Schrobenhausen
Das Gedächtnis der Stadtgeschichte

Gretl Englert ist am 15. Januar gestorben

21.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:48 Uhr
So werden sie Generationen von Schrobenhausenern in Erinnerung behalten: Gretl Englert (oben links), hier mit ihrem Cousin Karlheinz Bauer im Jahr 2018 bei der Feier ihres 98. Geburtstags. Links: 1936 trug sie bei der Einweihung des Lenbachmuseums den Schlüssel. Unten links: die Eltern Maria (geborene Bauer) und Malermeister Karl Gunzner in ihrem Geburtsjahr 1920. Unten rechts einer der Briefe in Süterlinschrift, der akribisch im Computer erfasst wurde. −Foto: privat

Schrobenhausen (SZ) Gretl Englert ist tot. Sie war es, die 1936 als junge Frau bei der feierlichen Eröffnung des Lenbachmuseums den Schlüssel trug. Sie verbrachte einen Großteil ihres Lebens im Haus gegenüber. Ihr Wissen über die Schrobenhausener Stadtgeschichte hat Generationen von Heimatforschern bei deren Arbeit geholfen. Nun entschlief sie sanft, am Abend des 15. Januar 2019. Sie wurde fast 99 Jahre alt. Ein Nachruf.

Als Margareta Englert, vor fast 100 Jahren als Gunzner-Gretl in der Metzgergasse im Herzen der Altstadt von Schrobenhausen am 11.Februar 1920 als zweite Tochter des Malermeisters Karl Gunzner und seiner Frau Maria, der ältesten Tochter des Kupferschmiedmeister-Ehepaars Maria und Andreas Bauer, geboren wurde, war der Erste Weltkrieg noch nicht einmal zwei Jahre zu Ende. Dass die damals kleine Greti nahezu ein ganzes Jahrhundert hindurch ihrer Geburtsstadt treu geblieben und so - wie die Schrobenhausener Zeitung zu ihrem 90. Geburtstag berichtet hatte - zum "Gedächtnis der Stadtgeschichte" und zu einer der ältesten gebürtigen Schrobenhausenerinnen in der Historie geworden war, hätte in dieser Zeit wohl niemand vermutet.

Die Menschen wurden damals vielleicht 70 oder in Ausnahmefällen auch einige Jahre über 80 alt, nicht aber nahezu 100. Dass die Verstorbene dieses nahezu biblische Alter erreichen konnte, kann auf ihre eiserne Disziplin im Umgang mit der Arbeit, aber auch mit ihrer Gesundheit zurückzuführen sein: Noch mit 94 Jahren arbeitete die stets gut aufgelegte Schrobenhausenerin an ihrem Computer mit Internet und Exeltabellen, wenn sie die Abrechnungen für die Unternehmen ihrer Kinder fertigte.
 

Und selbst mit 98 Jahren sah man sie, nur gestützt auf ihren Rollator, durch die Stadt gehen und frisches Obst kaufen. Ihr einmaliges und bleibendes Lebenswerk, nämlich die Sammlung - und in lesbare Computerschrift von ihr akribisch von der Süterlinschrift her übertragen - von über 1000 Briefen ihrer Vorfahren und unzähligen historischen Fotografien und Unterlagen, sämtlich mit Bezug zu Schrobenhausen, beendete sie mit 97 Jahren. Fein säuberlich in vielen Ordnern abgelegt, finden sich so die oft für Ungeübte kaum noch lesbaren Zeugen der Vergangenheit Schrobenhausens ab der Zeit um 1840 bis 1961, als ihr Vater Karl Gunzner starb. Denn dieser hatte in besonderem Maße in unzähligen Briefen an seine Familie seit Ende des 19. Jahrhunderts das Leben in der damals kleinen und beschaulichen Stadt Schrobenhausen festgehalten.

Gleichermaßen viele Briefe bewahrte Gretl Englert auch von ihrer mütterlichen Seite. Und so findet sich nahezu lückenlos die gesamte Vorgeschichte des heutigen Weltkonzerns Bauer AG aus der Zeit zwischen 1840 bis zum Tode ihrer Großmutter Maria Bauer im Jahre 1958, wiederum die Kriegsjahre um 1870, des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 und des Zweiten Weltkriegs von 1939 bis 1945 umfassend. Diese einmalige Sammlung von Briefen, die von ihrem Sohn Klaus Englert - seit vielen Jahren Kulturreferent der Stadt - nunmehr in Zusammenarbeit mit der geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als "realer Spiegel der Geschichte Schrobenhausens im 19. und 20. Jahrhundert" in Buchform zur Verfügung gestellt wird, hat die immer bescheidene, dennoch auf die Menschen zugehende Verstorbene als einen besonderen Schatz für das städtische Archiv hinterlassen. Denn dort werden die historisch und wissenschaftlich sehr wertvollen Unterlagen und Fotos künftig ihren Platz nach dem Wunsch der Geschichtsbewahrerin erhalten - zusätzlich zu vielen Dokumenten und Fotos, die noch zu Lebzeiten von Gretl Englert von ihr der Stadt überlassen worden waren.
 

