Der Informant hat sich verrannt

In Alberzell soll das Verbrechen toben, bis hin zum Mordversuch: Soll man das ernst nehmen?

16.04.2021 | Stand 21.04.2021, 3:34 Uhr
Hinter hohen Bäumen scheint sich Alberzell, die höchstgelegene Ortschaft im Schrobenhausener Land, vor fremden Blicken verstecken zu wollen. Welche schrecklichen Geheimnisse verbergen sich hier? Verbergen sich hier überhaupt irgendwelche schrecklichen Geheimnisse? Oder ist alles nur eine Sache der Perspektive - so wie auch dieses Foto? In Wirklichkeit ist der Wald nämlich ein ganzes Stück von Alberzell entfernt. −Foto: M. Schalk

Es sind verstörende Nachrichten, die uns da seit ein paar Wochen aus Alberzell erreichen.

 

Der so idyllische kleine Ort ganz im Süden des Schrobenhausener Lands scheint sich zu einer Hochburg des Verbrechens entwickelt zu haben. Von zahlreichen Delikten ist die Rede, bis hin zum Mordversuch. Selbst nach Russland reichen die Kontakte, das zeigen E-Mail-Protokolle. Nur ein einzelner wackerer, furchtloser Mann - nennen wir ihn einfach mal: der Informant - stellt sich all dem entgegen und hat sogar noch den Mut, Politik, Polizei und Presse mehrmals täglich per E-Mail auf dem Laufenden zu halten. Vielleicht ist aber alles auch ganz anders.

Als wir den Pfaffenhofener Polizeichef Helmut Fink fragen, was denn da los sei in Alberzell, scheint er auf die Nennung des Ortsnamens fast ein wenig amüsiert zu reagieren. Aber offenbar weiß er was. Namen will er nicht nennen, darf er auch gar nicht - und auch wir werden das natürlich nicht machen, obwohl der Informant in Alberzell mit persönlichen Anschuldigungen nicht zurückhaltend ist.

Jedenfalls, die Bitte, doch mal nachzusehen, wie sich die Kriminalstatistik in den vergangenen Wochen entwickelt hat, erfüllt Polizeichef Fink gerne. Eine Auswertung für Alberzell mag er zwar nicht herausgeben, aber auch die Zahlen für die gesamte Gemeinde Gerolsbach sind interessant: "Da haben wir annähernd eine Verdreifachung", sagt der Inspektionsleiter. Von Jahresbeginn 2021 bis jetzt, Mitte April, hat die Pfaffenhofener Polizei 29 Anzeigen entgegengenommen - im selben Zeitraum des Vorjahres waren es gerade mal 10. "Das ist nicht der Hort der Kriminalität da draußen normalerweise", sagt Fink noch. Interessant, dieser Zusatz: normalerweise. Dass ein Großteil dieser Anzeigen der vergangenen Wochen im Gerolsbacher Gemeindegebiet auf die Ortschaft Alberzell entfallen könnte, will Fink nicht bestätigen. Dementieren aber auch nicht.

Aber was ist nun mit dem Mordanschlag? Der Informant berichtete in der Nacht auf den 31. März (in ziemlich beeindruckender Schriftgröße), dass er tags zuvor bei einer - das vermuten wir jetzt einfach mal - investigativen Recherche in einer Kiesgrube fast zu einem Alberzeller George Floyd geworden wäre. Zwei Männer, Vater und Sohn, hätten ihn zu Boden gerungen, als er diverse, in seinen Augen offenbar nicht ganz legale Müllablagerungen fotografiert habe. Sie hätten ihn übelst beschimpft, ihm sein Handy abgenommen und sich eine halbe Stunde lang auf seine Brust gekniet, weswegen er fast erstickt wäre.

