einer der großen deutschen Musikstars ist, oder auch Patrick Oginski und Gerhard Zimmermann, die heute einen Namen in der Kulturbranche haben, hatten sich hier erstmals ausprobiert. Das waren die Zeichen dieser Zeit: Schluss mit Provinz!

Sie alle und noch viel mehr ließen sich vom Enthusiasmus anstecken, der SV Steingriff veranstaltete Riesenkonzerte mit großen Bands wie Extrabreit, Fiddler's Green, Reamonn - ja, Ray Garvey hat schon in Schrobenhausen gespielt. Raus mit dem Mief. Im Windschatten des Birdland-Jazzclubs in Neuburg etablierte der Verkehrsverein im Stadthallenfoyer eine starbesetzte Jazzreihe.

Es geht um Kultur, also um einen Bereich, der bestimmt wird von Selbstausbeutung, lächerlichen Stundenlöhnen, dafür aber geprägt ist von Enthusiasmus, Begeisterung, Leidenschaft, Liebe zu dem, was man da tut. Denn bei Kultur geht es auch um ein gesellschaftliches Selbstverständnis. Und viele, viele Menschen in und um Schrobenhausen waren damals gewillt, etwas an der gesellschaftlichen Kultur in der Stadt und dem Mittelzentrum Schrobenhausen zu ändern.

INITIALZÜNDUNG

Klaus Englerts Spargelmuseum war für vieles davon eine Initialzündung. 1984, 1985 war das alles losgegangen - in einer Phase der Aufbruchstimmung. Da war dieser junge Anwalt mit einer Schnapsidee, die erst einmal belächelt wurde. Wie, ein Museum für Spargel? Was soll denn da rein? Etwa eine Dose Spargelcremesuppe? Haha.

Und ja: Auch die fand einen Platz. Tatsächlich. Und Kunst von Andy Warhol. Oder von Fabergé. Von so vielen mittelgroßen und überdimensionalen Namen. Die Schrobenhausener und ihre Gäste staunten nicht schlecht, was Klaus Englert und seine Mitstreiter damals auf die Beine stellten. Otto Schöpf, Rudi Peterke, Hanns Schultes, später auch Theo Hilgers waren einige derjenigen, die sich für die Schnapsidee begeisterten, die sich anstecken ließen, die begannen, Inhalte für dieses Museum zusammenzutragen.

Das Spargelmuseum war damals ein einziges großes Experiment. Klaus Englert rannte sich die Hacken ab, um Gelder zusammenzutragen. Er wusste: Wird das Projekt zu teuer, steigt der (damals noch sehr provinzielle) Stadtrat aus. Er schaffte es, dass alles mit kleinem Geld klappte. Auch später, 1991, als die große Erweiterung mit dem gläsernen Anbau und den stilisierten Stahlpferden dazu kam. Da war der damalige Stadtrat schon weit weniger provinziell unterwegs, Kunst hatte und bekam einen Platz. Und immer mehr verstanden: Es ist eine lebendige, blühende Kulturszene, die den Unterschied macht. Die aus einem Kaff eine Stadt macht, die Flair vermittelt.

Etwas wie das Spargelmuseum, etwas wirklich Spektakuläres, etwas Aufsehenerregendes, das Schrobenhausen besonders machen würde, gab es dann lange nicht mehr. Im Gegenteil. Die Stadthalle als nahezu einziger funktionierender Veranstaltungsort wurde heruntergewirtschaftet. Mutlosigkeit, Mittelmaß lösten zwei Jahrzehnte später die Aufbruchsstimmung der Jahre ab 1985 ab.

ZEITGEIST

Der Zeitgeist war ein anderer geworden. Man war zufrieden mit dem, was man hatte. Provinziell zu sein, war nichts Schlimmes mehr. Ab und an wurde ein bisserl gejammert, in Schrobenhausen sei nichts los, das war es aber auch. Kurz: Man hatte sich eingerichtet. Schließlich ließ und lässt es sich in Schrobenhausen ja ganz wunderbar leben.

