Pöttmes
Das Dorf im Schachterl

In Pöttmes entstehen winzige Häuschen - Horst und Arwed Loquais Miniaturen gehen in die ganze Welt

10.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:03 Uhr
  −Foto: Glas

Pöttmes - Acht Häuser, ein Turm, ein Zaun, ein Tannenbaum - das ist "Das kleine Dorf".

Es wiegt 14 Gramm und passt in eine Zündholzschachtel. Gebaut wird es in Pöttmes. Horst und Arwed Loquai sind seine Architekten, gleichzeitig auch Schreiner, Maurer, Maler, Verpacker und Verschicker. Ihr "kleines Dorf" geht nämlich in die ganze Welt. Es steht in Spielzeug-Läden, wird in Museen verkauft oder klappert in den Hosentaschen japanischer Lausbuben.

"Das kleine Dorf" ist ein Matchbox-Spielzeug. Also eines, das man in einer 55 Millimeter langen, 38 Millimeter breiten und 16 Millimeter hohen Standard-Schubbox aus Pappe unterbringen kann. 24 solcher Matchbox-Baukästen hat Loquai Holzkunst schon entwickelt: Puzzles, Kirchen-Miniaturen, Zahlenspiele für Kinder, Mini-Züge mit Lok und zwei Waggons, den Christbaum zum Zusammenstecken. "Wir müssen jedes Jahr neue Ideen haben, um erfolgreich am Markt zu bleiben", erzählt Horst Loquai. Er ertüftelt am liebsten Spiele wie Tangram, Pentomino oder Lovario, bei dem man aus bunten hölzernen Stäben, Drei- und Vierecken zahllose Tierfiguren, Häuser oder Baumaschinen legen kann. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, und genau das ist es, was die Pöttmeser Brüder erreichen wollen: Dass sich die Spielenden nicht nur berieseln lassen, sondern selbst ihr Hirnschmalz einsetzen.

Mit ihren Holz-Miniaturen wirken die Loquais wie aus der Zeit gefallen. Kinder von heute daddeln an computergesteuerten Konsolen, spielen mit Smartphone-Apps oder mit Puppen, die einen sprechenden und verstehenden Mini-Roboter eingebaut haben. "Es gibt aber wieder mehr Eltern, denen ist Nachhaltigkeit wichtig. Sie wollen ihren Kindern keine technischen Apparate mehr anbieten, sondern Spielzeug, das man fühlen und riechen kann, das aus gesunden Materialien besteht und mit dem sie kreativ umgehen können", sagt Arwed Loquai.

Solches Spielzeug wird in Pöttmes gefertigt. Aber nicht am Fließband, sondern von Hand. Und zwar komplett. In der Schreinerwerkstatt der Loquais hängen Feile und Stechbeitel, dort stehen Kreissäge, Hobelmaschine, Drehbank, Bandschleifer und Bohrstation - handelsübliche Werkzeuge, die allerdings für ihren Einsatz optimiert sind. Sie müssen aus dicken rohen Brettern quadratische Stäbe schneiden, exakt 13 Millimeter breit. Wenn man die Stäbe diagonal halbiert und kappt, werden daraus die Dächer der Matchbox-Häuser. Um sie rot einzufärben, haben die Loquais einen Metzger-Wurstkessel auf einen Elektromotor montiert: Im rotierenden Kessel werden die hellen Holzklötzerl in roter Biofarbe getränkt. "Man muss sich halt zu helfen wissen", feixt Horst Loquai.

Zu helfen wussten sich auch die Vorfahren von Horst und Arwed Loquai. Großvater Rudolf Arwed Loquai produzierte ab 1934 im Erzgebirge Puppenstuben und Kaufmannsläden. Nach der Vertreibung siedelte die Familie 1946 zuerst in die Oberpfalz um, dann nach Inchenhofen, 1958 kaufte sie die leerstehende Wirtschaft Hofwirt samt Viehstall in der Pöttmeser Ortsmitte. Dort richtete sie die Werkstatt ein. Als Andreas Loquai, Sohn des Firmengründers, 1967 das Unternehmen zusammen mit seinen beiden Geschwistern übernommen hatte, wurden bis zu 120 Heimarbeiter beschäftigt. Sie schraubten und leimten die kleinen Holzteile, bemalten und verpackten sie. Erfolgreichstes Produkt damals waren Holzeisenbahnen, pro Jahr 200000 Stück dampften aus Pöttmes hinaus. Jeden Monat lieferten zwei Lastwagen das benötigte Holz. Heute sind es zwei Lastwagen pro Jahr. Die Produkte sind kleiner geworden, brauchen weniger Rohstoff. Loquai Holzkunst beliefert namhafte Spielwarenhändler, baut Lernspielzeug für die Verkehrserziehung in Kindergärten, entwirft hölzerne Marketingartikel für Firmen oder Holzkistchen, zum Beispiel für Feinkost oder Süßwaren. Der Werksverkauf in der Pöttmeser Ortsmitte ist zunehmend frequentiert von umweltbewußten Mamas, Papas, Opas und Omas.

Rund 20000 Matchbox-Baukästen bestückt die Loquai Holzkunst pro Jahr. Auf der Spielwarenmesse in Nürnberg, wo das Familienunternehmen seit über 70 Jahren ausstellt, werden internationale Kontakte geknüpft. So landen die Pöttmeser Miniaturen auch auf fernen Kontinenten. Ein Absatz-Hotspot ist Tokio. "Wahrscheinlich, weil die Familien dort in engen Wohnungen leben und kaum Platz für Spielzeug haben", sinniert Horst Loquai und grinst.

Vom 16. Oktober bis Februar 2021 stellt Loquai auf der Bodenseeinsel Mainau aus. "Die bunte Welt der Holzspielzeuge" wird von den führenden deutschen Holzspielzeugherstellern beschickt.

SZ


Wolfgang Glas