Karlshuld
"Das ist Genozid, was hier passiert"

Bischof Wilfred erzählt bei Besuch in Karlshuld von seiner Heimat Nigeria

14.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:13 Uhr
Bischof Wilfred Anagbe (l.) aus der Diözese Makurdi war zu Besuch bei Pfarrer Paul Igbo (r.), der derzeit im Pfarrhaus in Weichering wohnt. Dort sprachen die beiden über den von der Weltöffentlichkeit weitgehend ignorierten Terror muslimischer Nomaden in Nigeria. −Foto: Hammerl

Karlshuld (SZ) "Wer bewaffnet diese Terroristen?", fragt Bischof Wilfred Anagbe aus der Diözese Makurdi im nigerianischen Bundesstaat Benue. Eigentlich wollte er drei Wochen in Deutschland Urlaub machen. Doch jetzt will er schnell zurück in seine Heimat.

Der Grund: Am 24. April mit Maschinengewehren bewaffnete Nomaden zwei Priester und 15 Gläubige während eines Beerdigungsgottesdienstes in der Kirche von Mbalom ermordet haben, will der Bischof zurück nach Hause, um an deren Beerdigung teilzunehmen. Daher musste er auch seinen Besuch bei Pfarrer Paul Igbo in Karlshuld abkürzen, nahm sich aber Zeit für ein Gespräch mit unserer Zeitung. "Das sind Terroristen", sagt der Bischof. Auf das Wort legt er großen Wert. Denn während die muslimische Terrororganisation Boko Haram, die im Norden Nigerias ihr Unwesen treibt, weltweit vielen Menschen ein Begriff ist, werde der Terror der ebenfalls muslimischen Nomaden vom Stamm der Fulani eher verharmlost.

Allein von Januar bis April dieses Jahres seien 87 Attacken der Fulani auf die christliche Bevölkerung des so genannten Middle Belt Nigerias mit den Bundesstaaten Benue, Taraba, Adamawa, Plateau, Kaduna, Kogi und Nassarawa erfolgt. Circa eine Million Menschen seien vertrieben worden - allein 160 000 Flüchtlinge lebten in Lagern in Benue, und das seien nur die, die nicht bei Verwandten untergekommen sind. Getötet wurden mindestens 863 Menschen. Anagbe berichtet von schrecklichen Bildern. Die Nomaden kämen um 5 Uhr in der Früh, würden Männer, Frauen - auch Schwangere - und Kinder niederschießen, teilweise auch mit Macheten niedermetzeln. "Ein- bis zweijährige Kinder werden regelrecht geschlachtet und in Stücke gehackt", fährt er schaudernd fort, "deswegen sage ich, "das sind Terroristen"".

Probleme mit den Nomaden, die im 19. Jahrhundert aus Nachbarstaaten nach Nigeria einwanderten und ihre großen Kuhherden heute noch durchs Land und über die Äcker der Bauern treiben, gab es auch früher schon, erzählt Anagbe. Damals, als die Bevölkerung Nigerias noch aus weniger als 50 Millionen Menschen bestand, habe es aber noch ein erträgliches Miteinander gegeben, seien die Auseinandersetzungen vergleichsweise harmlos gewesen. Mittlerweile leben offiziell rund 200 Millionen Menschen in Nigeria, wahrscheinlich sind es noch einige mehr. Natürlich ist nun deutlich weniger Platz für die Rinderherden mit rund 20 Millionen Kühen in einem zunehmend kultivierten Land. Mittelalter treffe hier auf die Neuzeit. "Deshalb hat Benue im Mai 2017 als erster Bundesstaat ein Gesetz gegen freilaufende Rinderherden erlassen", ergänzt Igbo. Nun gelte, wer Rinder habe, müsse sie auf umzäunten Weiden halten und überzählige Tiere verkaufen, wenn er nicht genügend Land besäße.