Allerdings gibt es diese alte Weisheit, dass Stillstand Rückschritt ist. Kulturell war Schrobenhausen spätestens ab Mitte der Nuller Jahre auf dem absteigenden Ast, nach dem Aufstiegsjahrzehnt ab 1985 und dem sich daran anschließenden Jahrzehnt der Professionalisierung ab Mitte der 90er. Damals hatten die örtlichen Initiativen ausgelöst, dass überregionale, große Veranstalter Schrobenhausen als Markt entdeckten. Stars, die heute immer noch regelmäßig im Fernsehen auftreten, gaben sich in dieser Zeit in Schrobenhausen die Klinke in die Hand.

ABSTIEG

Dann aber war die Stadthalle dicht, weg. Der Brandschutz. Dem fiel auch Andi Baierls aufstrebende Bühne, das "Cantona" zum Opfer, es ging bergab. Die Luft war aus. Die Stadt hätte sich dagegenstemmen müssen. Sie hätte mit gezieltem Marketing dagegenhalten müssen. Sie tat es nicht. Der Tiefpunkt: Die "Feier" zum großen Jubiläum "100 Jahre Schrobenhausener Spargel" anno 2013 - ein Totalflop. Gerademal 180 Menschen verloren sich auf dem Lenbachplatz vor dem Rathaus, als es galt, Schrobenhausens Aushängeschild Nummer eins hochleben zu lassen. Man kann sich leicht vorstellen, was Abensberg oder Rothenburg aus so etwas gemacht hätten.

Für den einzigen Lichtblick am Horizont sorgte in jener Zeit ein pfiffiger, unternehmungslustiger Österreicher, der der Liebe wegen nach Schrobenhausen gekommen war: Um 2010 begann der Grazer Gambist Jakob David Rattinger - von der Süddeutschen Zeitung als "Weltklasse" geadelt - Schrobenhausen zur bayerischen Hauptstadt des Barock zu machen. Am Anfang war das alles nicht so einfach, inzwischen ist es geglückt: Der Name Schrobenhausen hat - wenn auch in einer nicht sehr großen Szene - einen Klang, sogar international.

Sein Weihnachtskonzert in St. Jakob hatte im Netz schnell über 30000 Klicks, eines seiner Videos kam inzwischen auf 1,3 Millionen - niemand sonst schafft solche Zahlen, zurzeit auch kein Flo Weber oder Kurt Schwarzbauer. Das hat Bedeutung. Die Stadt Schrobenhausen hat hier Wegweisendes geleistet, als sie die Barocktage begründete, die inzwischen ehrenamtlich getragen werden.

So, wie Schifferstadt für das Ringen steht, Filderstadt für Tennis, Blaibach für klassische Musik, so wird Schrobenhausen in der internationalen Barockszene wahrgenommen. Und, weil enthusiastische Vollprofis wie Andi Baierl oder Patrick Oginski dahinter sind, immer wieder auch für die Rockszene.

Das Europäische Spargelmuseum erfüllt diese Funktion zurzeit - nach 30 Jahren - nur noch bedingt. Es hat an Glanz eingebüßt, bedarf dringend eines Anschubs, um zu alter Größe zurückzufinden.

Das würde der Stadt gut tun, die nach wie vor Weltunternehmen beherbergt, und die entsprechend ein möglichst wenig provinzielles Umfeld bieten sollte.

Wer weiß, vielleicht kommt ja mal wieder einer daher mit der richtigen Schnapsidee. So, wie damals Klaus Englert mit dem Spargelmuseum. Wie die Rockmusiker. Wie Jakob Rattinger mit seinen Barocktagen. Weil der Unterschied zwischen Stadt und Kaff ist, was man draus macht.

SZ

Mathias Petry