Den schwierigen Ruf, Prostitutions-Hauptstadt Deutschlands zu sein, erlangte Augsburg vor einigen Jahren, als eine Untersuchung ergab, dass es in der Fuggerstadt die höchste Dichte an Bordellen gibt. Die Stadt verhinderte durch das "Bordellstruktur-Konzept" die Ansiedlung weiterer Bordelle. Die Frauenhilfsorganisation Solwodi spricht von aktuell rund 20 Prostitutionsstätten alleine im sogenannten "Hellfeld", also dem Bereich, in dem Prostitution offiziell stattfindet. Solwodi hilft Frauen auszusteigen. Im Interview spricht Solwodi-Leiterin Linda Greiter über die Situation der Prostituierten in Augsburg.
Sie haben vor acht Jahren die Leitung von Solwodi in Augsburg übernommen. Wie beurteilen Sie die Lage der Prostituierten in Augsburg?
Linda Greiter: Es sind meist junge Frauen, die überwiegend aus Osteuropa – Bulgarien, Rumänien und Ungarn – stammen und keinerlei Perspektive im Herkunftsland haben. Oft werden sie von ihren Familien oder Partnern überredet. Ein Zwang besteht eigentlich immer.
Gibt es in der Prostitution überhaupt so etwas wie Freiwilligkeit?
Linda Greiter: Dafür muss man erst einmal definieren, was Freiwilligkeit und was Zwang heißt. Wir erleben viele Frauen aus destruktiven Familienverhältnissen, die alle sagen, sie machen es wegen des Geldes. Es gib also großen ökonomischen Zwang. Zudem sagen alle, sie wollen es nicht mehr lange machen. Aber auszusteigen ist sehr schwer. Ich würde es keiner Frau absprechen, die sagt, sie mache das freiwillig. Aber wir sehen die andere Seite, und die ist in der Mehrheit – und zwar deutlich in der Mehrheit.
Vor Kurzem gab es Razzien bei der nigerianischen Mafia. Dabei ging es auch um Menschenhandel. Haben Sie mit dieser Organisation schon Erfahrungen gemacht?
Linda Greiter: Wir haben auch Frauen aus Westafrika in der Beratung, aber in Augsburg stammt der Großteil der Frauen in den Bordellen wie gesagt aus Osteuropa. Bei den Westafrikanerinnen ist es so, dass sie mit Menschenhändlern aus ihren Heimatländern ausreisen, meist nach Libyen, wo sie in Bordellen für die Weiterreise, in Anführungszeichen, "arbeiten" müssen. Mit Schlauchbooten geht es dann übers Mittelmeer. In Italien landen die Frauen oft erneut in Bordellen und in Deutschland schließlich ebenso. Uns werden die Frauen meist von anderen Hilfsorganisationen vermittelt. Es sind diejenigen Frauen, die das alles schon hinter sich haben, und wir begleiten sie bei ihrem Ausstieg aus der Prostitution.
Stellen die Hintermänner denn für Sie und ihre Mitarbeiterinnen eine Gefahr da? Wie gefährlich ist Ihre Arbeit?
Linda Greiter: Wir versuchen natürlich, jedes Risiko zu minimieren. Grundsätzlich ist es oft so, dass die Frauen, die bei uns sind, die gefährlichsten Phasen bereits hinter sich haben. Zudem stehen wir im engen Austausch mit der Polizei.
Was fordern Sie von der Politik, sowohl auf Bundesebene als auch auf lokaler Ebene?
Linda Greiter: Solwodi steht für das nordische Modell. Dabei geht es unter anderem darum, den Sexkauf zu bestrafen. Das Prostituiertenschutzgesetz der Bundesregierung war gut gemeint, ist aber nicht ausreichend. Auf lokaler Ebene wünschen wir uns mehr Sozialarbeiterinnen. Die Finanzierung einer weiteren Teilzeitstelle mit 20 Stunden würde uns bereits weiterbringen.
Solwodi in Augsburg
„Solwodi” steht für Solidarity for Women in Distress – Solidarität mit Frauen in Not. Bei Solwodi in Augsburg arbeiten drei Sozialarbeiterinnen in der Beratungsstelle. Die Leiterin Linda Greiter ist eine von ihnen. Zudem ist bei Solwodi eine Streetworkerin tätig, die die sogenannte „aufsuchende Arbeit“ übernimmt. Die Arbeit des Vereins wird unter anderem von der Stadt Augsburg gefördert. Im vergangenen Jahr hat die Streetworkerin rund 200 Frauen betreut. In der Beratungsstelle haben 105 Erstkontakte stattgefunden.
Linda Greiter ist 37 Jahre alt und leitet Solwodi seit acht Jahren. Die Bildungs- und Erziehungswissenschaftlerin sowie Traumapädagogin stammt gebürtig aus dem Allgäu.
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