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Die Macht der Musik trotz Corona und Brexit

Brexit und Corona zur gleichen Zeit - Kulturschaffende in England haben es gerade besonders schwer.

04.09.2020 | Stand 23.09.2023, 13:55 Uhr
Ros Gilman ist Filmkomponist in London. Zu Besuch bei seiner Mutter in Waidhofen erzählt er von seinem Leben und seiner Arbeit trotz Brexit und Corona. −Foto: Ammer

Ros Gilman ist ein deutscher Filmkomponist in London. Zu Besuch bei seiner Mutter in Waidhofen erzählt er von den Schwierigkeiten, die die aktuelle Lage mit sich bringt. Und von der Freude am Komponieren und der Macht der Musik.

Waidhofen/London - Geschichten erzählen mit Musik. Das ist es, was Ros Gilman tut. Die Bilder sind meist schon da, doch er hat es in der Hand, ob die Frau, die da die Straße entlang läuft, verliebt ist oder auf der Flucht, ob sie glücklich in die Zukunft oder vielmehr ihrem Ende entgegen geht. Die entsprechende Musik hat die Kraft, jede Emotion zu erzeugen, sie verändert die Bilder, macht sie ganz. Ros Gilman ist Filmmusikkomponist.

Wie so viele andere ist auch die Filmbranche durch die Corona-Auswirkungen in der Krise. Kinos blieben geschlossen, Drehtage mussten abgesagt werden. Als Filmmusikkomponist spürt Ros Gilman die Auswirkungen zwar etwas zeitverzögert, da er in der Postproduktion arbeitet, doch sie sind da. "Ich habe seit Anfang des Jahres an der Musik für einen Animationsfilm gearbeitet", erzählt er. Eine schöne Geschichte über den letzten Wolkenweber, einen Drachen, der einem Mädchen beibringt, wie es mit einer Flöte Wolken weben kann. "Die Musik war geschrieben und ich wollte nach Mazedonien fliegen, um die Musik mit Orchester einzuspielen." Doch daraus wurde erst einmal nichts - "die Grenzen waren zu, man kam weder rein noch raus". Und selbst wenn: "Auch die Studios waren zu wegen des social distancings."

Auch jetzt ist das noch ein Problem bei Studioaufnahmen mit Orchester, denn die meisten dürften nur ein paar Musiker gleichzeitig im Raum haben. "In Bulgarien gingen höchstens 20 Musiker, genauso in Ungarn", weiß Ros Gilman. Schließlich wurde man in Tschechien fündig und so flog der Komponist vor zwei Wochen nach Prag, um dort ein 64-köpfiges Orchester zu dirigieren. Warum das alles in Osteuropa? "Die Budgets dort sind anders und die Musiker top. Dort werden auch viele Hollywoodfilme aufgenommen", erzählt Ros Gilman. Und natürlich sind die Musiker froh, wieder Arbeit zu haben - "das Orchester hat monatelang nichts aufgenommen" wegen der verschobenen Filmproduktionen.

Die Rettung für viele ist es, online Musikunterricht zu geben. Eine Möglichkeit, das auch Ros Gilman nutzt: Er unterrichtet Geige, Klavier und Komposition. Der Auftrag, an dem er eigentlich gerade arbeiten würde, die Musik zu einem Kinofilm, ist verschoben. "Sie haben nicht mal angefangen zu drehen." Die staatlichen Hilfen in England greifen für ihn nicht, denn es gibt sie für Angestellte und für Freiberufler. Er ist allerdings Chef seiner eigenen kleinen Firma.

Insgesamt ist die Bezahlung von Künstlern ein Problem. Bei Streaminganbietern gebe es da sehr große Unterschiede und als Künstler müsse man auch erst einmal wisse, wie man sich vermarktet. "Diese Industrie ist sehr hart." Man müsse eigentlich eine kaufmännische Ausbildung oder die Grundzüge eines BWL-Studiums haben. Ros Gilman selbst hat nach der Schule in Pfaffenhofen in Wien Musik und Komposition studiert und dann noch ein Diplom in Musikbusiness draufgesetzt. "Marketing ist ein riesen Thema", dazu brauche man Vertragsrecht, Buchhaltung, gute Verkaufstechniken und vieles mehr. Zum Erfolg gehöre auch, ein Team leiten zu können. Im Fall von Ros Gilman ist es ein Team von Freelancern - "allein bringst du nichts voran". Nur gute Musik zu machen, das reiche alleine nicht aus. Ros Gilman würde so weit gehen zu sagen, dass man selbst mit mittelmäßiger Kunst weiter komme, wenn man nur den Rest gut draufhabe. Wenn nicht "könntest du Mozart selbst sein..." Deshalb wäre sein Rat an sein Ich vor 15 Jahren: Eine Basis von allem Kaufmännischem nachlegen. Wichtig sei auch, dass Künstler ihre Kunst nicht verschenken, denn sonst verliere sich der Wert. Auch für alle anderen, die in dem Bereich tätig sind. "Kunst hat generell einen Wert und ich hoffe, dass Künstler künftig fairer bezahlt werden, um weiterhin Kunst machen zu können."