Ihre Aufgeschlossenheit und Geduld bei der Beantwortung von Fragen der Stadtgeschichte wird nicht nur dem Historischen Verein unter Leitung von Kulturamtschefin Claudia Freitag-Mair und Franz Josef Mayer, der Haus-Forscherin Mechthild Hofmann oder dem früheren Stadtarchivar Max Direktor, sondern auch der neuen Leiterin des Stadtarchivs, Monika Schierl, sehr fehlen.

Fehlen werden auch ihre lebendigen Erzählungen über "Schrobenhausener Geschichten", die das Wiederaufblühen des Schützensports in der Lenbachstadt oder die Abhaltung legendärer Faschingsbälle im längst verschwundenen "Bräumichl" oder "Stiglbräu" durch ihren Vater Karl Gunzner ebenso umfassten, wie zur Geschichte des Kreiskrankenhauses Schrobenhausen, an dem ihr im Jahre 1992 verstorbener Ehemann Ernst Englert viele Jahrzehnte hindurch Chefarzt und Ärztlicher Direktor gewesen war. Und auch Schicksalsschläge wie den Kriegstod ihres ersten Verlobten Sepp Schäfer vom Zinserhof in Mühlried 1942 oder den viel zu frühen Tod ihres ältesten Sohnes, dem Arzt Ernst Englert jun. im Jahr 2001, überwand sie mit ihrem starken christlichen Glauben.

Gretl Englert konnte auf eine lange Familiengeschichte in Schrobenhausen zurückblicken, zurückgehend bis ins Jahr 1790, als ihr Ur-Ur-Ur-Großvater Sebastian Bauer von Osterhofen bei Deggendorf in das kleine Städtlein an der Paar übersiedelte, nachdem er hier eine Kupferschmied-Gerechtsame erwerben durfte und in der Mitte der Stadt, direkt neben der Frauenkirche, seine Werkstatt betreiben konnte. Zusammen mit ihrer Schwester Maria sowie vier weiteren Enkeln der Großeltern Andreas und Maria Bauer setzte die Verstorbene die Generationenfolge der Bauer-Linie fort. Alle sechs Enkel zusammen wiederum vergrößerten den "Bauer-Stammbaum" auf 18 Nachkommen, darunter die in Schrobenhausen bekannten Klaus Englert, Thomas Bauer und Christoph Rupp. Diese Generation verdoppelte dann die Zahl der Nachfahren auf exakt 36, wovon zahlreiche Mitglieder der Familie heute in Schrobenhausen weiterhin leben und schon wieder für viele neue Nachkommen sorgen.

Dieses feste Familienband führte auch zu einem herzlichen Miteinander über einen unglaublich langen Zeitraum von mehr als 80 Jahren zwischen den in Schrobenhausen verbliebenen Enkeln von Andreas Bauer, nämlich Gretl Englert, Lieselotte Rupp und dem späteren Ehrenbürger der Stadt, Karlheinz Bauer mit Gattin Marlies.

Aber auch die Vater-Seite der Verstorbenen zählte zu den maßgebenden Familien in Schrobenhausen. So war der Großvater Joachim Gunzner ein gefragter Kirchenmaler und zudem Feuerwehrhauptmann und ihr Vater Karl Gunzner viele Jahrzehnte als Stadt-, Kreis- und Bezirksrat sowie nahezu allen Vereinen der Stadt als Vorstand tätig.

So ist es kein Wunder, dass die Verstorbene Schrobenhausenerin mit Leib und Seele war, was sie auch mit der großzügigen Unterstützung zahlreicher Stadt- und Kirchenprojekte ein Leben lang unter Beweis stellte. Ihr Vermächtnis wird von ihrem Sohn Klaus Englert, ihren sieben Enkeln und acht Urenkeln fortgeführt werden. Schrobenhausen hat eine große Mitbürgerin verloren. Und einen der wenigen Menschen, die mit nur zwei Generationen drei Jahrhunderte überspannen konnten.