Der Terror, der bereits 2010 begonnen hatte, habe sich infolge des Gesetzes intensiviert. Die Nomaden hätten sich im Januar in Benue verabredet, offenbar um es den Christen heim zu zahlen, dass sie ihr dicht besiedeltes Land schützen wollten. "Früher kamen die Fulani mit Frauen und Kindern, und sie trugen lediglich ihre Hirtenstäbe bei sich", erzählt der Bischof, "jetzt kommen nur noch junge Männer mit den Herden, und sie haben Maschinenpistolen." Woher sie die Waffen hätten, das sei die große Frage. Die Fulani seien nur gedungene Cowboys, die Kühe gehörten ihnen größtenteils überhaupt nicht. Dahinter stünde die Organisation Miyetti-Allah Cattle Rearers Association. "Den Politikern gehören die Kühe, die Hirten sind nur bezahlte Knechte", unterstreicht auch Pfarrer Igbo, der mit den beiden ermordeten Priestern, Pfarrer Joseph Gor und Pfarrer Felix Tyolaha, befreundet war und sehr geschockt über ihren grausamen Tod ist.

Die Polizei, berichtet er, habe nicht geholfen. Der Sekretär des Bischofs habe mehrfach vergeblich angerufen, aber niemand sei ans Telefon gegangen. Dann seien andere Priester unter Einsatz ihres Lebens in die Kirche gegangen, um die Toten und Verletzten zu bergen. Einer der beiden Priester habe noch gelebt, sei dann aber auf dem Transport gestorben. Gor habe bereits im Januar auf Facebook geschrieben: "Wir leben in Angst, bewaffnete Fulani sind hier und weigern sich zu gehen. Wir haben nichts, um uns zu verteidigen".

Bischof Anagbe ist nicht nur traurig, sondern verbittert. "Das ist Genozid, was hier passiert", sagt er, "und die westliche Welt ignoriert es". Lediglich der amerikanische Präsident Donald Trump habe dem nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari deutlich gemacht, dass die Attacken aufhören müssten. Als der Gouverneur von Benue schriftlich den Präsidenten und den Polizeichef von Nigeria um Hilfe bat, habe er nicht einmal eine Antwort erhalten. "Der Präsident von Nigeria gehört selber zu den Fulani", erklärt Igbo, und habe kürzlich alle wichtigen Führungspositionen bei Polizei und Armee mit Muslimen besetzt - auch in Benue, einem Bundesland, dessen Bevölkerung zu 99 Prozent aus Christen besteht.

Dahinter stehe ein Plan, ist sich Bischof Wilfred sicher: "Sie wollen aus Nigeria einen islamischen Staat machen". Derzeit liegt der Bevölkerungsanteil von Christen und Muslimen im bevölkerungsreichsten Land Afrikas bei jeweils ungefähr 50 Prozent. Die Menschen im sogenannten mittleren Gürtel, die von den Fulani attackiert werden, seien vorwiegend Christen. Aber nun würden sie aus ihren Häusern vertrieben und getötet, ihr Land besetzt.

"Wenn der politische Wille da ist, dann lässt sich das Problem mit den Rinderherden lösen", sagt Igbo und nennt Ghana als positives Beispiel. Dessen Präsident sei Christ und er habe gesagt: "Kühe, die frei herumlaufen, sind Grillfleisch" - und er setze das auch durch. Igbo ist sehr enttäuscht von Präsident Buhari. Als der 2015 an die Macht kam, setzte Igbo große Hoffnung auf ihn, denn die Fulani-Attacken, die 2010 begonnen hatten, flachten für etwa zwei Jahre ab. Jetzt seien sie schlimmer denn je und der Präsident helfe den Opfern nicht. sondern entlasse Christen aus wichtigen Ämtern und besetze diese mit Muslimen.

Weil Nigeria Mitglied der Uno und der Unesco ist, hofft Bischof Wilfred immer noch auf die westlichen Länder, obwohl sie wegzuschauen scheinen. "Wir hoffen auf Gott, dass er uns den Frieden zurückgibt", sagt der 53-Jährige, "ich hoffe auf Freiheit und das Recht auf eigenen Glauben". Die Muslime würden den Christen jedoch keine Glaubensfreiheit geben, deswegen setzte seine letzte Hoffnung auf die nigerianische Verfassung, die allen Nigerianern Freiheit garantiere. "Ich erwarte von jedem Präsidenten, dass er die Rechte eines jeden Bürgers respektiert - sei er nun Moslem wie er selbst oder Christ", sagt Anagbe.

Andrea Hammerl