Schrobenhausen
Heilpraktikerin unter Verdacht

Schrobenhausenerin soll Patientin völlig überteuertes Wundermittel gegen Krebs verkauft haben

16.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:02 Uhr
Vom "Geschäft mit dem Krebs" ist in einem Beitrag die Rede, der in Stern TV lief. Darin werden schwere Vorwürfe gegen eine Schrobenhausenerin erhoben. Ihre Praxis war gestern geschlossen. −Foto: Richter/De Pascale

Schrobenhausen (DK) Die Vorwürfe wiegen schwer.

Die Vorwürfe wiegen schwer. Die Rede ist von   „Scharlatanerie“, Experten fordern den Entzug der Heilerlaubnis und  Schließung der Praxis: Das RTL-Magazin Stern TV hatte in seiner jüngsten Ausgabe am  Mittwoch unter dem Titel „Das Geschäft mit dem Krebs“  von einer Krebspatientin  berichtet, die auf Empfehlung einer Schrobenhausener Heilpraktikerin ihre Chemotherapie abbrach und sich auf ein Wundermittel verließ – mit dem Ergebnis, dass die Metastasen weiter wuchsen.  


Im Kampf gegen den Speiseröhrenkrebs habe sich Sabine H. aus Osnabrück für das Mittel eines Ingolstädter Anbieter entschieden und durch das Absetzen der Chemotherapie „wertvolle Zeit verloren“, heißt es in dem Beitrag. Gekauft hatte Sabine H. das Mittel  wohl in einer Praxis in Schrobenhausen, deren Inhaberin 5900 Euro pro Packung verlangt habe; insgesamt steckte die Patientin  15 000 Euro in die Behandlung. Ein Stern TV-Experte bezifferte die Kosten für die Herstellung des Präparats, für das er keine Studien fand, mit wenigen Euro und zweifelte dessen Wirkung  an. Ob sich die Heilpraktikerin bereichert hat, ist  unklar, immerhin wäre  denkbar, dass sie selbst einen hohen Preis für das Präparat bezahlt hat.


Das TV-Team machte in der Praxis Aufnahmen mit versteckter Kamera. Sie zeigen, wie die Heilpraktikerin das Präparat verkauft   und  bündelweise Geld kassiert. Unmittelbar nach Ausstrahlung des Beitrags brach im  Netz ein Shitstorm aus, beispielsweise meinte ein User auf Facebook: „Unfassbar! Die Hoffnung Verzweifelter schamlos ausgenutzt!“ Ein weiterer fand: „Solchen Quacksalbern muss der Laden dicht gemacht werden!“ Wieder ein anderer kommentierte: „Die Gute gehört eingesperrt!“ In eine ähnlich negative Richtung zielen die Bewertungen auf dem Ärzteportal Jameda: „Die Behandlung  war sehr teuer und hat nichts gebracht“, heißt es da. Oder: „Da sich der Gesundheitszustand verschlechterte, habe ich die Behandlung abgebrochen“; das Fazit jenes Users: „Viel Geld bezahlt, aber nicht der gewünschte Erfolg.“ 
Es gibt aber auch andere Erfahrungen im Schrobenhausener Raum. So schreibt eine Dame auf Facebook:  „Ich war vor Jahren in der Praxis. Könnte nix Negatives sagen.“ Und auch Fußballmanager Michael Koppold aus Langenmosen sagt: „Ich habe diverse Spieler, die wegen Problemen mit den Füßen  und Leisten hingingen –  rein fußballerisch war  immer alles gut.“ Doch auch Koppold schränkt ein: „Ich würde nie wegen Krebs zu ihr gehen.“ 


Im TV-Beitrag wurde auch bezweifelt, dass die Heilpraktikerin ihren Professorinnentitel  zu Recht führt.  In Schrobenhausen hatte dieser Titel eine Weile ebenfalls für Aufsehen gesorgt. Nach Informationen der Redaktion ist die Frau wohl keine Akademikerin. Bei Stern TV geht man davon aus, dass sie ihren Titel an der  Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder erworben hat.  Auf Nachfrage unserer Zeitung schreibt die Uni, es lägen keine Informationen über die Schrobenhausenerin vor. „Sie hat hier weder einen Professorentitel verliehen bekommen, noch als Honorarprofessorin gearbeitet.“ Sie sei  „auch nie als Studentin oder Gast-Hörerin an der Europa-Universität eingeschrieben“ gewesen.