Ein persönliches Anliegen ist Ros Gilman die orchestrale Musik. "Ich glaube, dass viele Menschen sie gerne hören würden, wenn sie einen Zugang dazu hätten", ist seine Überzeugung. Doch man sehe es schon an den Plakaten: ein kleines für das Lodon Symphony Orchestra und daneben ein riesiges für einen Popkünstler beispielsweise. "Meine Mission ist es, auch online und über die sozialen Medien diese Musik den Menschen nahe zu bringen." Und immer wieder bekomme er Reaktionen. "Danke, dass du mir diese Welt gezeigt hast." Ros Gilman sieht es als ein Tor, einen ersten Schritt - "und später gehen sie vielleicht zu Mozart oder Mahler". Was nicht heißt, dass er selbst nicht auch gute Popmusik zu schätzen weiß.

Ebenso wie Animationsfilme. Hier übernimmt die Musik häufig eine zentrale Rolle im Storytelling. Dann zum Beispiel, wenn es kaum oder keine Dialoge gibt. Man denke Beispielsweise an Wall-E, den kleinen Roboter, der die Erde aufräumt. "Die Musik vermittelt die Emotionen", beschreibt Ros Gilman. "Hörst du ein trauriges Stück, fühlst du dich oft auch so." Das ist für ihn die Kraft, die die Musik hat. Als Komponist schreibt er oft aus der eigenen Emotion heraus. Ob er dann an einem schlechten Tag keine lustige Musik schreiben kann? Ros Gilman lacht. "Ich kann trotzdem eine positive Stimmung schreiben", wenn es ums Professionelle gehe, könne man umschalten. Außerdem gebe es verschiedene Techniken, die ein Komponist verwende, um Stimmungen in der Musik zu erzeugen. Das einfachste Beispiel sind hier Dur und Moll. Anders ist es natürlich, wenn er sich intuitiv einfach ans Instrument setzt.

Doch nicht nur die Musik verändert das Bild, auch das Bild beeinflusst die Musik. Manchmal lese er ein Drehbuch, habe schon etwas dazu im Kopf - und dann sehe er das Bild "und ich schreibe etwas ganz anderes". Die Musik hebe die Bilder noch einmal auf ein ganz anderes Niveau im Zusammenspiel mit Licht, Kostümen, Kameraführung und allem anderen. "Das alles versetzt dich in die Geschichte." Hier lobt Ros Gilman die Filme von Disney - "hier legt man viel Wert auf die Musik, sie ist oft toll orchestral, solche Musik altert nicht". Einer seiner persönlichen Lieblingsfilme ist auch "Coco - Lebendiger als das Leben", eine Hommage an die Musik, wenn man so will.

Was Ros Gilman heuer sehr fehlt sind die Filmfestivals, die abgesagt wurden. Die perfekte Möglichkeit, um zu netzwerken, etwas, das in seinem Bereich sehr wichtig ist. Zu den Corona-Beschränkungen kommt in seinem Fall nun auch noch der Brexit. "Die Grenzkontrollen machen alles schwieriger." Auch dem Filmmarkt werde die Abspaltung Englands von der EU schaden, alleine schon wegen des europäischen Filmfonds, der dann wegfalle. Arbeitstechnisch ist es für den Deutschen in London kein Problem, er lebe schon so lange in England, dass er unbefristet bleiben dürfe. Dennoch bedauert Ros Gilman den Austritt Englands aus der EU, denn "die Briten sind Europäer vom Geist".

London ist für Ros Gilman eine "Multikultistadt". Eine tolle Stadt. "Jeder ist willkommen", ist sein Eindruck, etwas, das er persönlich sehr genießt. Außerdem schätzt er den britischen Film, "das war der Grund, warum ich hingezogen bin", erzählt er lachend. Und gerade als Kulturschaffender gebe es viel zu erkunden. "Die Stadt ist für Künstler sehr inspirierend, Menschen erzählen Geschichten aus aller Welt." Und Ros Gilman ist einer, der zuhört, und der sie dann in Töne und Klänge formt. Der etwas Neues daraus kreiert, durchwirkt von Emotionen. Musik. Eine Sprache, die er auf eine ganz besondere Weise spricht.

SZ

Isabel Ammer