Aichach
Der Lehrer mit der Rute

Körperliche Züchtigung war in früheren Zeiten üblich - aber auch Schüler und Eltern wussten sich zu wehren

07.10.2019 | Stand 23.09.2023, 8:52 Uhr
Tatzen, Schläge mit Kochlöffeln oder Linealen auf die ausgestreckten Handflächen galten lange Zeit als angemessene Bestrafung widerspenstiger Schüler. Auch hierzulande hielten Lehrer und Eltern körperliche Züchtigung bis vor einigen Jahrzehnten für pädagogisch wertvoll. −Foto: Jan Steen, National Gallery of Ireland

Aichach (SZ) Ohrfeigen, Kopfnüsse, Stockhiebe, Tatzen und verbale Entgleisungen - jahrhundertelang galt das körperliche und psychische Malträtieren von Schülern in weiten Kreisen als adäquates Mittel, um dem Nachwuchs Gehorsam beizubringen.

Wer durch das Aichacher Stadtmuseum schlendert, erfährt, dass erst seit rund 50 Jahren offiziell Schluss ist mit der körperlichen Züchtigung an Schulen.

"Das Strafen der Schüler mit der Rute war bis ins vorige Jahrhundert üblich. Und die Ruten waren ein Attribut des Schullehrers durch all die Jahrhunderte", führte der ehemalige Stadtarchivar Karl Christl 2003 in der Aichacher Zeitung aus. Christls Artikel ist im Zuge der Sonderseiten zu den damaligen Mittelalterlichen Markttagen erschienen und war mit dem Titel "Ich lernte mit den Kindern und schlug sie auf den Hintern" überschrieben. Dieses Zitat soll auf dem Grabstein eines Lehrers in Schwaben gestanden haben.

Laut Informationen im Stadtmuseum waren im Wittelsbacher Land 1947 bei einer Elternbefragung noch die meisten Mütter und Väter der Meinung, dass körperliche Züchtigung in der Bildungseinrichtung zur Schuldisziplin erforderlich sei.

An den Gymnasien in Bayern ist die körperliche Bestrafung seit dem Jahr 1903 unzulässig, an den Realschulen war sie das schon immer. Für die Volksschulen wurde sie erst 1970 durch eine entsprechende Änderung der Landesvolksschulordnung ebenfalls abgeschafft - also vor gerade einmal knapp 50 Jahren. 1973 erklärte die Bundesrepublik Körperstrafen an Schulen per Gesetz für verboten. In Bayern allerdings befand das Oberste Landesgericht noch 1979, dass im Freistaat ein "gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht" bestehe. Offiziell wurde hier die Prügelstrafe sogar erst 1980 Geschichte.

Je nach Schwere der Verfehlung mussten die Kinder früher abgewandt in der Ecke stehen, auf der sogenannten Eselsbank sitzen, auf Holzscheiten knien oder sich in einem dunklen Raum aufhalten. Es wurden Ohrfeigen, Kopfnüsse, Tatzen und Stockhiebe verteilt.

Vor rund 150 Jahren befand sich unter der Aichacher Rathaustreppe das sogenannte "Narrenhäusl", wo junge Leute bei "boshaftem oder mutwilligem Verhalten" eingesperrt und öffentlich zur Schau gestellt wurden, wie im Aichacher Stadtmuseum zu lesen ist.

1889 wurde im damaligen Schulhaus Ecke Hubmann-/Steubstraße ein Karzer, eine Art Arrestzelle, eingebaut. Sie wurde 1938 zum Büro des Schulleiters umfunktioniert.

Am 14. September 1996 war in der Sonntagsbeilage der Aichacher Zeitung ein Artikel von Wilhelm Schuster mit dem Titel "Watschen riesigen Formats" zu lesen. Er widmete sich der "Erziehung und Schulbildung im Wandel der Zeiten". Auch unter Mitgliedern des christlichen Glaubens war Schuster zufolge im 13. Jahrhundert die Meinung verbreitet: "Das faule oder unfolgsame Kind musste folglich die Rute auf nackter Haut zu spüren bekommen. " Mit Beginn der Neuzeit und der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert änderte sich zwar das Schulwesen, neue Erziehungstheorien und Bildungsprogramme entstanden. Allerdings galt weiterhin: "Getreu der altägyptischen Auffassung ,Das Ohr eines Kindes sitzt auf seinem Rücken - es höret, wenn man es prügelt! ' schwangen die Lehrer den Stock und bearbeiteten die Hosenböden ihrer Zöglinge. " Aber auch damals schon prangerten aufgeklärte Eltern und Pädagogen die Prügelstrafe an. Den Widerstand einiger Eltern und Geistlicher in der Region gegen einen prügelnden Lehrer im 19. Jahrhundert belegen die Tagebuchaufzeichnungen von Ignaz Meyer, der von 1872 bis 1875 in Gachenbach unterrichtet hat.