In einer Facebook-Gruppe hatte  sich die Patientin, die sich an Stern TV wandte, nach ihrer Diagnose mit weiteren Betroffenen ausgetauscht. Auf einer Gartenparty lernte sie  den Händler  des Medikaments und die  Heilpraktikerin kennen.  Die  habe ihr versichert, es sei „fünf vor zwölf“, ihr Körper sei geschwächt von der Chemotherapie. „Ich hätte nicht mehr lange überlebt, wäre ich nicht zu ihr gekommen“, soll die Heilpraktikerin der Patientin gesagt haben.  Stimmt das alles so,  hat sich die  Schrobenhausenerin damit  auch juristisch  auf gefährliches Terrain begeben;  schließlich ist es laut geltender Rechtslage verboten, Therapien mit Wirkungen und Erfolgen zu bewerben, die  nicht wissenschaftlich nachweisbar sind. 
Angesprochen auf die Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands  habe die Heilpraktikerin bei einem weiteren Besuch in Schrobenhausen psychosomatische Störungen  als möglichen Grund für das Nichtanschlagen des Medikaments genannt, berichtet Sabine H. weiter. Sie kündigte an, Strafanzeige  stellen zu wollen. Eine Anzeige liege bislang  nicht vor, berichtet die Schrobenhausener Polizei – es würde nur dann ein Fall für die Polizei, wenn sich  ein Geschädigter melden würde. 


 Seit über zehn Jahren ist die Schrobenhausenerin  als Heilpraktikerin in ihrer Heimatstadt tätig. Beim Gesundheitsamt in Neuburg sei  sie ordnungsgemäß gemeldet, wie eine Sprecherin des Landratsamtes Neuburg-Schrobenhausen mitteilt. Sie habe ihre 2008 erworbene Heilpraktiker-Urkunde im Original vorgezeigt, sei vor ihrer Niederlassung auch persönlich erschienen, auch sei bis dato nie eine Beschwerde eingegangen. Nun habe man  vor,  „die betroffene Dame zur Anhörung ins Amt einzuladen“,  um ihre Sicht der Dinge   zu hören, so die Sprecherin weiter.


Gegenüber Stern TV äußerte sich die  Heilpraktikerin zu den Vorwürfen nicht. Gestern brannte in ihrer Praxis Licht, das Auto stand wie gewohnt vor der Tür. Auf  ein  Klingeln reagierte aber niemand. Am Telefon teilte die Tochter der Heilpraktikerin, die ebenfalls in der Praxis arbeitet, später  mit:     „Wir geben dazu keinen Kommentar ab!“ Der Facebook-Account der Heilpraktikerin existiert mittlerweile nicht mehr.

 

Ingolstädter Händler  will sich nicht äußern 

Der Anbieter  von  BG-MUN, dem angeblichen Wundermittel gegen Krebs, kommt aus Ingolstadt.  Auf eine telefonische Anfrage unserer Zeitung wollte er sich zu den Vorwürfen  jedoch nicht äußern.   „Nein, danke“, sagte er und legte auf. An der im Internet angegebenen Ingolstädter Adresse, sucht man vergebens nach der Firma des Anbieters  des vermeintlichen Krebsmittels.  Seit gut zehn Jahren befindet sich dort  ein Umweltschutz-Institut.  Nach  der Ausstrahlung    der Stern-TV-Reportage   ist  auch ein großer Teil der Internet-Seiten, auf denen BG-MUN angeboten wurde, nicht mehr erreichbar.  Allerdings nicht alle: Auf der einen  Webseiten findet man im Impressum eine Adresse in Panama,  auf einer weiteren  ist eine kroatische Anschrift auf einem Bild von einer Kräuterteemischung abgedruckt. Und einmal befindet sich der Firmensitz angeblich auf Zypern.  Seit den 1990er Jahren  entwickelt und vertreibt  der  Ingolstädter Unternehmer  kosmetische sowie medizinische Produkte und Geräte und ist in seiner Heimat  bekannt. 
Auch der Geschäftsführer einer Berliner Firma hat auf seiner  Facebook-Seite  BG-MUN beworben.   Am Telefon teilte er  unserer Zeitung  mit, dass  er den Ingolstädter 2015 kennengelernt habe. Dieser habe  die gute Wirkung des Mittels angepriesen. Danach brach der Kontakt wieder ab. 
Erst gestern wurde am Landgericht Nürnberg-Fürth ein 63-Jähriger Heilpraktiker und Volkswirt aus Mittelfranken  zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er  nicht  zugelassene Arzneimittel verkauft hatte. Jedoch handelte es sich nicht um BG-MUN, sondern um die  umstrittene Vitamin-Öl-Emulsion  „Rerum“ und „Rerum blue“, die  er als Wunderheilmittel gegen Krebs an Patienten weitergab. 

Ute De Pascale