Mit einem Mordversuch kann Polizeichef Fink zwar nicht dienen. Aber er hat in seinen Unterlagen einen "Vorfall in einer Kiesgrube im Gemeindebereich", und zwar am 30. März gegen 7 Uhr morgens - zeitlich würde das also passen. Ein 63-Jähriger sei dort mit zwei anderen Männern aneinandergeraten. Offenbar sei der 63-Jährige in die Kiesgrube gegangen, obwohl Schilder auf ein Betretungsverbot hinwiesen. Das hätten die Männer wohl bemerkt und den 63-Jährigen gestellt, als er in einen angrenzenden Wald flüchtete. Was dann genau passierte, ist offenbar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu rekonstruieren - "da gibt's jetzt widersprüchliche Angaben", sagt Fink. Jedenfalls hätten die beiden Männer (und nicht der 63-Jährige) die Polizei verständigt. Auch ein Rettungswagen sei gekommen, die Ärztin habe beim 63-Jährigen Rötungen festgestellt, die davon stammen könnten, dass er festgehalten wurde. Ins Krankenhaus habe sich der Mann nicht bringen lassen wollen. "Es gab keinen Grund, irgendwen festzunehmen da draußen", sagt Fink, der noch mitteilt, dass nun Strafanzeigen laufen und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet worden sei.

Also wohl doch kein Mordversuch. Fragt sich, was an den anderen Skandalen dran ist, die der Alberzeller Whistleblower per E-Mail in der Welt verbreitet. Er berichtet nicht nur von Umweltverbrechen in der Kiesgrube, sondern auch von einem Bürgermeister, der zugleich Bauunternehmer sei und seine Gemeinde um einen siebenstelligen Betrag geprellt habe. Außerdem nutze der Mann ein Grundstück, das der Gemeinde gehört, als Lagerplatz. Angebliche Beweisfotos schickt der Informant gleich mit.

Allerdings: In einer Gemeinde, in der es eine sehr aktive Oppositionsgruppe unabhängiger Bürger gibt, mit einem Wortführer, der in seinen Pressemitteilungen kein Blatt vor den Mund nimmt, kann so etwas nicht wirklich schockieren. All diese Vorwürfe sind ja auch nicht wirklich neu - das mit dem Lagerplatz zum Beispiel stand schon vor vielen Jahren in der Zeitung. War nichts dran an den Vorwürfen; die hatte damals sogar die Staatsanwaltschaft untersucht (die wiederum von dem Wortführer der sehr aktiven Oppositionsgruppe darauf aufmerksam gemacht worden war, woraufhin sich besagter Wortführer einen Rüffel vom Staatsanwalt abholen durfte, der sich nicht für politische Taktierereien missbrauchen lassen wollte). Beim Landratsamt sieht man deshalb auch gar keinen Anlass, hier irgendwie zu ermitteln, jedenfalls hat unsere Zeitung das auf Anfrage aus Pfaffenhofen erfahren. Die Kiesgrube wollen sich die Mitarbeiter des Amts wegen des Hinweises aus Alberzell aber mal anschauen, wobei bisher keine Anhaltspunkte für Verstöße vorgelegen hätten.

Natürlich bleiben Fragen offen: Warum gehen die E-Mails des Informanten nicht nur an sämtliche Gerolsbacher Gemeinderatsmitglieder, sondern auch an - so weit wir das wegen der zum Teil kyrillischen Schriftzeichen in den Mailadressen sagen können - Damen in Russland? Warum fährt jemand abends mit dem Traktor durch Alberzell und leuchtet mit dem Scheinwerfer in Privathäuser? Wer hupt da ständig nachts? Besteht ein Zusammenhang mit dem Randalierer, der im vergangenen Jahr die Kartenlesegeräte mehrerer Tankstellen in der Umgebung (die alle demselben Eigentümer gehören) mit einem Hammer zerstört hat? Was hat das Ganze mit der Kür eines Bürgermeisterkandidaten vor fast 14 Jahren zu tun? Warum verbreitet der Informant nicht nur Fotos der von ihm festgestellten angeblichen Vergehen, sondern auch von einer blutverschmierten Fratze (offenbar aus einem Musikvideo), einer lasziv dreinblickenden Dame mit Handschellen in der Hand und den Screenshot einer Nachricht mit der Überschrift: "Polizei findet Bauunternehmer tot in seiner Lagerhalle"? Kann man, muss man das alles ernst nehmen? Und, vor allem: Wann hört das Ganze auf?

Bernd Hofmann