Kilian Schmidl und Katharina Elschleger haben unter der Leitung von Christoph Lang, Leiter des Aichacher Stadtmuseums, Meyers Niederschriften aus dieser Zeit gesichtet. Meyer beschreibt darin selbst, dass er Schüler abstrafte, indem er sie "herausknieen" ließ, ihnen "Tatzen" gab, zudem schrieb der Exzentriker: "In der Schule treibe ich die Kinder mit dem Stock zu Paaren. " Am 4. Oktober 1874 verewigte Ignaz Meyer folgende Auseinandersetzung mit einem Vater: "Er sagte, ich dürfe den Kindern keine Datzen geben und er ersteche mich, wenn ich sein Kind nochmals strafe. Jetzt habe er mich und werde mich schlagen. Ich musste eiligst davonlaufen und im schnellen Schritt nach Hause gehen. Er lief mir immer nach und schimpfte mir nach, erwischte mich aber nicht. "

Auch dem damaligen Pfarrer gingen die Züchtigungen zu weit. Am 30. September 1874 hielt Meyer fest: "Heute gab mir der Pfarrer in der Schule einen Verweis, weil ich zu sehr strafe. " Und Anfang Oktober: "Der Pfarrer forderte die Eltern auf, dass sie gegen mich Beschwerde einlegen wegen dem Strafen in der Schule, und verbot mir, dass ich die Kinder strafe. "

"Es häuften sich Berichte über Prozesse gegen brutale Lehrer, denen solche über Schülerverbrechen gegenüberstanden", schrieb Michael Westerholz in einem am 24. Mai 2003 in der Aichacher Zeitung veröffentlichten Artikel. Denn immer häufiger löste die Gewalt der Lehrer Gegengewalt bei den Schülern aus. "Rasende Schüler" nutzten bei ihren Angriffen Schusswaffen, Messer, Steine, Schuhe, Schlagstöcke und Bleikugeln, wie Eduard Stenger, Gründer und Leiter des Schulmuseums Lohr, im Zuge einer Recherche für eine damalige Sonderausstellung zusammengetragen hat. "Aber auch Lehrer sammelten regelrechte Waffenlager an", schreibt Westerholz weiter.

In seinem Beitrag beschreibt er, dass die oftmals ausartende Züchtigung in den Schulen auch das Ergebnis war "einer Berufung ins Lehramt, die von Zufällen bestimmt war, auch vom Ehrgeiz armer, oft verkrachter Handwerker". Zu Beginn der Schulpflicht im 18. Jahrhundert war die pädagogische Vorbildung selten, als Lehrer fungierten Priester und Mesner, ehemalige Wachtmeister und Unteroffiziere, aber auch Handwerker.
 

DAS RUETHENFEST

Auf einer Schautafel berichtet das Aichacher Stadtmuseum über das sogenannte Ruethenfest, das ab 1670 in regelmäßigen Abständen gefeiert wurde. Bis heute hält sich die Legende, dass es auf den Brauch zurückgeht, mit den Schulkindern im Frühjahr einen Ausflug zu machen, bei dem sie die späteren Ruten für die Lehrer schnitten.

In der sogenannten Priefer-Matrikel, im 16. Jahrhundert verfasst vom damaligen Aichacher Stadtpfarrer Vitus Priefer, steht, dass die Schüler zum "rutheln" auszogen. Der festliche Zug zum Ruthenfest war allerdings auch mit Spielen und Kurzweil verbunden. Im 19. Jahrhundert wurde das Fest dann schließlich zu einem reinen Kinderfest. Es begann mit einem Gottesdienst, und später wurde ein gestiftetes Lamm unter den Mädchen und ein Huhn unter den Jungen verlost. Es folgte ein festlicher Zug durch die Stadt, danach versammelte man sich an den Brauereikellern am Kellerberg, aß, trank und die Kinder spielten.

1852 wurden die Umzüge von Landrichter Ludwig Wimmer verboten, auf Wunsch von König Maximilian II. wurden die "Rüdenfeste" ab 1858 als historische Festzüge aber wieder aufgenommen. Das für lange Zeit letzte Fest dieser Art in Aichach fand 1926 statt. Der Grund: Es war laut dem Aichacher Stadtarchivar Christoph Lang "ein finanzielles Desaster". "Infolge der Weltkriege schlief der schöne Brauch ein, der jeweils Tausende von Fremden in die Stadt geführt hatte", heißt es in Josef Müllers Buch "Aichach einst und jetzt".

Dafür, dass es sich bei dem Fest ursprünglich tatsächlich um eine Aktion handelte, bei der die Schulkinder die Mittel zu ihrer eigenen Züchtigung beschaffen mussten, gibt es laut Christoph Lang "keine archivalischen Belege". Vielmehr habe es sich wohl um jährlich oder regelmäßig veranstaltete Wandertage oder Schulfeste gehandelt.

Hinweise zu den Anfängen der Kinderfeste finden sich in den frühen Wochenblättern des Landkreises Aichach nur wenige, wie Horst Lechner in seinem Aufsatz "Rüdenfest! Welch ein Zauber liegt in diesem Worte für Aichachs Jugend! " in "Altbayern in Schwaben" von 2013 herausstellt. "Erst um 1870, als dieses auch Ruethen- oder Rüdenfest genannte Ereignis zu einem historischen Spektakel wird, ändert sich dies", führt er aus. Der Autor hält es ebenfalls nicht für wahrscheinlich, "dass dieses Fest dazu diente, die ausziehenden Schulkinder die Ruten holen zu lassen, mit denen sie später gezüchtigt wurden".

Das Virgatumsfest (lateinisch Virga für Rute) ist ihm zufolge im Mittelalter entstanden, als es noch keine Ferien gab. Von den Ausflügen wurden grüne Zweige "als Zeichen der wiedererwachten Natur" mitgebracht. Da die Bezeichnung Rüetten mit den sprachlichen Abwandlungen Rieden, Ruthen, Rietten, Ruethen und Rüden je nach Region auch als Begriff für einen Ausflug ins Grüne gebraucht wurde, müsse er an sich nicht zwangsläufig mit dem Rutenschnitt in Verbindung gebracht werden. nay

Nayra Weber