"Es fällt jetzt schon leicht, wir zu sagen"

Kein Familienmitglied an der Firmenspitze

15.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:14 Uhr
Michael Stomberg an seinem neuen Arbeitsplatz im vierten Stock der Zentrale des Bauer-Konzerns. Vergangene Woche hat er dort seine neue Position angetreten. −Foto: Petry

Zum ersten Mal in der über 200-jährigen Firmengeschichte steht jetzt bei Bauer jemand an der Spitze, der nicht Mitglied der Familie ist: Michael Stomberg (48). Im November nahm er seinen Dienst auf, mit der Schrobenhausener Zeitung sprach er jetzt exklusiv über seine neue Funktion.

Seine zweite Woche im neuen Job geht zu Ende. Michael Stomberg fällt ein Bild aus der Formel 1 ein, wenn er beschreiben soll, wie er die ersten Tage in Schrobenhausen erlebt hat: Druckbetankung. So nennt man das, wenn maximal viel Inhalt in maximal kurzer Zeit rein muss. Kann man sich gut vorstellen, dass sich das so anfühlt, wenn man neu in ein Unternehmen mit 11000 Menschen kommt.

Beim Gesprächstermin am Vormittag wirkt er dennoch sehr entspannt. Eine Kanne Tee steht auf dem Tisch, ab und an nimmt er einen Schluck. Stomberg ist einer, der gleich zum Punkt kommt. In den ersten fünf Minuten des Gesprächs bringt er all die Dinge unter, die die meisten Menschen in seinem neuen Umfeld am meisten interessieren werden. Er hat ein Interesse daran, dass man versteht, wie er denkt.

Und? Wie macht man das, dass man sich in eine solche Position - Vorstandsvorsitzender eines börsennotierten Unternehmens - einarbeitet? "Durch Gespräche. Ich versuche zuzuhören", sagt er. "Und mich interessiert auch, welche Fragen mir gestellt werden."

Wie die Bauer AG tickt, das wird ihm mit jeder Stunde hier mehr bewusst. "Die Leute sind stolz auf ihr Unternehmen", sagt er, "und das kann man auch sein. Das fängt bei mir auch schon an." Kurzer, verschmitzter Blick, dann wird er wieder ernst: "Ich merke, wie leicht es mir jetzt schon fällt, ,wir' zu sagen - nach diesen wenigen Tagen." Und das, obwohl er in seinem alten Unternehmen sehr verwurzelt war. "Ich bin ja kein Sanierer und kein Job-Hopper", sagt Stomberg. Er habe zwar verschiedene Funktionen ausgeübt in seinem bisherigen Berufsleben, aber bei nur zwei Arbeitgebern. 13 Jahre war er beim Dichtungsspezialisten EagleBurgmann in Wolfratshausen, davor arbeitete er bei der Münchner Dependence des Unternehmensberaterriesen Booz Allen Hamilton, für dessen Zentrale in den USA später übrigens auch ein gewisser Edward Snowden tätig war. "Aber in einer ganz anderen Sparte als ich", sagt Stomberg.

Er spricht schnell, konzentriert, formuliert elegant. Er kommt aus Hamburg, ging lange in England zur Schule. "Sie san zwar a Preiß, aber macht ja nix" - so hat ihn wohl schon einer aus dem Bauer-Betriebsrat willkommen geheißen, wie Stomberg lachend erzählt. Bayerisch und "Mia san mir"-Mentalität - damit kommt er offensichtlich klar.

Überhaupt: Er redet zwar hochdeutsch, denkt aber überhaupt nicht daran, in gefilterten Business-Sprech zu verfallen. "Ich bin ziemlich geradeheraus", nickt er, darauf angesprochen. "Es ist doch viel leichter, wenn man einfach sagt, was Sache ist." Wobei kein Zweifel besteht, dass er das andere auch kann. Manchmal wird es eben doch unvermeidlich sein, etwa wenn es um Investor Relations geht. Da zählt dann manchmal jedes Wort.

Apropos: Wie wichtig ist ihm denn dieser Aspekt des Konzerns, wie sehr wird er auf die Börse schielen? "Das habe ich Thomas Bauer auch gefragt: Wie wichtig ihm der Kurs ist", erwidert Stomberg und nickt. Die beiden sind da offenbar auf einer Linie. "Natürlich werde ich mir den Kurs anschauen, aber ich hoffe, dass man belohnt wird, wenn man die langfristig richtigen Entscheidungen trifft. Wenn man mal kurzfristig abgestraft wird, dann ist das halt so." Bedeutet: Der Kurs ist wichtig, aber nicht alles.

Und Stomberg macht keinen Hehl daraus, dass er nicht alle Gepflogenheiten seiner Kaste, der Manager, blind gutheißt. Wenn neue Manager kommen und als erstes Strukturen verändern oder gleich strategische Posten mit Vertrauten besetzen, dann ist das seine Sache ganz offensichtlich nicht. Das stellt er gleich klar.

"Ich habe mich immer schon schwer damit getan, wenn jemand neu kommt und alles austauscht. Wenn man das tut, nimmt man keine Rücksicht auf die Firmenkultur." Er erklärt auch, warum: "Es wäre ja schon ein extremer Zufall, wenn man genau diejenigen erwischt, die tatsächlich ausgetauscht werden sollten, und wenn die, die man dann dort hinsetzt, genau diejenigen sind, die das Unternehmen weiterbringen."

Genauso wenig sinnvoll findet er, wenn man als erstes an der Organisation rumfummelt. "Ich habe schon erlebt, dass lauter neue Kästchen ins Organigramm gemalt wurden - und die Mitarbeiter haben einfach weitergemacht wie davor. Weil sie wussten, wie es geht."

Nein, Michael Stomberg inszeniert sich im Gespräch nicht als kühl kalkulierender Manager, der alles weiß, sondern als jemand, der langfristig denkt, nicht auf den schnellen, aber womöglich kurzlebigen Erfolg schielt. So jemanden hätte man bei Bauer aber wohl auch gar nicht haben wollen. Dass es im Konzern anders zugeht, das weiß er spätestens seit einem der ersten Kennenlerntermine. "Da wurde ich nach Schrobenhausen eingeladen, um mir das Unternehmen anzusehen, an einem Samstag", erzählt Stomberg, "und danach wollten wir noch was essen." In irgendeinem Restaurant, dachte er. Von wegen. "Ich fand mich dann bei der Familie Bauer daheim in der Küche wieder, ich brachte die Kartoffeln raus, Thomas Bauer öffnete eine Flasche Bier - und wissen Sie was? Ich hätte es an seiner Stelle ganz genauso gemacht."

Dann dieser Satz: "Ich glaube, dass es gut ist, wenn man demütig ans Geschäft herangeht und das auch immer ein Stück weit bleibt." Was ja nicht heißt, dass sich nicht Dinge verändern werden. "Ein Unternehmen entwickelt sich, das ist ein organischer Prozess", sagt er. "Und natürlich wird es auch mal Entscheidungen geben, im Zweifel auch mal harte." Aber eben nicht, weil da jetzt ein neuer Kopf im Vorstand ist, sondern weil Gegebenheiten eine Veränderung erforderlich machen.

Für ihn sei es jetzt erst einmal wichtig, sagt Stomberg, das Geschäft zu verstehen, um an den Punkt zu kommen, "dass ich glaube, mitreden zu können". Das geht nur mit den Menschen. "Wir sind Individuen, wir Menschen sind unterschiedlich. Der eine braucht regelmäßige Interaktion, der andere möchte lieber in Ruhe gelassen werden - ich möchte gerne verstehen, wie welcher Mitarbeiter geführt werden will."

Dennoch werden Dinge anders werden. "Thomas Bauer hat der Firma gedient, ich möchte das auch tun. Aber mir gehört die Firma nicht, der Familie Bauer aber schon - allein das wird etwas verändern." Aber der Reihe nach. Erstmal ankommen.

Auch privat. Michael Stomberg hat sich eine Wohnung in Schrobenhausen gemietet, aber er wird auch Pendler sein. Die Familie - Stomberg ist verheiratet und hat zwei Töchter (11 und 13) - hat in einem kleinen Dorf etwas südlich von München gebaut. "Dort haben wir unsere Freunde, unsere Töchter sind da aufgewachsen, es gibt viele Gründe, daran nichts ändern zu wollen." Die Familie sei dort verankert, sagt er noch, verbunden mit dem augenzwinkernden Hinweis, dass er aber immer noch nicht Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr sei, und ja - er sei schon mehrmals gefragt worden.

Das mit dem Pendeln sieht er nicht weiter dramatisch. "Mein Berufsalltag war immer schon von viel Reisetätigkeit geprägt", sagt er, die Familie kennt das, dass er unterwegs ist.

Und wenn er mal daheim ist? "Also, ich koche sehr gern", sagt er, "ich tobe mich gern in der Küche aus." Er sei ja mal Experimentalphysiker gewesen - "so mit 1000 Knöpfen und Geräten" -, ja, und das mag er auch in der Küche. "Ich hab ziemlich viel Equipment...", deutet er noch an.
Mit dem Mountainbike sei er gern unterwegs, und wenn er mit der Familie verreist, dann gern an vertraute Orte. Saxofon spielt er auch. Als Kind hatte er Klarinette gelernt, der Vater war dem Jazz zugeneigter Trompeter; später war er auch in Bands, heute übt er noch ab und an für sich, zumeist Funk und Soul. Und ja, dass es in der Firma eine Band namens Hydraulica gibt, das weiß er inzwischen auch. Ob die jetzt ein neues Bandmitglied bekommen? "Ach", sagt er da und lächelt, "ich möchte die ja nicht niveaumäßig herunterziehen." Gut möglich, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.